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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



On Thu, Feb 15, 2001 at 01:18:22PM +0100, Markus Schaaf wrote:
> Holger Veit schrieb:
> 
> > Ich habe es als verkuerzte Form von "auf eine bestimmte
> > Zielgruppe passen" verstanden, im Sinne, dass etwa eine
> > Agentur ihre Zigarettenwerbung auf die Gruppe der Maenner
> > von 18-40 "zielgruppt".
> 
> "Passen" und "ausgerichtet sein auf etwas" sind schon zwei
> unterschiedliche Dinge (die gerade bei Werbung oft weit aus-
> einander liegen). Und genau dieser Kontext fehlt eben.

Der Inhalt erschliesst sich erst dann vollstaendig, wenn das 
Wort auch in dem Kontext verwendet wird, den der Sprecher
gemeint hat. Als vorlaeufige Definition reicht obiges beim
ersten Hoeren/Lesen (ausserhalb jedes Kontextes!) erstmal 
vollkommen aus.

Wenn das Wort dann wirklich in Gebrauch ist, dann verfeinert man
automatisch sein Bild dessen. Was meinst Du, bei wievielen selteneren
Begriffen Du und jeder von uns sich so ein Halbwissen zurecht-
gezimmert hat? Dass dem so ist, faellt erst dann auf, wenn man
so ein vermeintlich bekanntes Wort mal gegenueber anderen in
einem unpassenden Zusammenhang verwendet und ggf. korrigiert
wird. Und letzteres passiert u.U. noch nicht mal - die Sprachredundanz
sorgt dazu, dass das Gegenueber trotzdem versteht, was man ausdruecken
will.

(Aufgefallen? Da stand "dazu", wo korrekt "dafuer" haette stehen sollen -
ueberliest man leicht. Hier mal bewusst angewandt, in vielen anderen
Faellen ehre (sic!) ein Fluechtigkeitsfehler).

> > Wer "zielgruppt" oder "daytradet" und "webdesignt", versteht
> > sich nicht mehr als Vertreter der "Old Economy", ebensowenig,
> > wie typischerweise jemand, der "linuxt", i.a. nichts mit
> > denen zu tun haben will, die sich durch permanentes "Windoofen"
> > seine Dateien "makroverviren".
> 
> Wenn ich all diese Worte lese, fühle ich mich zwangsläufig
> an solche Zeitgenossen erinnert, die durch überschwengliche
> Verwendung nichtssagender Worthülsen zu verbergen suchen,

[ ] Dein Ironiedetektor funktioniert.

Im uebrigen lassen sich Worthuelsen auch hervorragend ohne
Wortneuschoepfungen und Pseudo-Anglizismen produzieren.

> daß sie eigentlich nichts mitzuteilen haben, aber den
> Eindruck von Kompetenz vermitteln möchten. Nicht daß ich das
> jetzt hier jemandem unterstellen möchte, jedoch sollte man
> nicht vergessen, daß jeder allein schon durch seine Wortwahl
> etwas über sich aussagt. Dabei kommt es selbstverständlich

Genau das kann man sich zunutze machen, wenn solche Stilmittel
bewusst einsetzt (und sowas mache ich mit Vorliebe). Einfache
Seelen filtern sich dabei quasi von selbst aus, weil sie nur
die Worte sehen, aber nicht die Zwischentoene verstehen; andere,
naemlich meine eigentlichen Adressaten werden zum Nachdenken
angeregt, *was* ich denn eigentlich gesagt habe. Lutz betreibt
dasselbe Spiel in seinen Antworten, allerdings sehr stark 
redundanzreduziert, boshafterweise dadurch aber gerade
beliebig interpretationsfaehig. Das ist die andere Variante;
ich bleibe da eher "verbose".

> auf die Situation an. Mit Freunden rede ich anders, als mit
> mir Unbekannten. Nebenbei: Bei einem Wort wie "windoofen" muß
> ich mir außerdem darüber im Klaren sein, daß es eine implizite
> Beleidigung enthält; in einer Gruppe von "Linuxern" mag das in
> Ordnung sein, woanders ...

Aha, gruppenspezifische Terminologie, oder auch Fachsprache. Genau
das ist der Knackpunkt bei der Debatte: die krampfhaften Sprach-
zerdeutscher, die den Anspruch durchpruegeln wollen, dass jeder
denselben Einheitsbrei - nach *ihren* Regeln - sprechen soll
(auf dass ihre Grammatik schoen formalisiert sei - genau die
Falschschreibreform-Krankheit).

"Windoofen" mag etwas ueber mich aussagen, ich kann es aber auch
bewusst einsetzen, um Leute, die glauben, mich so einfachst in
ihr Schablonenschema stecken zu koennen, wunderhuebsch ins
offene Messer laufen zu lassen. Vielleicht denke ich ja gar nicht
so, sondern will lediglich, dass andere denken, dass ich so denken
wuerde. Man kann diese Metaebenen beliebig tief rekursiv schachteln.
Wer bereits bei der obersten Ebene sich den Beleidigungsschuh
anzieht, hat es nicht anders verdient.

> Aus meiner Sicht läßt sich diese Sprachdiskussion darauf
> reduzieren, daß Sprache ein Mittel der Abgrenzung ist. Die
> Gruppen und Ziele sind dabei verschiedene.

Und genau das ist die wesentliche Eigenschaft, welche von den
Sprachpuristen ignoriert wird. Denn sozio-psychologische Phaenomene
lassen sich nicht in Flexionsregeln, Wortkonstruktionsschemata und
Satzbauregelwerke giessen. Augen zumachen, dann existiert die Welt 
nicht mehr! Habe ich schon als Kind fuer albern und sinnlos gehalten.

Holger

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