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Re: [FYI] ARD und ZDF gegen Rundfunk-Steuer für PCs undTV



On Tue, May 09, 2000 at 09:25:30PM +0100,
	Joerg-Olaf Schaefers wrote:
> Holger Veit wrote:
>  
> > Der Unterschied GEZ-Zwangsabgabe und Rundfunksteuer ist graduell; es
> > ist letztlich eine nicht versiegende Geldpumpe. Nur darauf kommt es
> > an; das Geschwaetz von der Grundversorgung war spaetestens nicht mehr
> > relevant, nachdem im Rundfunkbereich jeder OeR-Sender drei und mehr
> > Sparten-Sender (beim WDR sind es hier 5 Programme) als Hilfspumpen
> > etabliert hatte.
> 
> Das sehe ich komplett anders. Zwischen der Programmqualitaet (Informa-
> tionsgehalt) der OeR und der Privaten liegen Welten. Wir beiden moegen 
> filtern koennen, der gemeine Zuschauer vermag dies nicht. Auch hat der
> normale Buerger selten die Moeglichkeit Sekundaerquellen zu nutzen, da

Ich verstehe Deine Argumentation sehr wohl, aber sie ist in anderem,
hier auch aktuellem, Zusammenhang extrem gefaehrlich. Konkret machst
Du dir hier eine Fuersorgepflicht des Staates zueigen. In mancherlei
Hinsicht mag sie sinnvoll sein, etwa bei der Krankenversorgung und
der Fuersorge fuer Arme oder der Ausbildung (Bafoeg). Bei der Versorgung
des einzelnen mit Information kann sie IMHO nicht angewandt werden, da sie
dort implizieren kann, dass der Staat (bzw. ihre aktuellen Machtinhaber)
die Information bzw. durch die Information weitgehend beliebig manipulieren
kann. Weiter gefasst, kann man dieses als Zensur verstehen; naemlich dann,
wenn die Fuersorge"pflicht" des Staates so verstanden wird, dass realer,
eher aber *vermeintlicher* Schaden vom Volke abgewandt werden muesse.
Ein vermeintlicher Schaden koennte beispielsweise weltanschaulicher
Art sein - etwa, dass bestimmte Themen nicht mehr diskutierbar sind
(Nazismus oder anderer Extremismus), religioese Auffassungen, aber auch
wieder eine bestimmte Moralhaltung, welche das Zeigen unverhuellter 
intimer Koerperteile unter Strafe stellt.

Wohlgemerkt, ich unterstelle unserer Regierung nicht, dass sie dieses tut,
aber ich bin der Auffassung, dass erwachsene Buerger unseres Landes im
wesentlichen fuer ihr Tun und Denken selbstverantwortlich sind und sein 
sollen. Andernfalls muessten wir um Deutschland konsequenterweise einen
Zaun errichten und uns in Kindergartenrepublik Deutschland umbenennen. Bei
Recht und Gesetz wird davon ausgegangen (wer ein Verbrechen begeht, wird
dafuer zur Rechenschaft gezogen) - bei der Frage, ob jemand Sekundaer-
quellen konsultieren *will*, muss man die Person als ebenso autonom und
selbstverantwortlich ansehen. Es wird niemand gezwungen, Tits&Asses in RTL2
zu sehen, ebensowenig wie die Tagesschau Pflicht ist. Ich sage oben bewusst
*will*, nicht *kann* (was wieder eine Fuersorge implizieren wuerde), weil
die mittellose Familie, welche sich nur einen gebrauchten Schwarz-Weiss-
Portable und ein Mittelwellen-Kofferradio aus den sechziger Jahren leisten
kann und geeignet unterstuetzt werden muesste, ebenso ein Strohmann ist
wie der bei Steuerdebatten grassierende "Besserverdienende". Strohmann
einerseits, weil bei der Sozialhilfe bereits ein minimaler Lebensstandard
festgelegt ist, der auch Mittel fuer TV und Radio beinhaltet, zum anderen
haben wir das Faktum, dass trotz Praesenz ver OeR diese gerade von der
Strohmannzielgruppe nicht genutzt wird. Der Anteil an SAT-Schuesseln ist
gerade bei den schlechterverdienenden Haushalten besonders hoch - und
dank einer fast 100%igen terrestrischen Versorgung mit OeR ist wohl davon
auszugehen, dass nicht gerade ARD und ZDF von Astra abgesaugt wird.

