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"Naiin", Bertelsmann und die Meinungsfreiheit




Siegfried Piotrowski schrieb:
> 
> Herr Rybak hat seinem Herzen Luft gemacht - auch das muss
> manchmal sein. Zensur und hochgradig bedrohte Meinungsfreiheit
> sehe ich allerdings nicht. 

nicht?

Wirklich nicht?

Man braucht sich beispielsweise nur mal anzuschauen, was Bertelsmann so
macht:


13% der Lehrer fühlen sich unsicher im Internet, behauptet die
Bertelsmann Stiftung in ihrem Empfehlungen für einen
»verantwortungsvollen Einsatz des Internet an Schulen«.

  http://www.internet-verantwortung.de/
  http://www.internet-verantwortung.de/empfehl.html
  http://www.internet-verantwortung.de/leitfaden.pdf


Dass damit der eigenen Studie widersprochen wird scheint nicht weiter zu
stören, denn dort heißt es: »Nur rund 13 Prozent der Lehrer in
Deutschland fühlen sich internetkompetent«. Es ist jedoch ein kleiner
wenn auch feiner Unterschied, ob sich die Lehrer nicht internetkompetent
oder unsicher im Netz fühlen. 

  http://www.internet-verantwortung.de/ifd.html


Internet-Verantwortung heißt für Bertelsmann: Kontrolle, Filter und
Überwachung.

Aber verhindern Filter nicht einen verantwortungsvollen Umgang mit dem
Internet?

Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob hier Bertelsmann Kinder schon
frühzeitig auf Filtersysteme, Kontrolle und Überwachung vorbereiten
will. Anstatt zu fragen: "wie können die armen kleinen Kinder von bösem
Material ferngehalten werden" wäre es sinnvoll vorher zu evaluieren, in
welcher Form und in welchem Ausmaß an Schulen überhaupt der
Internet-Konsum gefördert werden sollte. Solange nicht die Lehrer die
Hintergründe verstehen und vermitteln können, so lange haben Computer
und Internet in Schulen nicht viel verloren -- oder wer will
Geschichtslehrer, die nicht z.B. die Wilson-Rede (1. WK) oder Kennedys
Berlin-Rede usw. analysieren können? Aber das ist ein anderes Thema.


Im Bertelsmann-Leitfaden heißt es unter anderem (Seite 11):

--- SCHNIPP ---

1.3 Schulentwicklung als Motor für die Entwicklung von Medienkompetenz

[...]

Schritt 3: Schulinterne Lehrerfortbildung

b. Rechtliche Überlegungen, darunter jene zu:
I. Persönlicher Datensicherheit in Computern
II. Urheberrechts-Gesetzen zu Texten, Bildern, Tönen und Software
III. Material, das in Großbritannien illegal ist

c. Ethische Aspekte, darunter:
I. Zugang zu illegalem oder unangemessenem Material via Internet
[...]
V. Material, das gesellschaftlich oder moralisch inakzeptabel sein
könnte

--- SCHNAPP ---


Aha, aha, da sollen also die Lehrer indoktriniert werden? Die Kinder
gleich frühzeitig an einen Umgang mit den Medien gewöhnen, der den
Konzernen mehr Gewinn verspricht.


Das geblubber (anders wage ich es nicht zu nennen) über "Empüfehlungen
zur Medienkompetenz" auf Seite 12 ist lächerlich. Lächerlich wenig,
lächerlich oberflächlich und seicht, lächerlich nichtssagend:



--- SCHNIPP ---

Die Implementierung von Medienkompetenz im Lehrerkollegium steht vor den
zentralen Aufgaben:
* die Internet-Verantwortung parallel zu der rasanten Ausweitung der
Internet-Nutzung an den Schulen angemessen zu entwickeln, ohne die
positive Motivation zu einer verstärkten, pädagogisch sinnvollen Nutzung
des Internet zu beein-trächtigen
* Bildungsnetzwerke zu schaffen für die bildungspolitischen
IuK-Strategien der Regierung und auch für die Mechanismen staatlicher
IuK-Investitionen
* bei der Lehrerausbildung und –fortbildung die allgemeine
Internet-Kompetenz auszuweiten auf die alltägliche Einbindung des
Internet in den Fachunterricht, da-mit das Internet als
selbstverständliches Lehrinstrument in den Unterricht integriert wird.
Zur Einbindung lassen sich gemeinsam pädagogisch-didaktische Konzepte
für die verschiedenen Unterrichtsfächer erarbeiten, erproben und
evaluieren

--- SCHNAPP ---

das ist alles, was Bertelsmann bzw. deren Stiftung zu "Medienkompetenz"
einfällt. Ja, wirklich.


