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Re: Lessig und das Monti-Prinzip



PHM schrieb:

>Schizophren ist es aber, wenn das Wettbewerbskommissariat der EUK
>einerseits den unbeschraenkten Buchpreiswettbewerb vorantreibt und
>andererseits im Namen der Belohnung von Ideen neue staatliche
>Monopole befuerwortet.   Sowohl beim Buchpreiskartell als auch bei
>Softwarepatenten dient die Wettbewerbsbeschraenkung (angeblich) der
>Belohnung der Urheber von Ideen, die bei einem ungehinderten Wettbewerb
>(angeblich) zu kurz kaemen.

Nein, das ist nicht schizophren, wenn man die zutreffende Referenz
korrekt waehlt. Bitte auseinanderhalten: Es geht hier um Politik,
also um den Erhalt bzw. den Ausbau von bestehenden Macht(sphaeren),
und nicht, wie im Bereich der Wissenschaft, um an Wahrheit
orientierte Konsistenz, gar Logik. (Politische Programmatik, die
zumindest leidlich auf dem Papier den Anspruechen der Konsistenz
genuegen muss, um eine Chance auf Ueberzeugbarkeit zu erhalten, ist
von nachrangiger Bedeutung und steht im Dienste der
Machtorientierung. Im Zweifel wird Konsistenz fallengeglassen. Man
nennt das dann "pragmatisch".) Es ist schlichte Kraftverschwendung,
den Kopf zu schuetteln (und langsam zu verzweifeln), wenn man wie
Hartmut hier mit der falschen Referenz urteilt und nach dem Motto
argumentiert: "Aber Ihr muesst doch einsehen, dass das alls voellig
inkonsequent, irre, gaga ist..." (Noch schlimmer, um nicht zu sagen
politisch verheerend als solch ein Referenzverfehlen ist es
allerdings anzunehmen, dass sich in einem Quasi-Automatismus
bestimmte Entwicklung von allein erledigen werden, nur weil sie als
unlogisch erscheinen oder technisch nicht funktionieren (siehe zu
letzterem: Filter).)

Ich moechte mir etwas die Zeit nehmen, um einmal kurz auszuholen: Es
ist ein Kennzeichen moderner Gesellschaften, dass sich bestimmte
Rationalitaetssphaeren (dies ist ein schlechter Begriff, aber spontan
besser verstehbar als der korrekt zutreffende Begriff
"Sozialsysteme") voneinander separiert haben (um die prominentesten
Abspaltungen aufzulisten: Wissenschaft von Religion, aber auch von
Politik und Oekonomie; Oekonomie von Politik; Politik von Religion
(noch ganz wach im Bewusstsein duerfte dies fuer die meisten Tuerken
als der von Atatuerk betriebene Laizismus sein. Durch die Spaltung
von Staat und Kirche ist paradoxerweise ein Glaubensfundamentalismus
im Sinne eine radikalen Selbstbesinnung von Kirche auf sich selbst
moeglich, der zugleich aber nicht mehr politisch durchschlaegt);
Oekonomie von Religion). Diese "funktional-differenzierten" Systeme
operieren jeweils autonom anhand bestimmter spezialisierter
Strukturen, die allein sie aufrechterhalten. Oekonomische
Kommunikation orientiert sich bspw. letztlich allein an Zinsbildungen
(fuer einen Kaufmann MUSS sich bspw. die Ruecksicht auf ethische
Belange sich letztlich besser rechnen, ansonsten hat er ALS Kaufmann
(wenn vielleicht auch nicht als Vater, Politiker, Kuenstler...)
versagt.), politische Komm. orientiert sich allein an Erhalt/ Ausbau
von Machtdifferenzen, juristische Komm. an Erhalt/ Ausbau von Recht/
Nichtrecht, wissenschaftliche Komm. an Wahr/ Falsch. Die Sphaeren
sind nicht substituierbar, Transformationen ineinander sind nicht
trivial moeglich, sondern nur unter Einrechnung kontingenter
(unberechenbarer, aber nicht-chaotischer) Wirkungen (wie man gerade
wieder sehen konnte an der politischen Intervention der EZB in Form
des weitgehend vergeblichen Aufkaufens des Euro). Es gibt keinen
privilegierten (also: logisch bequemen) Punkt mehr, von dem aus eine
zentrale Ordnung hergestellt werden koennte, die allem anderen eine
bestimmte Position zuwiese (eine solche Ordnung doch herstellen zu
wollen waere ein ebenso absolutistisches (politische Referenz) wie
theologisches (religoese Ref.) wie universalistisches (wissenschaftl.
oder oekonomische Ref.) Unterfangen, das die anderen Sphaeren
schlicht ignorieren wuerden. Organisationen (Betriebe, Verwaltungen,
Parteien und Buergerinitiativen, Vereine, Schulen) fungieren hierbei
nun als Durchlauferhitzer, in denen diese verschiedenen Ansprueche
aufeinander abgestimmt und in erwartbare Handlungen verwandelt werden
muessen. Fazit: Es ist eben genau nicht so, dass Vernuenftiges (Ref:
Wissenschaft) und offensichtlich Marktfaehiges (Ref: Oekonomie)
schon zwangslaeufig zu den dazu kompatibleren politischen Massnahmen 
in der EU fuehren.

Gruss, Martin
-- 
Martin Rost - http://www.netzservice.de/Home/maro/ - Germany, Kiel