> muss die Tagesschau einfach reichen, ein Tanzbaer der seinem Pfleger in
> die Hand beisst ist dort eine Nullinformation. Habe mir gerade eine 
> Stunde Helmut Thoma (RTL/Bertelsmann und uasserdem medienpolitischer 
> Berater des Ministerpräsidenten von NRW) anhoeren muessen.
> Im Prinzip ein stockkonservativer Vortrag (Das Internet wird nix neues
> fuer den Fernsehmarkt bringen, Segmentierung interessiert nicht), zwi-
> schen den Zeilen aber durchaus interessant: 
> 
> Die Vermischung von Werbung und Inhalt wird steigen, der Informations-
> gehalt noch mehr sinken. Letztendlich koennte Neil Postman also doch 
> richtig liegen, es geht nicht mehr um Information, es geht um Unterhal-
> tung. Die laesst sich besser verkaufen. Etwas anderes interessiert den
> Medienoekonomen Thoma zunaechst nicht.

Es ist auch nicht seine Aufgabe als Geschaeftsmann, jedenfalls solange nicht,
wie Information oder Informiertheit, oder konkreter: Bildung (wie auch immer
man dieses Kopfgebilde definieren mag) nicht als wertvolle Ware anerkannt ist.
Dass dies passiert, ist allerdings unwahrscheinlich; die Utopie eines
Philosophenstaates ist eine unrealistische Illusion.

Das Anschlussargument darauf ist freilich unmittelbar, dass die Aufgabe des
Staates genau darin bestehe, das Wohl der Gesellschaft zu mehren und darum
(mittels Informationssendern wie den OeR) den Bildungsstand der Bevoelkerung
zu verbessern. Dem muss ich allerdings entgegenhalten, dass die
Philosophenutopie ebensowenig ein wuenschenswertes Staatsziel sein kann
wie etwa eine vollkommene Planierung jeglicher Unterschiede (idealer
Kommunismus). Solange der darwinsche Evolutionsmechanismus in der Natur
in Kraft ist, ist stattdessen ein so pluralistisch wie moeglich seiender
Staat erstrebenswert, oder auch elitaer gesprochen: man benoetigt eine
gewisse Bandbreite im gesellschaftlichen Genpool - sowohl diejenigen,
welche ZEIT lesen als auch diejenigen, die BILD lesen, oder diejenigen,
welche Ulrich Wickert sehen wollen und andere, die nur bei Naddel 
einschalten. Die Gruppen sind weitgehend disjunkt, und sie lassen sich
auch nicht durch ein optionales oder erzwungenes OeR-Grundangebot vermischen
oder verschieben. Wenn morgen ARD und ZDF aufgeloest wuerden, waeren die
dortigen Publikumsmagneten a la Wetten-Thomas und Tralala-Moik binnen
kuerzester Zeit im Tittitainment-Kanal, waehrend das Bildungsbuergertum
noch ueber den Wegfall von Reich-Ranitzkis Literaturselbstdarstellung
und das Fehlen des Franzoesischunterrichtsexperiments namens Arte lamentieren
wuerde; und nach einiger Zeit werden diese irgendein anderes nicht-TV-artiges
Bildungsbiotop gefunden haben. Sportschau und Kulis EWG waren gestern;
Tagesthemen und Heutejournal werden es dann ebenso gewesen sein, und
wenn der Tanzbaer dem Pfleger in die Hand beisst, dann haben solche
Leute wie Du und ich noch die Fernbedienung: d.h. wir koennen filtern.
Das Filterverhalten von anderen (oder deren Unfaehigkeit dazu) werden
wir nicht beeinflussen koennen.

