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AW: FTD portraetiert Wolfgang Tauchert





> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von:	PILCH Hartmut [SMTP:phm@openecs.org]
> Gesendet am:	Montag, 30. Oktober 2000 17:48
> An:	swpat@ffii.org
> Cc:	debate@fitug.de
> Betreff:	FTD portraetiert Wolfgang Tauchert 
> 
	[Tauchert Wolfgang]  
	Sehr geehrter Herr Pilch, 
	
	anbei mein Kommentar zu Ihrem Kommentar:
	 
> Tauchert redet gern über seine Arbeit. Und wenn er - heute in 
> Saarbrücken, morgen in Berlin - über seine Arbeit spricht, spitzen 
> Insider die Ohren. Schließlich ist der Mann mit dem dichten weißen 
> Haar und dem urbayerischen Akzent eine zentrale Figur der New Economy 
> in Deutschland. Seit 1995 leitet der 56-Jährige die Abteilung 1.53 
> beim Deutschen Patentamt in München. Egal ob IBM oder Startup: Wer 
> kreativ ist in der IT-Branche, dessen Erfindungen landen auf den 
> Schreibtischen von Taucherts 26 Mitarbeitern. 
> 
> >>
> 
> Na ja, das ist ja wohl ein bischen zu klischeehaft.
> Bekanntlich nutzen < 5% aller Softwarefirmen das Patentwesen, und 
> ob das unbedingt die kreativsten sind, darf bezweifelt werden.
> 
	[Tauchert Wolfgang]  
	Im Jahr 1999 haben nach meiner Statistik haben 1128 Firmen im
IPC-Bereich G06 - G11, wo also die meisten "Software-Patente" in Ihrem Sinne
anfallen, Patentanmeldungen getätigt (938 mit Sitz in Deutschland). 1068
(850) Firmen haben weniger als 5 Patente angemelder, ca 1000 (800) nur 1-2.
Es mag ja sein, daß viele Patente nicht aus innerer Überzeugung anmelden,
sondern aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen oder auch Zwängen. Die
wirtschschaftliche Absicherung ist ja gerade ein wesentlicher Gesichtspunkt
beim Patent.    
> <<
> Die Abteilung 
> bearbeitet Erfindungen in der Datenverarbeitung: neuentwickelte 
> Speicher, Smart-Cards und nicht zuletzt Software-Patente.  
> >>
> 
> Es ist sicherlich auch nicht gerechtfertigt, das, was ueber Herrn
> Taucherts Tisch geht, generell als "Erfindungen" zu bezeichnen.  Meistens
> handelt es sich um Versuche, Problemstellungen zu patentieren, denen Herrn
> Taucherts Abteilung, wie ein Blick in die Patentdatenbank zeigt, meistens
> nachgibt.  Patente auf "Speicher und Smart-Cards" sind meistens
> verkleidete Softwarepatente.  Das "und" passt also nicht.
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Wie schon früher gesagt, eine Erfindung ist
kein Nobelpreis. Über das Niveau kann man diskutieren. Nach den von der
Rechtsprechung (BPatG und BGH) erarbeiteten Maßstäben handelt es sich
jedenfalls um Erfindungen. Von den Anträgen führen ca. 2/3 zu einem Patent,
natürlich nach entsprechender Einschränkung gegenüber dem im Verfahren
ermittelten Stand der Technik. In der Regel sind es eben nicht nur
Problemstellungen, sondern technische Lösungen, die geschützt werden. Gerade
bei Smartcards geht es in der Regel eben nicht um verkleidete
Software-Patente, das "und" ist also genau richtig. Generell ist es Ihem
Anliegen nicht förderlich, wenn Sie ohne Kenntnis der Fakten Behauptungen
aufstellen.  
> <<
> 
> "Dass sich die Situation so zuspitzt, hat mich überrascht", sagt 
> Tauchert und spielt damit auf die Debatte um Sinn und Unsinn von 
> Software-Patenten an. Die einen sehen in den Patenten Schutz von 
> geistigem Eigentum, die anderen eine Bremse für den Fortschritt: 
> Software wird in kleinen, aufeinander bauenden Schritten entwickelt. 
> Da können Patent-Inhaber die Erfinder stoppen, wenn sie Lizenzen 
> verweigern oder nur für viel Geld vergeben.  
> 
> >>
> 
> Nicht schlecht gesagt, aber es ist nicht nur eine Frage der Hoehe des
> Lizenzgeldes. Schon die Existenz eines Patentes stoppt
> Opensource-Entwicklungen, die ja den volkswirtschaftlich
> wuenschenswertesten Teil der heutigen Softwareentwicklung darstellen.
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Ich bin davon überzeugt, daß unter den
Anmeldern auch Opensource-Entwickler vertreten sind und sehe daher nicht
unbedingt einen Widerspruch zwischen Opensource und Patent. Man muß eine
entsprechende Patentanmeldung nur vor der Veröffentlichung des Quellcodes
einreichen.     
> <<
> 
> Tauchert hat eine klare Meinung zu dem Thema: "Gerade Startups 
> brauchen den Schutz von Patenten", sagt er. Und weiter: "Die Gegner 
