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Re: Moderation (was: Re: Fw: [FYI] Die E-Republik: Ist da wer?)



[Bitte diese Mail vor dem Verfassen einer Antwort _komplett_ lesen.]

On 2001-08-22 16:32:42 +0200, Johann Bizer wrote:

>Im übrigen bin ich gespannt, wann ich Ihre ersten Beiträge im 
>Forum finde. Manchmal muss man einfach den Punkt finden, zu dem 
>man aufhört über die Sache formal zu reden, man muss sie 
>inhaltlich voran bringen.


Vielleicht dann, wenn das Forum tatsächlich benutzbar ist.  


Screenshot - mit einem aktuellen Browser [Netscape 6.1; Linux] - ist 
unter <http://www.does-not-exist.org/e-demokratie-mozilla.gif> 
abrufbar. Ich konnte leider nirgends etwas zum Klicken finden.

Nein, in diesem Browser ist nicht jedes Feature aktiviert.  Und ja, 
das ist Absicht.  Und ja, ich habe mit genau dieser 
Browserkonfiguration nicht die mindesten Probleme, an 
Diskussionsforen wie slashdot.org, icannwatch.org und dergleichen 
mehr teilzunehmen.

Warum also eine Extrawurst für Projekt E-Demokratie braten und 
Javascript aktivieren?  Damit mir demnächst wieder die Werbung in 
Popup-Fenstern um die Ohren fliegt?  

Aber machen wir das Experiment - selbst wenn ich Javascript 
einschalte, fliegen mir prompt irgendwelche schwachsinnigen 
Fehlermeldungen um die Ohren, "QuickPlace Warnung".  Davon muß ich 
allein auf der Startseite NEUN Stück wegklicken, um irgendwas zu 
sehen; bei anderen Seiten geht das so ähnlich weiter. Siehe 
<http://www.does-not-exist.org/e-demokratie-fehler.gif>.

Die Struktur der Foren und des ganzen Materials ist im übrigen 
dermaßen unübersichtlich, daß ich jedenfalls nicht in der Lage bin, 
das System innerhalb von fünf Minuten schnell und intuitiv zu 
benutzen.

Kurzum: Das Forum ist unbenutzbar (na gut, Lotus-Software - was soll 
man erwarten).  Ich werde meine Aufmerksamkeit anderswo lassen und 
meine Zeit nicht auf dieses Projekt verschwenden.

Das mag jetzt gewollt böswillig und arrogant klingen.

Ist es auch.

Vor allem ist es aber die Bewertung, die - in der einen oder anderen 
Form, vielleicht etwas weniger pointiert, vielleicht unbewußt - 
durchaus einige der netzerfahreneren "Couchkartoffeln" abschrecken 
dürfte.


Tatsächlich gibt es aber eine ganze Reihe von teilweise etwas 
tiefersitzenden Gründen, die E-Demokratie-Projekte regelmäßig ins 
Aus treiben (wobei Sie schon zu den erfolgreicheren gehören dürften, 
wenn man etwa die EurVoice-Pleite als Vergleich heranzieht!).  Über 
einige habe ich vor einem Jahr mal eine Glosse geschrieben, die Sie 
unter <http://www.fitug.de/netpol/00/23.html#4> nachlesen können. 

(Diese Ausgabe von Netpol wurde hier schonmal - indirekt - zitiert.)


Im Grunde läuft mein Argument von damals auf ein paar ganz einfache 
Ideen hinaus - wenn wir ehrlich sind, sind es Trivialitäten:

- Die Aufmerksamkeit und Lebenszeit, die Nutzer - und insbesondere 
   solche, die _nicht_ Berufsdiskutanten sind - in Diskussionsforen 
   investieren können, sind begrenzt.

- Es gibt einen Wettbewerb um diese Aufmerksamkeit und Lebenszeit.

- In diesem Wettbewerb wird derjenige erfolgreich sein, der Nutzern 
   das Gefühl bietet, daß sie ihre Zeit und Aufmerksamkeit 
   gewinnbringend verwendet haben.

Es gibt eine Reihe offensichtlicher Vor- und Nachteile in diesem 
Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Nutzers.  

Insbesondere sollte, wer in diesem Wettbewerb dem Nutzer 
entgegenkommen will, möglichst das Ein-Klick-Erfolgserlebnis bieten 
(eine einwandfrei funktionierende und intuitive Nutzerführung setze 
ich jetzt mal voraus - auch das ist, wie wir oben gesehen haben, 
schon ein Problem): Wer Informationen sucht, sollte sie sofort 
finden können.  Wer die Site zum wiederholten Male besucht, sollte 
stets etwas Neues geboten bekommen.