> > Bei den Sparkassen funktioniert es leider nur auf Kundenbasis, weil dort
> > Konkurrenz und Wahlfreiheit des Geldinstituts herrscht.
> 
> Das ist ein denkbar schlechter Vergleich. Bei Banken bezahle ich eine
> Dienstleistung, im dualen Rundfunksystem zahle ich eine Sozialabgabe 
> mit dem die OeR (theoretisch) ein breites Programm produzieren sollen
> (Meinungspluralismus).

Der Vergleich bekommt dann einen Sinn, wenn man wirklich Marktmechanismen im
TV-Bereich zur Anwendung bringen wuerde, d.h. wenn man fuer alle Pay-per-View
einfuehren wuerde. Solange dieses jetzt nur punktuell der Fall ist, wie
bei Premiere, werden nur diejenigen es nutzen, welche eh keine Probleme
haben, sich mit beliebigen Informationen zu versorgen. Jetzt haben wir
lediglich in Form von TV-Quotenschaetzungen einen ungenauen Indikator.
Wo der Tatort am Sonntag eine zu bezahlende Dienstleistung wird wie in
anderen Bereichen etwa die Frage, ins Kino oder in ein Konzert oder zu
einem Fussballspiel zu gehen, wird sich die Spreu vom Weizen trennen,
aehnlich wie im Bankenmarkt. Dass Oma ihre Rente auch weiterhin zum
2%-Sparbuch traegt, und nicht wechselt, um bei einer Direktbank Online
Daytrading zu betreiben, ist ein anderer Aspekt. Aber selbige Oma
wird auch Abend fuer Abend ARD gucken, weil man ihr mal den Fernseher so
eingestellt hat und die vielen Knoepfe auf der Fernbedienung so kompliziert 
sind.

> Das es in der Praxis anders aussieht liegt a) an der Beamtenmentalitaet 
> eines ueber Jahre gewachsenen Systems (Da sind wir uns einig) und b) 
> an der mittlerweile starken Konkurrenzsituation. Gutes Programm, oder 
> sagen wir beliebtes Programm (Fussball) ist ein einfach zu teuer gewor-
> den, muss zur Beruhigung des Endkunden ("Wofuer zahle ich ueberhaupt, 
> wenn ich nicht einmal mehr die WM im Fernsehen sehen darf?") gesendet
> werden.

Ich bin der Ansicht, die WM soll gerade nur noch exklusiv im Pay-TV kommen,
damit sich der Zuschauer bewusst wird, wofuer er sein Geld ausgeben will.
Oder wie es hier heisst: watt nix kost', das iss auch nix.

Ich bin andersrum durchaus bereit, fuer einen Sender wie Arte oder
ein Hoerspiel im Radio zu bezahlen, wenn dies meinen Informations-
oder Unterhaltungsbeduerfnissen entspricht. Aber dann soll man das
Quersponsoring auch vollstaendig entflechten und nicht in den Dritten
Programmen lang abgehangenes Material zu recyceln, weil der Quotenbringer
WM einen Grossteil des Budgets wegfrisst. Dann kostet u.U. freilich der
Fussballhit "Burkina-Faso gegen Vatikanstadt" auch mal 50 DM Pay-TV-Eintritt,
wie im Real Life. Und mit Entsetzen stellt man fest, dass keine Sau da
hin geht. Wie im Real Life. Vielleicht entwickeln sich dann auch mal
realistische Preise.

Holger

-- 
"Well, from what I've read, scientific studies show men tend to be better at
dealing with visual concepts, while women are better at complex linguistic
communication." - "You mean..." - "Men are from MACs, women are from VMS"
	Erwin the AI, www.userfriendly.org