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Re: Moderation



On 2001-08-23 10:22:19 +0200, Johann Bizer wrote:

>Nein - es trifft aus meiner Sicht das Problem genau. Teilnehmer 
>dieser Liste sind der Ansicht, wenn die MdB etwas von Ihnen 
>wollten, mögen diese doch bitte zu Ihnen kommen - also Ihre 
>Kommunikationsrituale übernehmen und Ihre Sprache lernen.

>Mit einem gewissen Recht können Sie auf die Authentizität Ihrer 
>Diskussionskultur stolz sein - aber warum meinen Sie, dass sich 
>alle anderen auf diese formal und inhaltlich einlassen müssen ?

Aus einem der Gründe, aus dem sich diese Demokratie Berufspolitiker 
(von Hans Magnus Enzensberger vor einigen Jahren in der FAZ mal als 
die bestbezahlten Arbeitslosen der Nation beschimpft) leistet?

Einer der Gründe, warum wir große Teile der politischen 
Willensbildung nach Berlin outsourcen, ist doch, daß der Bürger 
nicht einmal ansatzweise die Ressourcen hat, sich direkt an der 
politischen Willensbildung zu beteiligen.  Insbesondere hat er häufig 
schlicht nicht die Zeit, sich mit allen möglichen Themen 
tiefergehend zu beschäftigen.

Und er hat schon gar nicht die Zeit, an Diskussionen teilnzunehmen.

Dem scheint die allgemeine Debattierwut im Netz scheinbar zu 
widersprechen - auf einmal scheint die Zeit vorhanden zu sein.  Wie 
geht das an? Ein wichtiger Faktor ist die Asynchronität 
elektronischer Diskussionen.  Zunächst einmal bedeutet dies, daß 
Teilnahme an der öffentlichen Debatte auf einmal vom heimischen 
Schreibtischsessel aus möglich ist.  Sie ist ferner zu jeder noch so 
unmöglichen Tages- und Nachtzeit möglich.  Kurzum, kommuniziert wird 
zu den Bedingungen der Diskutanten, mit den immer gleichen 
Werkzeugen, die entsprechend effizient benutzt werden können.  Diese 
Werkzeuge implementieren gleichzeitig Teile der Diskussionskultur: 
Man denke etwa an Quote-Mechanismen in einem Mail-Programm.

Wenn man nun das Netz für die politische Willensbildung nutzen 
möchte, dann sollte man die Voraussetzungen reproduzieren, die schon 
bisher erfolgreich zum Diskurs geführt haben.  Dazu gehört die 
Asynchronität (das haben Sie einigermaßen geschafft - mal von den 
prinzipiellen Problemen von Webforen abgesehen, die ich andernorts 
erwähnte).

Dazu gehören die immer gleichen, effizienten Werkzeuge.

Dazu gehört aber auch und vor allem die von Ihnen in ihrer 
"Authentizität" anscheinend belächelte Diskurskultur (und damit 
meine ich jetzt _nicht_ Kleinkram wie die "Moderations"-Debatte): 
Diese Diskurskultur ist die beste, die wir heute für Netzdebatten 
haben. Sie hat sich über mehr als 20 Jahre entwickelt und ist den 
Gegebenheiten asynchroner Kommunikation hervorragend angepaßt.

Diese Diskussionskultur gibt es natürlich nicht umsonst - sie muß 
erlernt werden.  Daß sich das lohnt, wo die Probleme liegen, und wie 
man diese Diskussionskultur fördern und aufbauen kann, können Sie in 
Kristian Köhntopps Beitrag in der schon erwähnten Netpol-Ausgabe 
nachlesen.

>Die von Ihnen genannten Foren sind die Graswurzel der 
>elektronischen Willensbildung von unten. Das Projet e@demokratie 
>will hierzu kein Ersatz sein.

>Es verfolgt ein anderes Ziel vor dem Hintergrund eines Problems, 
>dass die von Ihnen genannten Foren nicht lösen können - nämlich 
>den Link zwischen verschiedenen Diskussionskulturen.

Diesen Link wird man kaum dadurch herstellen können, daß man eine 
neue Diskussionskultur zu schaffen versucht, die irgendein schlecht 
funktionierendes Hybrid zwischen der bestehenden Netzkultur und den 
Konsultationsprozessen im Bundestag ist.

Man könnte auch sagen: Versuchen Sie lieber nicht, das Rad viereckig 
neu zu erfinden.  Es sind schon andere daran gescheitert.

-- 
Thomas Roessler                        http://log.does-not-exist.org/