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Re: Telekommunikationsfreiheit



On Fri, May 19, 2000 at 12:00:00AM +0000,
	Mario Dueck wrote:
> Kristian meinte am 08.05.00 in /ML/FITUG
> zum Thema "Re: Telekommunikationsfreiheit":
> 
> > Ich kann denjenigen Leuten, die ich identifizieren kann (gleich
> > wie und gleich wie sicher) massgeschneiderte Inhalte liefern,
> > die ihren Erwartungen entsprechen. Das Web ist kein
> > Massenmedium, sondern es besteht aus massenhaften individuellen
> > Abrufen, die ich nach meinen Beduerfnissen und denen der Abrufer
> > individualisieren kann - je nachdem, wieviel Aufwand ich in
> > diese Individualisierung hineinstecken moechte. Das Internet ist
> 
> Das erstaunliche am Web ist aber doch gerade, dass das Prinzip der  
> Öffentlichkeit funktioniert und nicht nur einige unbedarfte Juristen davon  
> ausgehen, dass es sich um ein Massenmedium handelt. Wenn ich die Spiegel- 
> Homepage aufrufe, erwarte ich, dass mir auf dem Bildschirm im wesentlichen  
> das angezeigt wird, was vielen tausend Anderen auch angezeigt wird. Wenn  

Warum erwartest Du das? Wenn ich Cookies zulasse, dann wird mir DoubleClick
nach einiger Zeit nur noch deutsche Werbung zukommen lassen, spaetestens
dann, wenn man mich erkannt hat als jemand, der vielleicht vorwiegend auf
deutsche Seiten geht. Oder auf Unix-Seiten, oder Seiten ueber Fussball,
oder, oder, oder.

> Denkbar wäre doch folgendes Szenario (du hattest ein anderes in Bezug auf  
> Jugendschutz.net formuliert):
> Gesetzt den Fall, von einem IP-Nummernraum ist bekannt (wir blenden hier  
> einmal aus, wie dieses Wissen zustandegekommen ist), dass aus diesem sich  
> die Leute besonders oft Webseiten der Grünen und der Antiatom-Bewegung  
> anschauen, jedenfalls deutlich öfter als die von CDU, FDP, RWE. Man könnte  
> ja auf die Idee kommen, dass Abrufende aus diesem IP-Bereich einen leicht  
> anders formulierten Spiegel-Leitartikel zum Thema Atomausstieg zu Gesicht  
> bekommen, als andere. Das muss zunächst nicht einmal großartig auffallen,  

Moeglich.

> Profilverlust? Beliebigkeit? Wenn jeder auf der Spiegel-Homepage nur das  
> angezeigt bekommen würde, was er sehen wollte, wäre sie nicht mehr  
> sonderlich interessant. Dabei gibt es innerhalb des von der Redaktion  

Warum nicht? Wer z.B. die National-Zeitung liest, gehoert typisch zu
einer bestimmten Klientel, die das, was da steht, lesen will. Deshalb greift
sie am Kiosk genau zu dem Blatt. Der Webclicker greift ggf. zu der
Spiegel-Webseite, weil er da das liest, was er lesen will. 

> vorgegebenen Web-Angebots selbstverständlich die Möglichkeit zur Auswahl  
> einzelner Artikel, aber das ist bei Zeitungen ja auch so, man kann einen  
> Artikel eben lesen und einen anderen nicht. Auf die Universalität des  
> Gesamtangebots kommt es an, damit man von Öffentlichkeit sprechen kann.

Und wenn wie in Deinem Beispiel jeder Anbieter so geeignet filtert?
Als Linker bekommst Du den Eindruck, das Web ist 'rot', als Rechter ist
es schwarz, als Gruener oekologisch, etc. Wo ist es universell? Oeffentlich
ist es allemale, aber dafuer gefiltert, denn das was Du liest, ist nicht das,
was ich lese, selbst wenn wir dieselben Links anklicken (in der Vergangenheit
hatten wir es nicht getan).

> Um den Gegensatz zwischen öffentlicher Kommunikation und  
> Individualkommunikation und den himmelweiten Unterschied in ihrer Relevanz  
> zu verdeutlichen: Paperball und andere sind zwar genial zum Recherchieren  
> (individueller Abruf), sie werden aber nie die öffentliche Bedeutung  
> bekommen, wie die Publikationen, auf denen ihr Dienst aufsetzt. Gerade in  
> Bezug auf Paperball wird klar, dass so etwas wie Öffentlichkeit zuerst  
> einmal überhaupt vorhanden sein muss.

Du unterschaetzt die Auswirkungen des Netzes auf die Zukunft. Wenn 2010
Radio und TV digital werden, wird jeder eine (oder mehrere) Box zuhause
haben, welche ihm auch Internet auf den Fernseher zaubert. Was heute mangels
Kapazitaet das Videotext-System ist, wird dann in jedem Haushalt sein.
Der Wetterbericht kommt nicht mehr von der Tagesschau, sondern von einer
TV-Seite. Ob das Protokoll HTML oder XML oder WAP oder whatever heisst,
ist egal. Ich lese Zeitungen auf Papier, weil sie handlich sind und
Alternativen derzeit noch teuer sind. Gib mir digitales Papier zum
Preis und der Datenmenge  wie eine Zeitung und der Eigenschaft, auch 
auf dem Klo oder in der Badewanne lesen zu koennen und ggf. nach 
Gebrauch auch einen Fisch mit einwickeln zu koennen (Download auf 
ein e-book ist Murks, es sei denn, der Preis fuer ein e-Book liegt bei
0 DM/Euro!), dann steige ich sofort auf einen digitalen Paperboy um. 