> der Patente verfolgen eigene Interessen, nämlich den unbeschränkten 
> Zugriff auf das geistige Eigentum anderer."  
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Den Eindruck habe ich in der Tat. Wenn ich die
Dabatte verfolge, so geht es doch weniger um die immer wieder bemühten
"Trivial-Patente" (one-click u.s.w.), mit denen sich sicherlich ganz gut
Stimmung machen läßt, auch gerade im Hinblick auf die Verhältnisse in USA.
Viele davon dürften einer ernsthaften Überprüfung, gerade durch
Opensource-Entwickler, kaum standhalten. Was die Szene wirklich stört, sind
technische Verfahren wie  z. B. das Kompressionsverfahren MP3, das auch nach
Ihrer Ansicht patentwürdig ist (so habe ich Sie jedenfalls verstanden).
Diese sind durch Urheberrecht nicht zu schützen, durch Patent auf das
Verfahren (das einen Algorithmus verwendet), aber sehr wohl. Der Schutz
dieser technischen Verfahren ist eben Ziel des Patents. Ein Verfahren zur
Datenkompression ist nach meinem Verständnis ebenso technisch wie das dem
ABS zugrundeliegende (Brems)-Verfahren. Denn es handelt sich - im Sinne der
Technik-Definition des BGH - um "planmäßiges Handeln unter Einsatz
beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs
ohne Zwischenschaltung der menschlichen Verstandestätigkeit".      
> >>
> 
> Das ist in der Tat Herrn Taucherts Standard-Formel, die auch gegen jede
> Diskussion immun ist.  Herr Tauchert zeigt insbesondere in privaten
> Diskussionen durchaus Lernbereitschaft, aber in der Oeffentlichkeit kehrt
> er dann immer wieder zu dieser Formel zurueck, als waere nichts gewesen.
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Tut mir leid, ich bin eben dem geistigen
Eigentum verpflichtet. Dabei erkenne ich durchaus die Leistungen aus dem
Open Source-Bereich an und meine, daß die sich in einer entprechenden
Lizensierung niederschlagen sollten. Damit , so denke ich, ist gerade dem
"Open Source"-Bereich mehr gedient als mit Grundsatz-Diskussionen zum
Patentrecht und zum Begriff der Technik. Daß der Schwerpunkt umgekehrt
darauf gelegt wird, erweckt in mir den Eindruck ("cui bono"), daß nicht
"Open Source" von der Aktion profitieren soll, sondern kommerzielle
Software-Unternehmen allgemein, und dies eben durch den unbeschränkten
Zugriff auf das geistige Eigentum anderer (z.B. der Entwickler des
MP3-Verfahrens). 
> <<
> 
> Neu ist: Was früher nur in Fachkreisen diskutiert wurde, beschäftigt 
> heute die Öffentlichkeit. Gerichte, Unternehmen und die Politik 
> interessieren sich auf einmal für die Münchner. Das Gros der 
> Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofes zu Software-Patenten nahm 
> dort seinen Anfang: 
> 
> >>
> 
> Na ja, die praegenden Urteile wie Dispositionsprogramm (1976),
> Antiblockiersystem (1980), Flugkostenminimierung (1981) setzten meist auf
> vorigen BPatG-Urteilen auf und praegten dann wiederum die
> Pruefungsrichtlinien des DP(M)A und EPA.  Insbesondere beim
> Dispositionsprogramm-Beschluss schuf der BGH sehr weitgehende eigene
> Theorien, die kaum ihren Anfang im DPMA genommen haben duerften.  
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Wieder nicht richtig. Damit das
Bundespatentgericht tätig werden kann, muß eine beschwerdefähige
Entscheidung des Prüfers oder der Patentabteilung. Jedes strittige
Verfahren, das auf nationalem Weg beim BGH landet, wird am DPMA angestoßen.
Und da Widerruf oder Zurückweisung begründet werden müssen, sind diese
Beschlüsse der Ausgangspunkt auch für weiterführende Betrachtungen des des
Bundespatentgerichts und des Bundesgerichtshofs. Wie die Ihnen bekannte
Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, hat das DPMA sich der Patentierung
programmbezogener Erfindungen durchaus konservativ angenähert, wobei der am
Bundesgerichtshof entwickelte Begriff der Technik 
> <<
> 
> Programme werden unter strengen Voraussetzungen patentiert.
> 
> >>
> 
> Laut der Rechtsprechung bis 1981 wurden Programme ueberhaupt nicht
> patentiert.  Selbst im Grenzfall "Antiblockiersystem" wurde nicht ein
> Programm sondern ein Bremsverfahren patentiert.
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Dies eben sind die programmbezogenen
Erfindungen, die oft als Verfahrensansprüche formuliert werden. 
	
