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AW: Re[2]: [FYI] Berliner Morgenpost zu RPS




Christiane.

>dadurch loesen sie rein rechtlich die Haftungsfrage.
>es geht doch im Kern um die Frage: Was bedeutet das System
>rechtlich?

Die totale und radikale Privatisierung der Telekommunikation. Totaler
und Radikaler als wir alle uns das ursprünglich vorgestellt haben. Es
hatte historisch schon seinen Grund, warum die "Herrschaft" über die
"Infrastruktur" in staatlichen Händen war. Die Existenz von
formal-staatlicher Macht neben gesellschaftlicher Macht wurde nicht ohne
Grund als _die_ Voraussetzung der Erhaltung der Freiheit der Bürger
gesehen. Es lebe der Gemeingebrauch an der Datenautobahn :-)...

>Ist es in seiner derzeitigen Konstellation legal?

Aus staatsrechtlicher Sicht ja, solange das Fernmeldegeheimnis gewahrt
bleibt, was hier wohl "nur" eine technische Frage ist. Ist das System
irgendwo en detail beschrieben? Darüber hinaus binden Grundrechte
Private nicht, womit die ganze Zensurschiene (nach herrschender
Auffassung in der Rechtswissenschaft sowieso und sogar nach den neueren
Meinungen zum Zensurbegriff) als Abwehrstrategie ausfällt.

Was mich persönlich grübeln läßt ist, dass die Freiwillige
Selbstkontrolle Film in der Literatur mit guten Gründen als
verfassungwidrig eingestuft wurde - allerdings unter der Einschränkung,
dass mit der Inhaltskontrolle "Politik" gemacht wird. Man müßte der
Phonoindustrie also nachweisen, dass Sie mit Ihrem System Meinungsmacht
ausübt. Vielleicht sollte man also ein paar politische Reden illegal im
mp3-Format ins Netz stellen ;-). Solange aber nur die illegale BravoHits
28 gesperrt wird ist vielleicht das Internet (oder die Vorstellung vom
Internet, die wohl die meisten von uns (?) haben) bedroht, nicht aber
die Verfassung. Also kommt nicht mal der Ruf nach staatlicher
Unterbindung solcher Umtriebe der Musikindustrie in Frage.

Die langfristige, große Lösung wird sein - darauf läuft es m.E. in ein
paar Jahren hinaus - die Wirkung der Grundrechte auch auf diese neuen
Medien-Feudalherren (zur Abwehr von Potentaten jeder Form wurden die
Grundrechte ursprünglich "erfunden") auszudehnen. Begründung: Was früher
der leibeigene Bauer auf fremder Scholle, ist heute der portalgebundene
User im Netz. Statt um Abhängigkeit vom Brot, geht des eben um die
Abhängigkeit von Informationen. Jede Zeit hat ihre Abhängigkeiten.
Blödes Bild... Bis dahin bleibt es aber bei der Feststellung, dass
Bürgerrechte im Netz rechtstechnisch nicht existieren, jedenfalls
solange der Staat nicht direkt schaltet und waltet. Aber selbst wenn.
Rechtstechnisch kann man nicht von Zensur sprechen (der
Umgangssprachliche Gebrauch leitet in die Irre) ohne zum Sektierer zu
werden.

Kurz gesagt: Staatsfreiheit kann auch ganz schön ärgerlich sein. In
anderen Mailinglisten habe ich das ja schon gelegentlich gepredigt - und
es ist hier sicher auch nicht "staatstragend", sondern nur bloß
rechtlich gemeint.

Zivilrechtlich könnte man beim Blocking _vielleicht_ noch einen Fall der
Schlechterfüllung (Gewährleistung) denken oder den Vertrag mit dem
Provider in Frage stellen.

Leider bringt auch der aktuelle ct-Artikel keine neue Munition gegen das
Blockieren entsprechender Sites, da die dort geäußerte
"Rechtsauffassung" ("Privater Download ist okay") nur das Prädikat
"besonders phantasievoll" verdient hat. An der Uni (!) lernt man schon
im ersten Semester, dass Unrecht nicht perpetuiert, also vertieft werden
kann. Das Urhebergesetz mag seltsame Ergebnisse erzeugen aber _so_ einen
Widerspruch-in-sich reinzudichten halte ich für Humbug. Die C´t ist
leider einem Sektierer aufgesessen - und ich sage das wahrlich nicht,
weil ich ein Freund der Phono-Juristen bin. Ich denke, der ominöse
Artikel wird letztlich nur Schaden anrichten.

>Und dazu habe ich leider noch keine hundertprozentig
>saubere Antwort gehört.

Ist meine sicher auch nicht, dass Dilemma liegt darin, dass zwei ganze
Generationen von scharf denkenden Juristen keine Ahnung vom Phänomen
Internet hat (oder lieber die schnelle Kohle macht) Man hätte den
Hoffmann-Riem zum Thema befragen sollen... ist jetzt aber zu spät. Der
wird nichts mehr sagen, solange er beim BVerfG ist. Vielleicht der Roman
Herzog....

Jetzt halte ich aber wieder meine Klappe,

mit leicht deprimiertem Gruß
in die eher unbekannte Runde,

Sierk Hamann
Uni Tuebingen