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Re: Experiment zu Machtstrukturen und Zensur im Internet



Martin Rost wrote:

>> Die Darstellung von Technik etwa in "Das Netz" mit Sandra
>> Bullock vereinfacht technische Sachverhalte auf eine Weise, die
>> wenig mehr als eine emotionale Reaktion zulaesst und steht auch
>> hier nicht alleine: Auch andere Medien, und zwar nicht nur
>> Kinofilme, sondern auch Sachbeitraege in Fernsehen und Radio,
>> vereinfachen technische Sachverhalte bis auf einen Level, bei
>> dem letztendlich Null relevante Information uebertraegen wird.
> 
> Hinter der Losung "Wir duerfen unser Klientel nicht ueberfordern!"
> steckt vielfach eine elitaer-undemokratische Haltung oder auch nur
> eigenes Unvermoegen, einerseits.

ACK.

> Die andere Seite ist die, dass die funktionale Differenzierung dazu
> fuehrt, dass die Komplexitaet eines Subsystems nicht unter Erhalt
> der vollen Komplexitaet in anderen Systemen abgebildet werden kann.
> Der Ausbau spezieller Komplexitaet (etwa spezifisch oekonomischer,
> rechtlicher, juristischer, wissenschaftlicher und eben technischer
> Art) ist nur moeglich aufgrund radikaler Komplexitaetsreduktionen
> und Abkoppelungen der Systeme untereinander.

ACK.

> Fazit: Man sollte Hollywood aus meiner Sicht nicht vorwerfen, dass
> Unterhaltung unterhaelt und nicht aufklaert. Frau Bullock ist schoen.

Ich denke, Kris hatte dies nur als Aufhänger genannt. Er erwähnte auch
explizit Sachbeiträge. Auch wenn ich deinen Betrag zutiefst begrüsse,
ist deine Herangehensweise m.E. zu allgemein. Du verwendest lediglich
einen "oberflächlichen" Technikbegriff, gehst aber nicht auf die
spezifische Technik des /Mediums/ Computer ein.

Den Computer können wir wohl als Kulturtechnik der modernen
Gesellschaften ansehen. Das Gleiche gilt für das Medium Computer.  Dem
Medium Computer wird in unserer Gesellschaft eine ganz besondere Rolle
zugeschrieben. Auch der Politik ist diese besondere Stellung nicht nur
bewusst, sondern  hat es gar durch eine Enquete-Kommissionen des
deutschen Bundestages ausformulieren lassen. Ich darf da mal den aus
meiner (pädagogischen) Sicht relevanten Teil zitieren:

|  Daraus lassen sich folgende Kompetenzen ableiten, die für die 
|  Zukunft der Gesellschaft von großer Bedeutung sind:
|
|  - Technische Kompetenz,
|  - Kompetenz zum Wissensmanagement,
|  - Soziale kompetenz,
|  - Kompetenz zur persönlichen Entscheidungsfindung,
|  - Demokratische Kompetenz.
|
|  
|  Technische Kompetenz
|
|  Die Gegenwart der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
|  in nahezu allen Lebensbereichen erfordert vom Einzelnen Fähigkeiten,
|  die den problemlosen Umgang mit den neuen Technologien ermöglichen.
|  Technische Kompetenz im Sinne von technischen Routinefertigkeiten
|  und technischem Basiswissen wird damit zu einer Grundqualifikation.

Dem Zugrunde liegt immer noch das Bild des 'idealen Diskurs'", an dem
alle Menschen gleichberechtigt beteiligt sind. In diesem Sinne
bedeutet Medienkompetenz, dass jeder Mensch ein prinzipiell mündiger
Rezipient ist, der aber zugleich als kommunikativ-kompetentes
Individuum auch ein /aktiver/ Mediennutzer ist und in der Lage sein
muss, sich über Medien auszudrücken.

Auch wenn es kein Medientheoretiker so direkt ausformuliert haben
sollte, gehört zu einer Medienkompetenz ein gewisses Maß an
technischem Verständnis das Internet betreffend. Um so verblüffender
ist es dann, wenn in der Praxis (sprich Ausbildung) gerade diese
technische Tiefe vermisst wird. Erschreckend ist, wie konsequent durch
alle Institutionen hindurch auf die Vermittlung des technischen
Wissens verzichtet wird. Man findet in allen möglichen Lehrplänen und
Medienprojekten am Anfang das Wort "Medienkompetenz". Das große Ziel
der Ausbildung. Doch wenn man dann die Unterlagen weiter
durchblättert, dann sieht man schnell, dass hier meist der Schwerpunkt
auf die Bedienung bestimmter GUIs gelegt wird. Man kann nur
spekulieren, was in den Köpfen der Autoren vorgeht.

Interessant ist auch, dass viele Meinungsbildner immer noch ihre
Unwissenheit zeigen können. Oder wie kann ich die Seite-1-Überschrift
der Frankfurter Rundschau von letzer Woche anders interpretieren:
"'Auschwitz-Lüge' nun auch im Internet verboten"?

Lustiger Weise ist die mangelnde Lernlust auch in der Wirtschaft
verbreitet. Melissa hatte ja allen deutlich gemacht, was passieren
kann. Aber die Warnung hat niemand ernst genommen. Weder wurden die
Mitarbeiter geschult noch die Software verbessert. So passierte es
dann, dass ich die Mitarbeiter eines damaligen Projektes bei Siemens
1,5 Tage per Email nicht erreichen konnte. Haben bei Siemens die
Technikexperten nicht vehement genug Alarm geschlagen oder fehlte den
entsprechenden Führungskräften das technische Verständis, um diese
Warnungen ernst nehmen zu können?

>> Das bezieht sich nicht nur auf die sprechende Barbie-Puppe von
>> Mattel, die schon sehr früh die Grundlagen zu einer
>> Mystifizierung legt ("Math is hard."), sondern zieht sich wie
>> ein roter Faden durch die Technikdarstellung in der
>> Gesellschaft. Exakte Auskünfte sind gar nicht gewünscht und auch
>> nicht erwünscht.
> 
> Das ist unzutreffend. Wie historisch nie zuvor bestimmt der
> Interessent heutzutage hoechst selbst, welches Aufloesungsniveau er
> sich zumuten mag. Das faengt in Bezug auf Computertechnik bei den
> verschieden hoch aufloesenden Computer-Publikumszeitschriften an und
> hoert bei Hochspezialannotationen aus Wissensdatenbanken auf.

Woher nimmt der Interessent das Wissen, welches Auflösungsniveau
für ihn das richtige ist?

Vielleicht liegt ja auch hier die Krux.  In den Medien verweben sich
immer mehr die Bereiche Kommunikation, Technik, Wirtschaft und Kultur.
Muss ich mich jetzt auf das Auflösungsnieveau von vier "Experten"
begeben, um die Zusammenhänge zu verstehen?

  -Tim
-- 
Tim Schlotfeldt, Kiel/Frankfurt, FRG
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