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Re: Technikbegriff im Detail



On Tue, 5 Dec 2000, Rigo Wenning wrote:

> Wir regen uns alle vor allen Dingen über die Schöpfungshöhe auf
> und dass die Patentämter den überblick verloren haben und dass es
> jetzt schon Patente gibt, wie man die Café-Tasse halten kann. 

> Der automatische Schluss von PHM ist: Wenn da keine Patente sind,
> dann gibt es keine Monopolisierung und ich kann meine Tasse
> halten, wie ich will. Hat was für sich, ist aber gegen das
> Patent-System als Ganzes gerichtet und auch so zu verstehen. 

Du unterstellst mir gleich von vorneherein einen Standpunkt, der nicht
meiner ist.  Vielleicht weil du gegen einen solchen Pseudo-Standpunkt
leichter argumentieren kannst?

In jedem Falle ist das eine unlautere Argumentationstaktik.  AHH tut
ähnliches in seinem Papier auch.  Er richtet seine Kritik allerdings nur
gegen eine nicht weiter benannte Gruppe von Kritikern:

  Um die Besorgnisse der Kritiker des Patentsystems im Hinblick auf die
  Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen auf der Ebene der
  materiellen Patentierungsvoraussetzungen auszuräumen, bedürfte es
  nicht nur des Ausschlusses aller jener Anspruchsgegenstände von der
  Patentierbarkeit, die aus sich selbst heraus erkennbar auf eine
  computergestützte Implementation abzielen; jegliche Erfindung im
  Zusammenhang mit elektronischer und im Hinblick auf die Entwicklung
  bislang noch in den Anfängen steckender zukünftiger andersartiger
  Basistechnologien biotechnischer und quantentechnischer
  Signalverarbeitung(54),(55) wäre dann vom Patentschutz auszunehmen. Es
  könnte sich nämlich durchaus ein Eindruck aufdrängen, daß es den
  Kritikern hierbei de facto im Endeffekt nicht mehr nur um eine
  Reparatur des Patentwesens im Hinblick auf besondere Probleme im
  Umfeld der Patentierung softwarebezogener Erfindungen, sondern um eine
  großflächige Aushebelung des Patentwesens als Ganzes geht, denn gerade
  diejenigen Bereiche, die sich derzeit als wirtschaftlich und
  technologiepolitisch besonders vielversprechend darstellen, wären
  sämtlich aus dem Patentwesen herausgenommen. Im Ergebnis käme dies
  einer Wiederaufnahme der Patentdiskussion des XIX.  Jahrhunderts
  gleich, in deren Verlauf die sich um das Jahr 1850 herum in
  Deutschland formierende Antipatentbewegung argumentierte, daß die
  Erfindungspatente dem Gemeinwohl schädlich seien und die
  Gewerbetätigkeit hemmten.(56) Dabei ist die Frage nach dem
  makroökonomischen Nutzen des Patentwesens damals ebenso legitim wie
  heute; es wäre jedoch wünschenswert, wenn die Diskussion offen geführt
  und nicht hinter einer Spezialfrage versteckt würde.

Wie bereits zuvor hier gesagt:  Die Diskussion wird offen geführt. Es geht
tatsächlich darum, das Patentwesen aus Bereichen der reinen Vernunft
zurückzudrängen und in dem Bereich zu halten, für den es geschaffen wurde
und in dem der Gesetzgeber und der gewohnheitsrechtliche Konsens der 70er
Jahre es haben wollten:  den Bereich der (mit Naturkräften
experimentierenden) Technik.

Sicherlich bleiben dadurch zunehmend viele wirtschaftlich interessante
Bereiche außerhalb des Patentwesens.  Das tut dem Patentjuristen in der
Seele weh.  Es gibt dem Rest der Gesellschaft aber ein Stück Freiheit
zurück.  Nicht nur Freiheit von Monopolen sondern auch die Freiheit,
Gesetzesregeln unbeschadet von TRIPS selbst zu bestimmen und, falls das
wirtschaftspolitisch gewünscht ist, auch Patente auf "biologische
Signalverarbeitung" (Bioinformatik) etc zu vergeben.  Diese Sicht
bestätigt auch AHH:

  Obgleich TRIPS in Art. 71 eine Revisionsklausel enthält, ist derzeit
  politisch kaum mit einer Veränderung des Art. 27 zugunsten von "Freier
  Software" zu rechnen. Wie vorstehend erläutert, ist eine präzise
  Ausgrenzung der Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen ohnehin
  nicht leistbar; durch Modifikation materieller
  Patentierbarkeitsbestimmungen wären "Softwarepatente" allenfalls dann
  zuverlässig verhinderbar, wenn das Patentwesen auf einen heute
  wirtschaftlich eher uninteressanten Residualbereich von
  "ölverschmierten" Erfindungen fernab jeder Elektronik und
  Nachrichtentechnik zurückgeschnitten werden würde. Es ist derzeit aber
  keinerlei makroökonomischer Aspekt greifbar, der eine derartige
  "Radikaloperation" rechtfertigen könnte.

> Andere sagen einfach, das Patent- und Urheberrecht sei von Lobbyisten
> so beeinflusst worden, dass die Schöpfungshöhe praktisch abgeschafft
> wurde (so Hoeren). Damit sei ein Verzetteln und ein Untergang der
> Bürokratie vorprogrammiert und es komme zu den uns bekannten
> Friktionen. Das System sei eines wesentlichen Bausteins beraubt. Das
> richtet sich auch gegen die Entstehung eines Patent-Anspruchs.

