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Re: Experiment zu Machtstrukturen und Zensur im Internet



Hallo Martin,

Martin Rost schrieb:
> 
> - Sie darf nicht nur, sie muss sich solche Koketterien leisten, weil
> sich Macht als pure Macht gerade dadurch ausdruecken laesst, auch
> ohne Ahnung von irgendwas zu haben relevant entscheiden zu koennen.
> Das ist nicht bloss unbedacht oder naiv, sondern fuer ihre Position
> sogar noch funktional.

nur läßt sich daraus schnell ersehen, was passiert wenn Leute ohne
entsprechendes Hintergrundwissen anfangen, selbst Entscheidungen zu
treffen oder pseudo-populistische Äußerungen von sich geben.

  Beispiel:
  http://www.heise.de/newsticker/data/jk-25.11.00-004/


> Nur Techniker glauben, dass Ahnung zum
> Erhalt/Ausbau von Macht fuehrt. 

Demjenigen, der die Macht hat geht es sicher auch um deren Erhalt und
das ist sein gutes Recht.

Nur kann ich nicht alles gutheißen, nur weil dies jemand tut um seine
Macht zu erhalten; gerade dann wenn man sich Gedanken zu einem solchen
Komplex macht, darf man nicht immer nur davon ausgehen was nun anhand
der rechtlichen Lage oder dem Wunsch zur Machterhaltung geboten ist,
sondern es sind Beschreibungen des gesellschaftlichen Wunschzustandes
gefragt.

Beispiel: Links auf Markenrechtlich geschützte Begriffe (FTP-Explorer);
Nazi-Auktionen; Holocaust-Leugnung aus dem Auslang und so weiter.


> Hinter der Losung "Wir duerfen unser Klientel nicht ueberfordern!"
> steckt vielfach eine elitaer-undemokratische Haltung oder auch nur
> eigenes Unvermoegen, einerseits. 

Ja :-)


> Fazit: Man sollte Hollywood aus meiner Sicht nicht vorwerfen, dass
> Unterhaltung unterhaelt und nicht aufklaert. Frau Bullock ist schoen.
> Und sie hat offenbar Sorgen. Das ist die Message. Ueber ihre
> Schoenheit und ihre Form des Umgangs mit ihren Sorgen liesse sich
> streiten. Um mehr nicht. 

Doch! (siehe folgendes)


> Die Materialien, mit denen dafuer hantiert
> wird, sind belanglos. 

Nein!
Jeder Künstler, Politiker, Journalist, Medienschaffende ... hat eine
gewisse Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Vereinfachungen, die
zu einer völlig falschen Darstellung von Tatsachen werden und die
geeignet sind, beim Zuschauer/Leser/... ein völlig falsches Bild zu
erzeugen, können sehr gefährlich sein. Der nächste Schritt ist, unter
dem Deckmantel der Unterhaltung (bewusst oder unbewusst) staatliche oder
wirtschaftliche Propaganda zu verbreiten.

Die Leute, die sich "Das Netz" anschauen, erhalten davon ein Bild vom
Netz. Dieses Bild ist in vielen Fällen falsch. Und dann passiert es,
dass eben genau diese Leute, die aufgrund von falscher Darstellung ein
falsches Bild davon haben, über eben jenes Entscheidungen treffen. Diese
Entscheidungen können bedeutungslos sein (Kaufen oder nicht-Kaufen eines
Computers) oder aber durchaus gesellschaftliche Auswirkungen haben
(Stichwort Cybercrime).

Es kommt natürlich immer auf die Gesamtzusammenhänge drauf an; dass
elektronische Geräte funken schlagen und explodieren wenn sie kaputt
gehen ist durchaus ein filmisches Stilmittel das ich für nahezu
unbedenklich halte. ;-)


> Oder glaubst Du, jemand ging primaer in den
> Film, um sich ueber E-Mails aufklaeren zu lassen?

natürlich macht das kaum jemand, aber Leute die kein Bild vom Netz
haben, erhalten durch solche Filme eins.


> Das ist unzutreffend. Wie historisch nie zuvor bestimmt der
> Interessent heutzutage hoechst selbst, welches Aufloesungsniveau er
> sich zumuten mag. Das faengt in Bezug auf Computertechnik bei den
> verschieden hoch aufloesenden Computer-Publikumszeitschriften an und
> hoert bei Hochspezialannotationen aus Wissensdatenbanken auf. Die
> Funktion einer Barbie-Puppe besteht sicher nicht darin, die
> aesthetischen Wonnen der Mathematik zu vermitteln.

es ist wohl unbestreitbar, dass damit auch eine gewisse Rolle der Frau
dargestellt wird, was bei Barbie ja nichts neues ist.

Im übrigen ist nicht jeder Interessent in der Lage, sich das gewünschte
Auflösungsniveau selbst herauszusuchen. Diejenigen, die heute neu mit
Computern anfangen, haben oftmals keine andere Möglichkeit als sich der
Technik zu ergeben; alles andere ist mit sehr sehr sehr viel Arbeit
verbunden. Und wenn ich hier so herumgucke: kaum einer hat Interesse
sich damit -- seien es die Hintergründe von Software oder des Netzes --
genauer auseinanderzusetzen. "Ich will dass es geht" ist das Motto,
nicht "ich will verstehen". Diese haltung kann ich durchaus
nachvollziehen, wenn auch nicht befürworten.
Schau Dir doch mal die Software an, die heutzutage so auf dem Markt ist:
die Hintergründe werden verschleiert, den Benutzern wird kein
Verständnis über die ablaufenden Mechanismen gegeben.

