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Patentrezepte von Bulmahn



In VDI-Nachrichten 2001-01-12 findet sich auf S. 2 ein Artikel der
Forschungsministerin Bulmahn mit dem Titel
	
	Weg mit veralteten Strukturen

der verspricht, den Hochschulbereich noch stärker als bisher an Kriterien
der Vermarktbarkeit auszurichten.  Wo diese Vermarktbarkeit nicht gegeben
ist, will man durch staatliche Monopolvergabe nachhelfen.  Wo das nicht
geht (z.B. bei den Geisteswissenschaften), will man "veraltete Strukturen
abschaffen".  Angesichts dieser Markt-Ausrichtung müsste man eigentlich
annehmen, dass sich das BMBF ganz aus der Uni-Finanzierung zurückziehen
will.  Aber Bulmahn behauptet mit Stolz, die rotgrüne Regierung habe ihren
Etat um 18% aufgestockt und durch die UMTS-Mittel würden Bildung und
Forschung weiter gestärkt, so dass mit den Sünden der Kohl-Ära nun Schluss
sei.  Von solchen rhetorischen Einzelheiten abgesehen scheint mir aber die
Kontinuität zu überwiegen.  

Bulmahn ist möglicherweise noch mehr als Rüttgers auf Chimären wie
"Hochschulfinanzierung durch Technologietransfer" angewiesen.  Denn
wirkliche Bedarf an marktorientierten Reformen besteht am ehesten im
Bereich der Lehre.  Wenn der Lehrbetrieb privatisiert und Studiengebühren,
flankiert durch Stipendien, eingeführt würden, käme vieles von selbst
voran, was heute im argen liegt (überfüllte Hörsäle, bürokratische
Orientierung von Studiengängen u.dgl.).  Das ist aber insbesondere für
eine linke Regierung undenkbar.  Bekam nicht Bodo Hombach deshalb gleich
zu Anfang Ärger?

Aber marktwirtschaftlich-reformerisch will man sich dennoch geben.  Also
muss dort das Marktprinzip eingeführt werden, wo es nicht funktioniert: in
in der Ökonomie der wissenschaftlichen Ideen.  Zumindest muss man mit
"Patent-Offensiven" u.dgl. so tun, als ob man "veraltete Strukturen
abschaffen" wollte, während man dort, wo Marktwirtschaft erfahrungsgemäß
gut funktioniert, nämlich in der Organisation von Dienstleistungen
einschließlich Lehrangeboten, ängstlich an überkommenen Strukturen klebt.

Zum IT-Bereich schreibt Frau Bulmahn:

<<

Der zweite große Bereich [ nach Biotechnik ]  sind die Informations- und
Kommunikationstechnologien. Sie bekommen eine immer größere Bedeutung in
unserer Gesellschaft.   Die Bundesregierung hat das Ziel, alle Menschen
auf dem Weg in die Informationsgesellschaft mitzunehmen -- "Anschluss
statt Ausschluss" lautet die Devise.  

>>

Hier könnte man denken, es sei "freie Infrastrukturen statt neue
Ausschlussrechte" gemeint.  Leider wohl zu hoch gegriffen.  
Bürokratensprache ist doppelbödig.  Eher gemeint sein dürfte
"Einheits-Monopolsystem für alle", unter finanzieller Heranziehung von
Microsoft, Telekom, IBM u.a. in wohltätigen Gemeinschaftsinitiativen mit
dem BMBF (z.B. Aktion "MSIE-Klicken für Hausfrauen", Erschließung der
Rentnerschaft als E-Absatzmarkt zwecks Standortführerschaft im E-Commerce
etc)

<<
Mit unserem Handlungskonzept "IT in der Bildung" werden wir den Zugang zu
den neuen Medien für alle erleichtern und die Medienkompetenzen der
Menschen in unserem Land erhöhen.
>>

Eigentlich sind gerade die Universitäten das Rückgrat des Netzes.  Das WiN
wurde mit öffentlichen Forschungsgeldern finanziert.  AOL und andere
Privatfirmen kamen als Zaungäste und Trittbrettfahrer hinzu. Um sich nicht
ausnutzen zu lassen, zog das WiN viele seiner gemeinnützigen Leistungen
zurück.  Es gibt nicht mehr so viele FTP- und Archie-Dienste wie früher.
Aber der Ministerin scheint es wiederum nicht um Infrastrukturen sondern 
um Missionierungs- und Profilierungsaktionen zu gehen:

<<

In einer mit mehreren hundert Millionen Mark ausgestatteten
Zukunftsinitiative für die Hochschulen werden die Bereiche virtuelle
Hochschule und Studium, multimedia-gestütztes distance-learning und die
Notebook-University gefördert. 

>> 

Fernunterricht ist bekannt.  Notebooks sind in diesem Zusammenhang längst
veraltet.  Das Netz ist der Rechner.  Der Student braucht keinen eigenen
Rechner sondern eigene Passwörter.  Multimediale Ausgabegeräte könnten die
Ruhe in einer Uni-Bibliothek ziemlich stören, sind aber andererseits kaum
der Rede wert.  Sowohl die Uni als auch die Studenten sind damit ohnehin
gut ausgestattet.  Was wird wohl aus diesen "mehreren hundert Millionen
Mark"?

