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Re: "naiin" und die Meinungsfreiheit bzw. Zensur



> > Den Zusammenhang verstehe ich nicht so ganz. Ein "Sprachschutzgesetz" wie
> > es etwa in Frankreich und Polen existiert, reguliert im wesentlichen die
> > Amtssprache und die Sprache im Bereich der im staatlichen Auftrag
> > unternommenen Handlungen. Es hat, anders als NAIIN, nichts mit dem Verbot
> > irgendwelcher nicht-konformer privater Initiativen zu tun.
>
> auch wenn ich alles andere als ein Freund von Anglizismen (würg) bin, so
> halte ich Verbote usw. wie sie z.B. in Frankreich geschehen für den
> falschen Weg.

In Frankreich etc wird die Amtssprache und ihr nahestehende Bereiche
reguliert.  D.h. dass z.B. ein im Regierungsauftrag erstelltes Gutachten
von den Wortschoepfungsvorschlaegen der Academie Francaise Kenntnis zu
nehmen und diese nach Kraeften anzuwenden hat.

Wer in oeffentlicher/staatlicher Mission agiert, hat auch sonst allerlei
Auflagen zu beruecksichtigen.  Dass in FR, PL etc fuer den Sprachgebrauch
in diesem Zusammenhang Auflagen gelten, bedeutet nur, dass man die Sprache
dort fuer ein wichtiges Gemeingut haelt.

Probleme koennen allenfalls bei der Definition des oeffentlichen Bereiches
entstehen.  Manche Leute werden das inflationaer definieren.  Anderen
wiederum fehlt einfach das Verstaendnis fuer obiges Prinzip.  Auf beiden
Seiten.  Die einen suchen ein Gesetz als Vorwand um alles moegliche was
ihnen nicht passt zu verbieten. Die anderen verkennen die Funktionsweise
oeffentlicher Normsysteme und ordnen alles ihrem darwinistischen
Erklaerungsmodell unter.  Davon wuerden sie bei als wichtig erkannten
Normsystemen niemals zu traeumen wagen.

> Ein krampfhafter Eindeutschungswahn wäre genauso schlimm wie
> übertriebener Anglizismen-Schrott. Deswegen meine (ironische)
> Anspielung auf das Wortfiltern.

"Krampfhaft" ist subjektiv.  Ob etwas als "krampfhaft" empfunden wird,
haengt vor allem davon ab, inwieweit man bei der Durchsetzung gegen den
Strom schwimmt.  Viele zunaechst "krampfhaft" wirkende Wortschoepfungen
der Academie Francaise sind heute selbstverstaendlich, und sie tragen zur
Klarheit der Sprache bei.  So finde ich "logiciel vs materiel" fuer
"software vs hardware" grossartig.  Das erleichtert geradezu die
Diskussion ueber Softwarepatente.  Es verbaut einen beliebten Weg
derjenigen Begriffsverwirrer, die den Eindruck erwecken wollen,
"weiche Ware" im Glitzerkarton sei materiell, und die Information sei
mit dem Traegermaterial gleichzusetzen, das nur eben "weich" sei.

Eindeutschungsversuche wirken auf mich dann "krampfhaft", wenn sie unter
einem Anpassungsdruck erfolgen, d.h. wenn dem Eindeutscher nicht wirklich
an Sprachpflege gelegen ist und er nur einem Stigma entgehen will, welches
einem Anglizismus anhaften wuerde.

Politkorrekter Krampf dieser Art laesst sich allerdings so oder so nicht
aus der Welt schaffen.  Aehnlich politkorrekt krampfhaft wirken auch
haeufig Anglizismen, die von einigen Leuten kopflos gelehrig verbreitet
werden.  Voraussetzung einer Eindeutschung ist eine Begriffsklaerung.  Zu
der sind leider die wenigsten Leute faehig oder willens.  Die meisten
Leute leben, ohne die von ihnen verwendeten Begriffe definieren oder
praezisieren zu wollen.  Sie haben das bereits verlernt, und sie reagieren
gereizt, wenn jemand sie "krampfhaft" dazu anregen will.  Das ist dann
"akademisch" oder "politisch unkorrekt", nettikettwidrig oder was auch
immer.

M.a.W. den Krampf haben wir in jedem Falle.  Eine staatliche Stuetzung der
Sprachpflege kann sich aus diesem Kraftfeld ganz raushalten.  Sie fuegt
nicht mehr Krampf hinzu sondern schafft Moeglichkeiten der Verstaendigung,
die sonst nicht zustande kommen koennten.

> Insbesondere dir Übersetzung von allem und jedem Fachwort aus dem
> Computer-Bereich ist oftmals Quatsch: Der Laie stellt sich etwas
> konkretes aber falsches darunter vor, der Fachmann versteht nichts.
> Dummerweise fällt mir zu später Stunde kein geeignetes Beispiel ein,
> "Feuerwand" ist ein noch etwas lasches Beispiel ... ;-)

"Feuerwand" ist ein eher kopfloser Versuch.  "Brandschutzmauer" oder
"Schutzwall" faende ich schon besser.

Man sende die Zeile

ANFRAGE = firewall, homepage

an wortbasar@ffii.org, um Erklaerungen und Eindeutschungsvorschlaege
abzufragen.

> Gleichzeitig ist es IMHO aber auch quatsch, jeden der seine Homepage
> "Heimatseite" nennt als Nazi zu beschimpfen oder in die rechte Ecke zu
> stellen

"Homepage" ist ein sehr gutes Beispiel fuer jenes Wortgeruempel, welches
Leute gelehrig uebernehmen, weil es englisch klingt.  Das ist ein Leerwort
fuer eine Unzahl von Begriffen, die man als Webseite, Hauptseite,
Leitseite, Netzheimat (etwa "The TRIPS fallacy homepage" = "Netzheimat der
TRIPS-Luege" http://swpat.ffii.org/stidi/trips/) uvm differenzieren
muesste.  Eindeutschung ist ein Ausdruck eines Aufklaerungsvorganges.
Und Aufklaerung entsteht nicht als Ergebnis von Marktkraeften.  Man
braucht schon etwas politische Koordination, die zu leisten u.a. Aufgabe
des Staates ist.

Bei diesem Thema finde ich eine Einbeziehung von logsys-de@ffii.org recht
sinnvoll.

Viele Gruesse

-phm