> Das ist sogar bis heute so geblieben, auch wenn die Kriterien der
> Patentierung von Verfahren mit der Seitenpuffer-Entscheidung von 1992 und
> zuletzt der Serie von "Verkaufsautomat" bis "Logikverifikation" und
> "Sprachanalyse" erheblich aufgeweicht wurden.
> 
> Der 17. Senat des BPatG hat sich mit der Verweigerung von Anspruechen auf
> ein "Computerprogrammprodukt" und ein "Computerprogramm" im August 2000
> auch nicht etwa gegen den BGH aufgelehnt sondern lediglich einen
> immanenten Widerspruch der neuen BGH-Rechtsprechung auf die Spitze
> getrieben und die Rechtsbeschwerde zuzulassen, damit der BGH erklaeren
> kann, ob denn nun Computerprogramme patentiert werden koennen.
> 
> Frau de Paolis Aussage, dass die Voraussetzungen fuer die Patentierung
> eines Computerprozesses beim DPMA oder beim BPatG oder BGH streng seien,
> kann allerdings nur Gelaechter hervorrufen.  Man werfe einen Blick in die
> Schrottdatenbank, die aus dem EPA und dem DPMA Jahr fuer Jahr
> heraussickert (allerdings bis heute fuer die Oeffentlichkeit schwer
> zugaenglich ist).  Heute morgen zitierte ich hier den Anspruchsbereich
> eines Sun-Patents auf die Problemstellung der Visualisierung des
> Make-Befehls.  Beim BPatG stand kuerzlich ein triviales "Verfahren und
> Computersystem zur Suche fehlerhafter Zeichenketten in einem Text" von IBM
> zur Debatte und wurde nicht beanstandet.  Konnte es auch gar nicht, denn
> allein durch formale Kriterien wie "Neuheit" und "Erfindungsschritt" ist
> dem Problem nicht beizukommen, wenn man erst einmal die wirklich strengen
> Kriterien, die der BGH 1976 im Dispositionsprogramm-Beschluss angelegt
> hatte, ueber Bord geworfen hat, s. dazu
> 
> 	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html
> 	Gert Kolle, Vater des Computerprogramm-Ausschlusses, erlaeutert 
> 	die dahinter stehende Rechtssystematik
> 
> <<
	[Tauchert Wolfgang]  Wie gesagt, ein Patent ist kein Nobelpreis,
über die erfinderische Tätigkeit läßt sich diskutieren. Entscheidend dafür
ist der ermittelte Stand der Technik. Damit ist z.B. das als technisch
beurteilte ABS-Verfahren wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit
zurückgewiesen worden. 

> Unternehmen, die ein Nein aus München nicht hinnahmen, 
> zogen vor Gericht. "Wir haben mit unseren Entscheidungen das Material 
> für zahlreiche Urteile geliefert."  
> 
> >>
> 
> Viele Jahre kamen dem BGH nur die Stimmen von Patentvertretern zu Ohren,
> die ueber die schreckliche Diskriminierung klagten, die ihnen dadurch
> widerfuhr, dass ihre Innovation in ein "Niemandsland des geistigen
> Eigentums" (Kolle) fiel.  Unter dem Chor dieser Stimmen knickte der BGH
> ein und nutzte die rechtstechnischen Moeglichkeiten zur Verbiegung des
> Gesetzes, vor deren Nutzung Kolle 1977 vorausschauend gewarnt hatte.
> 
> 
	[Tauchert Wolfgang]  Der BGH ist nicht "eingeknickt", er hat nur den
von ihm entwickelten Technik-Begriff konsequent angewandt. Wie gesagt, MP3
ist ebenso technisch wie ABS, es macht keinen Sinn, das eine Verfahren für
technisch zu bewerten und das andere nicht. Damit gäbe es in der Tat ein
"Niemandsland des geistigen Eigentums". "Eingeknickt" sind schon eher einige
Politiker, als im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatentgesetz die
Streichung der "Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche" vom
Europäischen Parlament ausdrücklich  verlangt wurde. Jetzt knicken sie
möglicherweise wieder ein, wenn EPÜ die entsprechende Revision  verschoben
wird. Dies bleibt aber ohne Konsequenz für die Praxis der Ämter, dafür ist
ohnehin die auf dem bisherigen Gesetzestext beruhende Rechtsprechung von BGH
und BPatG entscheidend.    
	
	
	Mit freundlichem Gruß 
	
	
	Wolfgang Tauchert, DPMA, Abt. 1.53 (Datenverarbeitung und
Informationsspeicherung)