[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] Jugendschutz: Filterprogramme bringen es nicht



Holger Veit schrieb:
>Der Punkt ist: wir haben soviele Wertesysteme, dass sich jeder problemlos
>und ohne Schuldbewusstsein seine Rosinen rauspicken kann. Es geht
>...
>Verfassung anlegen koennen und bei Bedarf sogar noch beliebig zusammen-
>stueckeln koennen.

Der Bodensatz an uebergreifend-gemeinsam gueltiger Werte ist duenn
geworden, keinen Zweifel.

>fuer den Gurt zum festzurren ist. Die Schwierigkeit bei der Definition
>eines Kanons liegt nicht darin, ihn auszudruecken, sondern ihn vor dem
>unmittelbar auftretenden Protest gegen ihn zu schuetzen. Filtern schreibt

Ja, ganz genau. Deshalb darf man ihn gar nicht erst formulieren, wenn
man an seinem Fortbestand Interesse hat. Diejenigen, die
Filterkriterien formulieren, graben deshalb nicht nur in technischer,
sondern eben auch in sozialer Hinsicht, zumindest auf mittlere Sicht,
gezwungenermassen(!) ihr eigenes Grab. Sie erzeugen auf jeden Fall ihren 
eigenen Widerstand, zumindest in westlichen Nationen.

>Ich bezweifle, dass die "Innere Fuehrung" ueberhaupt jemals existiert
>...
>staendigkeit des Individuums. Aber das wird off-topic.

Ja waere OT. Es gaebe hierzu und auch sonst einiges zu diesen
anthropologischen Spekulationen zu sagen, ich lasse es. Nur das
nachfolgende moechte ich noch kommentieren:

>Der Witz ist nun, dass in solchen Systemen mit lokaler Konnektivitaet
>ein quasi globales Filtersystem etabliert werden soll (auch wenn, Kai,
>es noch Differenzierungen zwischen einem afghanischen Taliban-Filter 
>und ein CDU-Filter geben mag). Das geht ohne grosse Umschweife erst
>mal in die Hose. Ich denke, dass den Befuerwortern solcher globaler
>Massnahmen eines solche Dynamik ebenso bekannt ist. Ihr Hebel ist
>daher folgender: die Systeme, insbesondere die noch rudimentaer vorhandenen
>weitwirksamen Systeme wie Religionen, Parteien und gerade die Jurisdiktion
>zunaechst fuer sich zu isolieren, ihr Virus zu installieren und dann die
>lokalen Verknuepfungen wieder zu aktivieren. Konkret heisst das: es 
>wird versucht, ein eigenes Recht im Rechtsystem zu bilden, ohne die
>Restgesellschaft am Diskurs zu beteiligen, und wenn es erst mal 
>etabliert ist, die Restgesellschaft vor vollendete Tatsachen zu
>stellen.

Lies vielleicht mal die Studie. Nicht ohne Grund wird dort in
Interaktionssystem (entspricht in lockerer Anlehnung Deinem "System
lokaler Konnektivitaet"), Organisationssystem und Gesellschaftssystem
unterschieden, um diese Phaenomene zu fassen zu bekommen. Es wird
nicht die Formulierung eigenen Rechts versucht, wie Du vermutest -
das ist nur kurzfristigst nicht vollkommen aussichtslos - wohl aber
wird sehr frueh versucht, bestehendes Recht zu formen. Genau das
passiert auch durch einige Teilnehmer dieser Liste, allein wenn ich
an sehr kurze Wege zwischen einigen Mitgliedern hier und (zumindest
medienpolitisch) hochrangigen Politikern denke. Im Unterschied zu
Deinen Ausfuehrungen wird in der Studie jedoch nicht alles primaer
auf Politik gezogen. Man kann Soziales immer aussichtsreich unter dem
Aspekt "Cui bono" beobachten und Machtmotive unterstellen, da faellt
immer etwas bei ab. Nur lassen sich daraus nicht laenger
Sozialstrukturen erklaeren. Es gibt nicht nur sehr viele
Privat-Moralen, sondern ebenso viele Cui-Bono-Konstellationen, so
dass die Erklaerungskraft verloren geht. In vormodern-hierarchischen
Verhaeltnissen (als jeder zumindest ungefaehr wusste, wie weit er von
der Spitze entfernt war - eine Frage, die sich heute nicht mehr
stellt), die unter dem Primat des Politischen standen, war diese
Fragestellung noch hinreichend. Als letztes Echo der Vormoderne
funktionierte das jedoch kaum noch ueberzeugend bei Marx. Die heutige
Gemengelage der verschiedenen Systeme (Oekonomie, Politik,
Wissenschaft, Technik) bekommt man damit nicht mehr angemessen zu
fassen. (Aus klassisch politischer Perspektive behaupten so etwas
natuerlich nur Ideologen, die einem die wahren Cui-Bono-Verhaeltnisse
verschleiern wollen. Sagt man halt so mit politischer Referenz. Es
ist nicht ganz so einfach, zwischen Referenzsystemen zu switchen und
nicht alles nur auf eines zu beziehen.)

Gruss, Martin