Was bedeutet das?  Materialien - etwa zu einem aktuellen Thema - 
sollten möglichst auf jeder Seite, mit der sie zu tun haben könnten, 
erreichbar sein.  Diskussionen sollten auf den ersten Klick neue 
Beiträge bieten. 

Daraus folgt überraschenderweise, daß Webdiskussionen zum Überleben 
das Rauschen und ständig neue Themen brauchen (siehe Slashdot, siehe 
Heise), während sie an Stille zugrundegehen.  Ganz anders als eine 
Mailingliste, übrigens - die kann jederzeit aus dem Winterschlaf 
erwachen, ermöglicht ggfs. das zwanglose Abspalten privater 
Diskussionen und ist für fundierte und inhaltlich anspruchsvolle 
Themen generell das Mittel der Wahl.  (AHH: Es ist Quark, daß 
Mailinglisten das schlechtere Signal/Rausch-Verhältnis hätten, das 
man den Damen und Herren Abgeordneten nicht zumuten könnte. 
"Funktionierende" Webforen sind schlimmer als funktionierende 
Mailinglisten.)

Doch weiter - was könnte beim Weg zum one-click-kick noch im Weg 
stehen?  Zum Beispiel die Aufforderung, man möge sich doch jetzt zu 
einem der drei im folgenden genannten Themenbereiche die 
vorbereiteten Materialien und Fragen anschauen und sich auch noch 
registrieren, und dann vielleicht etwas schreiben.  (Eigentlich eine 
gute Idee, aber falsch verpackt!)

Zum einen wird hier vom Nutzer eine Arbeitsleistung erwartet.  Das 
mag noch angehen - kontraproduktiv ist aber, daß diese 
Arbeitsleistung  verlangt wird, bevor es irgendein Erfolgserlebnis 
gegeben hätte.  Da bleibt der Nutzer doch lieber hinter seinem 
eigenen Jägerzaun, wie Sie es zu nennen belieben.

(Daß die verlangte Arbeitsleistung so furchtbar groß gar nicht ist, 
kann man auf der Seite, auf der sie verlangt wird, noch nicht ahnen; 
für den Abschreckungseffekt ist es daher irrelevant..)

Kontraproduktiv an dem von Ihrem Projekt gewählten Ansatz ist 
weiterhin, daß im Prinzip nach Einzelstatements zu bestimmten 
Themenbereichen gefragt wird.  Das mag funktionieren, wenn man in 
einem klassischen Konsultationsprozeß Input von Verbänden erwartet. 
Dafür braucht man kein Internet. Das, was das Internet womöglich 
bieten könnte (!), und das, was der erfahrene Nutzer erwartet, ist 
eine halbwegs lebendige Diskussion, in der sich Meinungen und 
Argumente entwickeln können - in dieser wären aber Beiträge, die die 
immer gleichen Eingangsfragen abhandeln, nur störend.


Wie könnte man es also anders machen?

Man könnte zum Beispiel den Teilnehmern eine leicht zu benutzende 
Kommunikationsform bieten, die ihnen für eine lesende Teilnahme und 
eine gleichzeitig stattfindende schleichende Einarbeitung durch 
Lesen der Beiträge anderer ermöglicht, ohne daß 
frustrationsfördernde Aktivitäten von ihnen verlangt werden, ohne 
daß die Bedienung bislang unbekannter Software (nichts anderes ist 
ein Webforum) erlernt werden muß, und ohne, daß sie hinter ihrem 
Jägerzaun hervorkriechen müssen.  Mit anderen Worten, man kann eine 
Mailingliste mit Web-Archiv einrichten.

(Ja, ich weiß, ich will immer Mailinglisten.  Mir hat halt noch 
niemand etwas in der Praxis Überlegenes gezeigt.)

Um zielgerichtete Diskussionen zu erreichen, wird man diese 
Mailingliste in einem gewissen Sinne "moderieren" müssen: Durch das 
Setzen von Schwerpunkten (möglichst nur ein Thema gleichzeitig), 
durch das Stellen von Fragen (aus denen die Diskussion sich dann 
entwickeln kann), durch das Richtigstellen von Irrtümern, und - ganz 
wichtig - durch das Zusammenfassen von erarbeiteten Positionen 
(diese Zusammenfassungen kann man dann gleich noch für die MdBs 
recyclen, wenn die nicht selbst teilnehmen wollen).  Man wird gut 
strukturierte und teilweise vorgekaute Materialsammlungen an 
geeigneter Stelle ablegen.

Das ist natürlich viel Arbeit - es könnte aber dazu führen, daß 
Diskussionen womöglich doch noch faßbare Ergebnisse produzieren.

Gute Nacht,
-- 
Thomas Roessler                        http://log.does-not-exist.org/