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Re: Naumann (SPD): Internet = "Soziale + kulturelle Katastrophe"



Hallo Axel!

(Vorsicht blabla, wer das nicht mag sollte jetzt schon 'd' drücken :-)


> [Weiss dieser Mann ueberhaupt, vovon er redet? Die offenkundige
> Internet-Inkompetenz dieser unserer Bundesregierung ist wirklich
> striking. Und dabei hamwer gedacht, nach Kanther & Kohl koenne es
> im Prinzip nur noch aufwaerts gehen.                      --AHH]
[...]
>                      Naumann: Chatten macht depressiv

Witzig - hier hat es just gestern abend eine etwas längliche Diskussion
über die kulturellen Folgen der ganzen neuen Technik auf unsere und
die nachfolgenden Generationen gegeben. Ein paar Stichworte:

- Das Leben läuft mit der Globalisierung und der ganzen Technik immer
  schneller.

- Es kommt immer weniger auf "handfeste" Arbeit an, sondern es wird immer
  mehr virtualisiert, "Information" als Handels- und Unternehmensgut.

- Die Arbeit der Menschen hinterläßt weniger dauerhafte, "greifbare"
  Ergebnisse. (Ein Handwerker kann seinen Kindern seine Stücke zeigen,
  ein Softwerker wird das vielleicht noch können, aber es interessiert
  in 30 Jahren außer irgendwelchen Museen niemanden mehr)

- Arbeit wandelt von "eine Sache zuende bringen" immer mehr in einen
  Fluß vieler Dinge, die parallel laufen, und wo es darauf ankommt, in
  gegebener Zeit möglichst viel weiterzubringen, aber nicht unbedingt
  einzelne Dinge mit Sorgfalt zuende zuführen. "Masse statt Sorgfalt".
  Mehr Distenz der Personen zu ihrer Arbeit.

- Internet: Anonymität -> Distanz -> Unverbindlichkeit. Internet-Kontakte
  sind unverbindlicher.

- Wir Menschen brauchen irgendwo etwas, woran sie sich orientieren und "fest-
  halten" können. Wenn Arbeit, Kommunikation, Information etc. immer weniger
  greifbarer und unverbindlicher werden und somit eine Entfremdung zwischen
  Person und den ganzen diffusen Prozessen entsteht, macht das uns Menschen
  langfristig glücklicher?

[...]

Die Liste kann man beliebig lang machen und es sind sicher viele Sachen
dabei, wo die Technik erstmal nichts direkt mit zu tun hat, aber es geht
ja letztendlich um Prozesse, die sich nicht nur in der Rechnerwelt ab-
spielen, sondern die allgegenwärtig unser Leben, unsere Arbeitsprozesse
und auch den sozialen bzw. den Freizeit-Bereich infiltrieren.

Ich behaupte einfach mal, daß diese ganzen Prozesse zusammen dazu führen,
daß immer mehr Menschen mit diesen veränderten Strukturen nicht mehr klar-
kommen und "rausfallen".

Diese Problematik, auch wenn sie gar nicht primär mit dem Internet zu tun
hat, wird dem Thema aber dennoch angehängt. Der Name des Sündenbocks
hat sich geändert: Früher waren es nur "die Computer", heute ist es
"das Internet".


Eine andere Sache:

Die ganze Globalisierung und Verlagerung von Echtweltkommunikation auf
Telekommunikation führt letztendlich dazu, daß Leute, die in der Echtwelt
Probleme haben/hatten Kontakte aufzubauen dies über das Netz aus einer
Reihe von Gründen einfacher tun können. Also erstmal ein Vorteil.

Viele Leute müssen aber erstmal lernen, daß eben z. B. für einen Internet-
Chat gewisse Gesetzmäßigkeiten gelten, was z. B. Verbindlichkeit von
Kontakten angeht und durch die Schmalbandigkeit des Mediums (nur Text,
nonverbale Nebenkommunikation fast nicht möglich) eine Menge von Feedback-
Möglichkeiten fehlen und durch Vorstellungen/Erwartungen ersetzt werden.


Viele hier in der Runde haben das Internet über die Jahre wachsen sehen und
wir konnten schrittweise die Entwicklung verstandesmäßig nachvollziehen,
auch in punkto schrittweiser Veränderungen gesellschaftlicher Normen.
Leute, die heute das Medium als große weltweite "black box" erleben gehen
vermutlich wesentlich naiver ran. Und ich denke, daß sowohl die ältere
Politiker-Generation als auch Jugendliche weniger Denkarbeit in die ganze
Sache investieren (können?) und aufgrund mangelnder Beschäftigung mit der
Materie auf der einen Seite und falschen Erwartungshaltungen auf der anderen
Seite eher frustiert werden, wenn sie ein paar Mal auf die Nase gefallen
sind. Sei es im Chat, bei dem Versuch, wirklich brauchbare Information
aus dem Netz zu ziehen oder auch weil einfach mal ein Mail-Kommunikations-
partner einfach "weg" ist.

Auf der anderen Seite kann man ja nicht alle Leute zwingen, vor dem ersten
Start des Browsers einen Schnellkurs "Analyse soziotechnischer Systeme"
verpassen - das werden nur 5 % der Leute durchdenken und verstehen wollen.
Also wird es dabei bleiben, daß es immer Leute geben wird, die irgendwann
mal herbe enttäuscht werden von der großen globalen gleißend-glänzenden
Netzwerkwelt, und die Leute, die außerhalb des Netzes schon mit irgendwelchen
Problemen rumgelaufen sind werden sie dadurch nochmal deutlich in Erinnerung
gerufen bekommen - das Netz ist eben kein globaler Problemlöser.

Viele Grüße,
Daniel


-- 
Daniel Roedding                                       phone: +49 5252 9838 0
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