Was für ein Text von Hören ist das?

M.E. ist das Problem bei weitem nicht nur die Schöpfungshöhe.
Wie will man letztere auch messen?  
"Mindestens 20 Gehirnwindungen?"
Da finde ich einen strengen Technizitätsbegriff brauchbarer.
Der hängt direkt mit der Schöpfungshöhe zusammen:

  "Eine Erfindung verkörpert eine Lehre, wie man auf neuartige Weise
   Naturkräfte unmittelbar zur Verursachung eines nach bisherigem
   Wissensstand nicht rechnerisch vorhersehbaren Erfolges bei der
   Herstellung materieller Güter einsetzt."

M.a.W.  die Art eine Kaffeetasse zu halten ist deshalb nicht patentierbar,
weil die Gesetze der Mechanik bekannt sind und die bei dieser
"Erfindung" zum Tragen kommenden Naturkräfte nicht so komplex sind, dass
ich ihre Wirkung nicht rechnerisch vorhersehen könnte.  Das erfordert also
nach heutigem Stand der Kunst kein Experimentieren.  Bei einem neuen
Medikament hingegen sieht das ganz anders aus.  Die rechnerische Chemie
ist längst nicht so weit.
 
> Wenn H. dann nachlegt und sagt, der "Anspruch aus" ist dann
> gleichzeitig der "Anspruch auf", dann scheint PHM bestätigt. 

> Aber: H. hat hier einen bekannten Spruch für Zivilrechtler und
> vor allen Dingen den Anspruchsaufbau des BGB im Kopf. Das Patent-
> und das Urheberrecht weichen jedoch hiervon ab. Darin sieht AHH
> eine Lösung:

Was der "Anspruch auf" ist, muss unabhängig von der Konstruktion einer
Patentschrift beurteilt werden.  Art 52 ist nicht eine bloße Anweisung zum
Verfassen von Patentschriften sondern eine Aussage darüber, welche
Gegenstände ich patentieren kann.  Einen Gegenstand zu patentieren
bedeutet, Konkurrenten den Nachbau dieses Gegenstandes verbieten zu
dürfen.  DarAUF habe ich einen Anspruch. 
 
> Im Prinzip gibt es einen Anspruch. Der Anspruch kann aber Grenzen
> haben. Ich kann mich den Dingen von zwei Seiten nähern. Eigentum
> ist das Recht, mit einer Sache zu verfahren, wie man will. Die
> Sozialbindung des Eigentums zeigt dem Anspruch aber Grenzen.

Ein unbestritten notwendiger und sinnvoller Ansatz.
 
> Genauso ist es hier auch. Im Urheberrecht und im Patentrecht gibt
> es sogenannte Schranken. Die Privatkopie ist eine solche
> Schranke. Die Lobbyisten fahren schon lange Attacken gegen diese
> Schranken (wie auch gegen die Schöpfungshöhe). 
> 
> Wer was von wem verlangen kann, ergibt sich letztlich erst dann,
> wenn man zuerst ein Patent erhält, das einen Bereich abdeckt,
> sodann ein anderer, der diesen Bereich nutzt gerade KEIN Recht
> hat das zu tun was er tut. Ist die Nutzung von einer Schranke des
> Urheber- oder Patentrechts gedeckt, dann ist der "Anspruch auf"
> (ein Patent) zwar vorhanden, der "Anspruch aus" (dem Patent gegen
> einen Dritten) aber nicht durchsetzbar.
> 
> Schranken gibt es wenige: Privater Gebrauch, Bibliotheken und
> Tagesneuigkeiten. AHH will noch eine Schranke: OSS. 

Zu wenig.  Die Schranke müsste lauten: "alle Urheberrechtsgegenstände,
z.B. Gebrauchsanweisungen und Datenverarbeitungsprogramme". 

Die proprietäre Software hat es nicht verdient, dass wir sie so in den
Patentmorast stoßen, wie ihr es zu beabsichtigen scheint.  Die Strafe
für einen solchen Mangel an Solidarität wird OSS auf dem Fuße folgen.
 
> Wie er diese Schranke ausgestalten will, kann man in der JurPC
> nachlesen.
> 
> Ich denke er hat jedenfalls einen sehr viel realistischeren
> Ansatz als PHM, da das Rad aufgrund EPÜ, TRIPS und sehr starker
> Lobbyistenverbände kaum zurückgedreht werden kann. Die Kräfte für
> AHH's Lösung zu bündeln, würde ich daher für zielbringender
> halten..

Das EPÜ ist auf unserer Seite.
TRIPS kann man, wie oben von AHH aufgezeigt, durchaus so
"radikal" interpretieren, dass wir allen Freiraum haben.
Die Lobbyistenverbände stammen fast ausschließlich aus der Juristenzunft.
Ein paar IBM-Leute haben sich halbherzig drangehängt, weil ihnen das ganz
gut in den Kram passt.
AHHs Ansatz ist sehr gut, und FFII arbeitet im Moment dafür.
Es wäre schön wenn Ihr Eure Kräfte für diesen Ansatz bündeln würdet,
statt sie vornehmlich für Kritik an anderen Ansätzen zu verpulvern, die
FFII u.a. außerdem mit nachgewiesenem Erfolg verfolgt.
Zum Thema "Realismus" muss ich immer wieder Brecht und Stallman zitieren:

	Wer kämpft, kann verlieren.  Wer nicht kämpft, hat verloren.

	You don't win a battle by asking "Can we win?"
        You win it by doing your best to win.

-phm