> > Aber in seinem Wesenskern ist es eben immer und ueberall
> > staendig Individualkommunikation und daher kann ich die
> > "Oeffentlichkeit" jederzeit zusammenbrechen lassen, wenn es mir
> > opportun scheint.
> 
> Höre ich da den Administrator: "weil mein starker Arm es will ..." ?
> 
> Solche Praktiken - das Vertrauen "zusammenbrechen lassen" - sollte der  
> Anbieter nur anwenden, wenn er sich der Konsequenzen bewußt ist. Es ist  

Ich verstehe obiges eher darin, dass ich nicht mit der Umwelt kommunizieren
muss, wenn ich es will, oder anders: wenn ich nicht oeffentlich etwas
sagen will, dann schreibe ich es nicht im Usenet oder in dieser Mailingliste,
sondern maile es Dir direkt. Dann ist die Oeffentlichkeit (des Usenets
oder dieser Liste) nicht mehr beteiligt. 

> Zum Beispiel kommen als Rechte der NutzerInnen von Internetangeboten die  
> Informations- und die Zensurfreiheit in Betracht. Allerdings ist bei  
> individualisierten Web-Angeboten höchst fraglich, ob es sich überhaupt  
> noch um "allgemein zugängliche Quellen" i.S.v. Art. 5 I 2.HS GG handelt.  

Sie sind generierbar: wenn Dein Interessenprofil dem meinigen entspricht,
dann bekommen wir identische Mails/sehen identische Seiten. Die Schwierigkeit
besteht in der Vorstellung, dass wir eh bereits eine unterschiedliche
Weltsicht haben, weil wir unterschiedliche Individuen sind. Danach duerfte
ein Rechtssystem ueberhaupt keine allgemeinen Gesetze erlassen. Das tut es
aber. Es geht davon aus, dass Du generell dieselben Moeglichkeiten hast,
Dich zu informieren. Trotzdem ist die Art und Menge z.B. der Buecher, die
Du und ich gelesen haben, aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich unterschied-
lich. Aber auch Buecher, die ich nicht gelesen habe, weil sie nicht in den
Bibliotheken standen, die ich bislang besucht habe oder besuchen konnte
oder wollte oder durfte, sind oeffentlich zugaenglich.

> Nicht allgemein zugänglich sind nach einer Entscheidung des BVerfG z.B.  
> Postsendungen an bestimmte Personen (BVerfGE 18, 315). Unter "allgemein  
> zugängliche Quellen" fällt jede Informationsquelle, "die ihrem Wesen nach  
> für die Öffentlichkeit bestimmt ist" (Hesselberger in GG-Kommentar  

Sofern die Spiegel-WWW-Seite, welche ich, individualisiert durch z.B. 
ein Cookieprofil, lesen kann, Du aber durch ein anderes Profil nicht, von
tausenden anderen ebenfalls gelesen werden kann, ist sie oeffentlich. 
Du koenntest bei mir ueber die Schulter mitlesen, oder mich und andere
Bekannte fragen, was ich denn gelesen habe und Dir vielleicht eine Kopie
oder einen Ausdruck schicken lassen. Bei einer Postsendung an "bestimmte
Personen" (naemlich mich) wuerde ich dies vermutlich ablehnen (schickt mir
jemand einen Strafzettel oder einen Liebesbrief, ist er an mich gerichtet -
geht Dich gar nichts an), bei einer Seite aus dem Web wuerde ich 
grundsaetzlich davon ausgehen, dass sie offen liegt und ausser an mich 
noch an etliche andere gegangen ist. Warum? Eine Frage des Aufwands: der
Spiegelredakteur wird nicht fuer jeden Abonnenten einen eigenen Artikel
schreiben, meine Liebste (hoffe ich jedenfalls) wird ihre Liebeserklaerungen
hingegen nicht hektographieren.

> Mediendienst oder nur um einen Teledienst handelt. Vielleicht ein  
> Qualitätssiegel für Mediendienste, das die Einhaltung von Standards für  
> Öffentlichkeit (z.B. keine in Abhängigkeit vom Abrufenden wechselnden  
> Inhalte hinter URLs) belohnt?

Eigentlich erwarten wir es doch, dass man sich um uns persoenlich kuemmert.
Der Verkaeufer, der uns persoenlich bedient, ist uns lieber als ein
anonymer Grabbeltisch. Wenn der Verkaeufer sich uns nicht aufdraengelt.
Ich lese doch z.B. den Spiegel, weil mich das interessiert, was da drin 
steht. Und der Spiegel schreibt das in der Form, wie es seine Kundschaft,
darunter z.B. ich, gerne sieht. Das ist ein symbiotischer Effekt. Andere
lesen Bild oder FAZ oder das Handelsblatt oder die c't oder Frau im Spiegel.
Alle sind oeffentlich.

Holger

-- 
begin  LOVE-LETTER-FOR-YOU.txt.vbs
You are using dangerous junk software which will arbitrarily interpret 
fully valid text. Get rid of this garbage and use correctly working software.
end