Weiter wird ein generelles Verbot von MP3 an Schulen gefordert!

Seite 18:

--- SCHNIPP ---

2.5 MP3 im Schulnetzwerk
MP3 ist ein Verfahren, das zur Komprimierung von Audiodateien entwickelt
wurde. Mit MP3 lassen sich also Musikstücke in exzellenter Qualität über
das Internet verschicken oder herunterladen. Mit dem Downloaden von
MP3-Dateien sind allerdings sowohl
Probleme der Verletzung von Urheberrechten als auch mit der Überlastung
des Netzwerks verbunden. Am effektivsten ist diesen Problemen mit einem
generellen Verbot der MP3-Nutzung zu begegnen. Bei Mißachtung sollten
Schulleitungen über wirksame Sanktionen wie beispielsweise Sperrung des
Internet-Zugangs nachdenken.

--- SCHNAPP ---

Nebenbei: exzellente Qualität, jaja. Kein Wort zu kaputten Dateien,
abgebrochenen Downlods, unvollständigen Liedern usw.



Kapitel 8.1, Vorschläge zur Schulordnung Seite 36:

--- SCHNIPP ---

* Mailfilter überprüfen ein- und ausgehende E-Mails
a) auf Viren.
b) auf unangemessenen Inhalt.

--- SCHNAPP ---

aha, schüler werden schon frühzeitig auf den Überwachungsstaat
vorbereitet.


Für die Veröffentlichung von Schülerzeitungen im Netz soll eine
Genehmigung eingeholt werden ==> Generationen von Schülern haben für
unzensierte Schülerzeitungen gekämpft, nun gibts praktische
Möglichkeiten das Rückgängig zu machen?


Weitere Hightlights:

--- SCHNIPP ---

Seite 40:

* Um der Überlastung des Netzwerks entgegenzuwirken, ist in-dividuelles
Downloaden (beispielsweise über Dienste wie Napster und Gnutella)
verboten.


Seite 41

* Die Schule setzt zur Internetsicherheit einen kostenlosen
Standard-Filter ein, den Eltern auch auf dem eigenen PC zu Hause
einsetzen können.


Seite 42f, Beispiel-Schulordnung

8) Bedenkliche Inhalte auf Internet-Diensten (u.a. Webseiten, E-Mails,
Newsgroups) sind dem aufsichtsführenden Lehrer sofort mitzuteilen.

18) Die Teilnahme an Chats ist untersagt.

--- SCHNAPP ---


So, das waren die "Empfehlungen" von Bertelsmann für Schulen.
Wie sieht das nun in der Praxis aus?


Die Bertelsmann-Stiftung hat ein Projekt zur Unterstützung von
Büchereien ausgearbeitet. So ist es in der Stadtbücherei einer großen
Deutschen Stadt so, dass dort die Signaturen aller Bücher auf Weisung
von Bertelsmann (!) geändert werden (sollen). Internet-Zugang nur per
Zwangsfilter. Die Neuanschaffung von Büchern wird neu ausgerichtet,
einzelne Stadtteilbüchereien erhalten ganz neue Konzepte:
Familienbücherei. Bücher zu Polik und Gesellschaft fliegen raus, nur
noch unverfängliche unpolitische Bücher kommen rein. Dies ist generell
die Präferenz bei Neuanschaffungen.

Das ist übriegens kein schlechter Scherz sondern Realität.


Rechteverwerter wie Bertelsmann wollen alles unter Kontrolle haben, aus
deren Sicht (Wirtschaftlichkeit) mag das in Ordnung sein,  aber deswegen
muss man solch einen Quatsch noch lange nicht unterstützen.


Oder siehe RPS: die warten nur da drauf, bis es einen Filter gibt, dann
wird per Gericht die weitere Filterung durchgesetzt. Bei dem Wissen was
Mehrzahl der Richter vom Internet hat ...

Vergleiche auch:
http://www.online-demonstration.org/insert_coin/kontrolle/cptw.html


> Ich frage deshalb, warum sein Beitrag so
> wenige Ansaetze zur Diskussion laesst.

nana, schon die Argumente ausgegangen? ;-)



Und wie schon gesagt, ich plädiere dafür, die Diskussion auf FITUG
weiterzuführen -- zumindest solange bis ich ein sinnvolles Gegenargument
höre :-)


Ciao
  Alvar

-- 
Alvar C.H. Freude  |  alvar.freude@merz-akademie.de

    Demo: http://www.online-demonstration.org/  |  Mach mit!
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