<<

Und mit der eingeleiteten Fusion der GMD Forschungszentrum
Informationstechnik GmbH und der Fraunhofer Gesellschaft (FhG) wird eine
überaus leistungsstarke Forschungseinrichtung in der Informationstechnik
mit entsprechender Ausstrahlungskraft auf neue Beschäftigungsfelder und
Märkte entstehen.

>>

Informatische F&E ohne Anwendungsentwicklung und ohne Lehrbetrieb in einer
GmbH -- das kann eigentlich nur zu Lasten einer offenen
Informationsinfrastruktur gehen.  Wenn nicht durch Patente finanziert dann
durch enge und exklusive Kooperation mit finanzkräftigen
Anwendungsentwicklern, d.h. in der Regel Monopolisten.  Der kürzliche
Bericht der FhG an das BMBF bestätigt diese Grundausrichtung.

<<

Auch im nächsten Jahr setzen wir die Forschungsoffensive für Deutschland
konsequent fort.  Finanzen sind dabei nicht alles.  Wir werden
ineffiziente Strukturen abschaffen, die Forschungskompeteny in den neuen
Ländern weiter stärken und die Forschungslandschaft auf Qualität,
Wettbewerb und internationale Orientierung ausrichten.

So werden z.B. die Helmholtz-Zentren künftig nicht mehr
einrichtungs-bezogen sondern programmorientiert gefördert.  Alle 16
Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft müssen sich in Zukunft im
Wettbewerb um Fördermittel bewerben. 

>>

Das ist ein Schritt hin zur unternehmerischen Ausrichtung von
Forschungseinrichtungen.  Das sind allerdings recht zweischneidige
Maßnahmen.  Sie können zu Lasten der Offenheit und Nachhaltigkeit gehen.
Forschungseinrichtungen sind keine Gewinnzentren.  Halbes Unternehmertum
ist oft schlechter als gar keines.  Marktorientierung ohne Privatisierung
geht oft schief, wie man an reformkommunistischen Erfahrungen sehen kann.

Bei den gesamten obigen marktideologischen Ausführungen ist zwischen den
Zeilen die "Patentoffensive" mitzulesen.  Das ist in BMBF-Kreisen eine
selbstverständliche Voraussetzung, die alles Denken durchzieht.  Jetzt, im
letzten Abschnitt, kommt diese Voraussetzung daher ganz unvermittelt zum
Vorschein:

<<

Doch damit neue Patente und marktfähige Produkte entstehen, müssen die
Ergebnisse öffentlicher Forschung verstärkt genutzt werden.  Durch eine
neue Verwertungsoffensive soll der Prozess von der Ideenfindung über die
Patentierung bis zur Vermarktung des neuen Wissens erfasst und gestärkt
werden.  Mit über 100 Mio. DM werden deshalb Netywerke von Patent- und
Verwertungsagenturen gegründet und Patentierungshilfen zur
Unternehmensgründung gegeben.

>>

Bulmahn setzt als selbstverständlich voraus, dass neues Wissen dann am
besten genutzt werden kann, wenn es patentiert wird.  Das ist ein
perverser Gedanke, der aber in BMBF-Kreisen seit den 80er Jahren als
selbstverständlich gilt.  Er liegt auch dem euphemistischen Begriff
"Technologietransfer" zugrunde.  Unter "Technologietransfer" ist genau das
Gegenteil von dem zu verstehen, was vordergründig gemeint sein muss:  die
Weitergabe des technischen Wissens an seine Nutzer.  Genau diese
Weitergabe soll durch "Technologietransfer" verhindert werden.  Durch
Patente wird das Wissen exklusiv an ein bestimmtes Unternehmen gebunden,
welches dann einerseits die Uni-Forschung fördert und andererseits
motiviert ist, Produkte zu vermarkten, so die Ideologie der
BMBF-Patentinitiative, die man unter

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/boch97-reiner/

u.a. nachlesen kann.  Diese Ideologie mag teilweise in Bereichen
zutreffen, in denen die Produktvermarktung mit hohen Kosten verbunden ist,
also z.B. in der chemischen Industrie.  In dem Bereich, in dem die zuletzt
genannte GMD Forschungszentrum Informationstechnik GmbH tätig ist, sind
die "Vermarktungskosten", sofern man davon überhaupt sprechen kann, gleich
Null.  "Technologietransfer" wird dort zu einem zynischen Euphemismus für
eine neue Art, die Freiheit der geistigen Entfaltung einzuschränken und
letztlich das Wissenschaftsklima zu vergiften. Längst ein weiterer
Kandidat für gewisse "Unwörter"-Listen.

Mit ihrer Patentoffensive ist Frau Bulmahn am Höhepunkt ihres Artikels
angelangt, der direkt ins Schlusswort übergeht:

<<

Mit einer zukunftsorientierten Forschungspolitik haben wir die
erforderlichen Schritte eingeleitet und Entscheidungen getroffen, um
bessere Grundlagen für die notwendige Entwicklung in unserem Land zu
schaffen.   Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen.

>>

"Konsequent weitergehen" ist ein Lieblingsausdruck von Bulmahn.  Sie geht
tatsächlich konsequent den mit der Patentoffensive unter Kohl
eingeschlagenen Weg weiter.  Möglicherweise stammt diese Wortwahl von
irgendeinem verbeamteten Geisterschreiber, der um die Kontinuität des
Ministeriums besorgt ist.  Vielleicht ist Bulmahn auch zu schwach und
unerfahren, um einen neuen Akzent gegen die veralteten BMBF-Strukturen 
zu setzen.

-phm