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Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?
- To: "'maro@maroki.netzservice.de'" <maro@maroki.netzservice.de>, "'debate@fitug.de'" <debate@fitug.de>
- Subject: Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?
- From: Johannes Ulbricht <Johannes_Ulbricht@csi.com>
- Date: Wed, 12 May 1999 10:43:52 +0200
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
>Ein Urheberrecht, das auf den Einzelnen
>(und sei es auf die Firma) zurechnen muss, verharrt auf einem bloss
>handwerklichen Niveau, was fuer die Entwicklung einer
>Industriegesellschaft nur kontraproduktiv sein kann. (Wie immer kann
>man hier auf die Entwicklung von Linux verweisen als Beispiel dafuer,
>wie produktiv der andere Weg sein kann.)
Linux funktioniert, weil Red Hat usw. vom Service leben. Die meisten Leute,
die Linux geschaffen haben, leben davon, dass sie weisungsgebundene Arbeit
fuer die Leute verrichten, die sie bezahlen koennen. Kuenstler koennen
sowas nicht. Ich glaube, dass derjenige, der kreative Arbeit als
Programmierer, Werber, Kuenstler usw. leistet, urheberrechtlichen Schutz
braucht, um seine Arbeit kommerziell vermarkten zu koennen. Linux kommt
auch nicht ohne Urheberrecht aus: Es muss Leute geben, die entscheiden, ob
z. B. der Internet Explorer, ActiveX oder J++ zu Linux gehoeren soll, oder
nicht. Wenn MSOffice fuer Linux rauskommt, haette MS sicher gern Linux mit
ActiveX. Diese Problematik wird sich - aehnlich wie in der Vergangenheit
bei Java zu beobachten - intensivieren, wenn Linux in naher Zukunft
staerkeren oekonomischen Kraeften unterliegt.
Aus Laendern mit niedrigem urheberrechtlichen Schutzniveau (China, Indien)
kommen meines Wissens keine eigenstaendigen Softwarefirmen bzw. -produkte
im nennenswerten Umfang. Vgl. den Artikel aus dem Tagesspiegel, der eben
ueber die Liste ging: Die einheimischen chinesischen Softwareproduzenten
brauchen offenbar saatliche Subventionen im erheblichen Ausmass; sie werden
damit zu abhaengigen Dienstleistern fuer den Staat. Der fehlende Schutz
verhindert meiner Einschaetzung nach dort das Entstehen einer
selbstaendigen Softwarebranche. Die Programmierer, die es dort durchaus
gibt, arbeiten meist als Dienstleister fuer westliche Firmen, die ihre
Produkte auf den wichtigen westlichen Absatzmaerkten (urheberrechtlich)
schuetzen lassen: Ohne Urheberrecht bleibt nur die Existenz als Dienstle
ister fuer die wirtschaftlich Maechtigen, man kann nicht selbst auf den
Markt gehen. Diese Existenz als Dienstleister kann innovationshemmend sein:
In Museen finde ich die Bilder aus dem Mittelalter am langweiligsten, auf
denen man nur die Maezene/Pfaffen/Fuersten sieht. Moderne Bilder finde ich
spannender. Deshalb glaube ich, dass nicht die Abschaffung des
Urheberrechts, sondern die richtige Balance zwischen Kontrolle und Freiheit
innovationsfoerdernd ist.
Man kann natuerlich sagen, Eigentum ist boese, also ist Urheberrecht boese.
Von diesem grundsaetzlichen Standpunkt aus kann man es kritisieren, wobei
die Alternativen utopisch-schwammig bleiben, und von den Leuten, die sie
vertreten, meist selbst nicht gelebt werden. Solange es materielles
Eigentum gibt, braucht man Urheberrecht, um geistig-produktive Leistung in
materiell-produktive Leistung umrechnen zu koennen und so die geistig
Produktiven an der materiellen Produktion zu beteiligen. Ausserdem hat das
Urheberrecht nicht nur materielle, sondern auch ideelle Komponenten wie z.
B. das Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Autorenschaft.
>Jede Idee basiert auf einer nicht explizierbaren Anzahl
>vorausliegender Ideen und ist in einem gewissen Sinne in diesen
>vorausliegenden Ideen auch schon ein bischen enthalten.
Ja, aber nur ein bisschen. Dem traegt das Urheberrecht z. B. durch freie
Benutzung, Schutzfristen usw. uebrigens auch Rechnung. Und die meisten
vorherigen Ideen unserer Kultur- und Techniktradition wurden teilweise
durch kommerzielle Chancen stimuliert, die das Urheberrecht eroeffnet. Zu
sagen, dass jeder Kuenstler nur noch als Dienstleister fuer Reiche oder aus
rein idealistischen Gruenden taetig sein soll, finde ich - anders als z. B.
Barlow -eine eher spiessige Vorstellung. Die oekonomische Seite von Kunst
wegzuleugnen kommt mir wie ein realitaetsferner moralischer Imperativ vor:
Alle Menschen sollen nur noch gut sein und kein bisschen egoistisch.
>Ja sicher. Was heisst denn hier "sinnvoll"? Sinnvoll fuer eine Firma
>ist eine optimale eigene Vermarktung und eine optimale eigene
>Machtsicherung. An wen adressiert Du "sollte"?
Sinnvoll ist es aus der egoistischen Sicht der Firma oder des einzelnen
Kuenstlers, die Kontrolle teilweise durch Freiheit zu ersetzen, um so
Werbung zu betreiben, wie z. B. bei Shareware-Versionen oder Radiomusik.
Linux wird derzeit von IBM usw. aus egoistischen Motiven heraus
unterstuetzt.
>Dass das Recht nach einem langen historischen Prozess, in dem das
>nicht der Fall war, nun endlich vor allem in den Haenden von
>Experten, den Juristen, liegt, dafuer bin ich ueberaus dankbar.
Ich meine nicht, dass das gesunde Volksempfinden die Gesetze ersetzen
sollte. Ich meine, dass das Recht weniger wissenschaftlich und mehr
pragmatisch sein sollte. Ich persoenlich finde es immer wieder schade, dass
so eine grosse Kluft zwischen den realen gesellschaftlichen Prozessen und
dem Weltbild der juristischen Dogmatik ist. Man sieht beispielsweise sehr
schoen, wie der Trend Internet erst mit 2-3 Jahren Verspaetung in der
juristischen Diskussion angekommen war.
Meiner Meinung ist Recht niemals objektiv richtig, sondern immer ein
subjektiver Gestaltungsversuch von einer bestimmten Position innerhalb der
Gesellschaft aus und man sollte als Jurist ruhig sagen, von welcher
Position aus man wertet, anstatt eine scheinbar-uebergeordnete-objektive
Warte zu beziehen. Jura ist zwar eine Wissenschaft, aber eine
Geisteswissenschaft.
Auch beim Urheberrecht wuerde ich mir wuenschen, dass die Kreativen, die
damit zu tun haben, es aktiv selbst in die Hand nehmen und es als ein
Mittel fuer ihre jeweiligen Ziele benutzen, anstatt dies den Profis der
grossen Medienfirmen zu ueberlassen. Anstattdessen wird es von ihnen zu
ihrem eigenen Nachteil daemonisiert.
Bin aber gerne bereit, mich von der Sinnlosigkeit des Urheberrechts
ueberzeugen zu lassen, da es ja durchaus auch einige Argumente dafuer gibt
und an einer Diskussion ueber das Thema sehr interessiert, deshalb danke
fuer die Muehe der Replik.