Früher war es so, dass man ganz ganz genau wissen musste, was wo wie
warum eingestellt wird. Heute kann man oftmals nur noch ganz grob und
ungefähr einstellen: "hunderte Farben, tausende Farben, Millionen
Farben" ...

Besonders krass ist dies bei der AOL-Oberfläche. Die Leute können
oftmals gar nicht verstehen was da passiert. Das Argument "AOL ist Dreck
und das nimmt man nicht" ist richtig. Nur woher soll das Otto Normaluser
wissen? Sich AOL holen und dann informieren? Wo, im AOL-Chat? ;-)

Man muss sich sehr sehr stark anstrengen und dafür interessieren, um
überhaupt mal hinter die Funktionsweisen zu kommen.


Anders war es zum Beispiel bei meinem Lieblings-DTP-Programm Calamus:
Dort gibt es ein Modul namens Rastergenerator, der die Erstellung der
Raster für die Ausgabe (also Rasterwinkel, -Weite usw. zur Reproduktion
von Farbabstufungen) zuständig war. Auf der Seite des Interfaces konnte
man für jede Druckfarbe Winkel und Weite etc. einstellen. Es gab
weltweit vielleicht ein Duzend Leute, die in der Lage waren, saubere
Rastereinstellungen für den Vierfarbdruck zu erstellen (dies ist nicht
ganz trivial). Das ist genau das Gegenteil von AOL: so
Low-Level-kompliziert, dass es keiner versteht.
1996 habe ich den RGE neu programmiert (Hauptaufgabe war: 200 mal
schneller als das Original ;) ). Aber es war dann nicht so wie bei den
üblichen Programmen, dass der Anwender nur irgendwelche schwammigen
Einstellungen vornehmen kann, sonern es gab eine Automatik und jeder
konnte sich anschauen, was diese Automatik generiert. So war es jedem
interessierten möglich, das Modul schnell und einfach zu nutzen aber bei
Interesse gleichzeitig zu verstehen was da passiert.
Heutzutage ist sowas bei den gängigen Programmen in keinster Weise
möglich (extremes Gegenbeispiel: AOL), sie sind High-Level-kompliziert,
denn einfacher ists faktisch auch nicht. Der Interessent kann eben
i.d.R. aufgrund von entsprechendem Interface-Design NICHT hinter die
Kulissen schauen und das Auflösungsvermögen selbst bestimmen ...
 

> Auch diese Mailinglist mutet sich nur in wenigen Dimensionen
> Anspruchsvolles zu. Scharf gefragt: Wer liest hier bitteschoen
> soziologisch anspruchsvolle Literatur, die exakte Auskuenfte zum
> Thema Informationsgesellschaft gaebe, um sich nicht mit ziemlich
> billigem Kulturpessimismus und antidemokatischem Elitismus in Bezug
> auf die Entwicklung der "Informationsgesellschaft", wie er in dieser
> Mailinglist vielfach gepflegt wird, zu begnuegen? 

Hast Du ein paar Literatur-Beispiele parat?


> Technisches Knowhow
> befaehigt eben genau nicht auch zu kompetenten Urteilen in anderen
> Bereichen. 

Das ist richtig!
Wobei das natürlich auch anders herum zutrifft:
gesellschaftspolitisches, rechtliches und soziologisches Knowhow
befähigt nicht automatisch zu kompetentem Urteilen in
Netzangelegenheiten. Daher ist es IMHO unumgänglich, von jeweils allem
entsprechendes Wissen zu haben.


> Das war eines meiner Kernargumente aus dem Jugendschutzgutachten: Es
> ist gleichgueltig, ob Filter nun halten, was deren Nutzer sich davon
> versprechen oder nicht. Der Nachweis der technischen Nichtfunktion
> fuehrt genau nicht dazu, sie nicht einzusetzen. Sie werden trotzdem
> eingesetzt, weil technische Funktionalitaet politisch kein allein
> massgebliches Kriterium ist. Filter werden ueberall dort eingesetzt,
> wo es um der Demonstration/ den Erhalt/ Ausbau von Macht gehen muss.

nur ist es deswegen gut, sie einzusetzen?
(Ausgenommen für denjenigen, der seine Macht erhalten möchte.)

Die Erkenntnis zu haben warum z.B. Bertelsmann das Internet filtern
will, die sorgt noch lange nicht dafür dass man dies deswegen gutheissen
soll. Es ist Bertelsmanns gutes Recht seine eigenen Inhalte in den
Massenmedien zu verbreiten zu wollen; trotzdem kann ich mich dagegen
stark machen.


> Eine alluebergreifende
> Sicht der Dinge ist nicht moeglich, weil sich Gesellschaft von keinem
> Zentrum aus mehr (logisch bequem) erschliessen laesst. 

aber deswegen muss man doch nicht die Versuche der Machterhaltung
anderer hinnehmen und sich seiner Freiheitsrechte berauben lassen?


Ciao
  Alvar


-- 
Alvar C.H. Freude  |  alvar.freude@merz-akademie.de

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