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Re: Moderation (was: Re: Fw: [FYI] Die E-Republik: Ist da wer?)
- To: Johann Bizer <bizer@elektronische-demokratie.de>
- Subject: Re: Moderation (was: Re: Fw: [FYI] Die E-Republik: Ist da wer?)
- From: Thomas Roessler <roessler@does-not-exist.org>
- Date: Thu, 23 Aug 2001 01:13:30 +0200
- Cc: Heiko Recktenwald <uzs106@ibm.rhrz.uni-bonn.de>, debate@lists.fitug.de
[Bitte diese Mail vor dem Verfassen einer Antwort _komplett_ lesen.]
On 2001-08-22 16:32:42 +0200, Johann Bizer wrote:
>Im übrigen bin ich gespannt, wann ich Ihre ersten Beiträge im
>Forum finde. Manchmal muss man einfach den Punkt finden, zu dem
>man aufhört über die Sache formal zu reden, man muss sie
>inhaltlich voran bringen.
Vielleicht dann, wenn das Forum tatsächlich benutzbar ist.
Screenshot - mit einem aktuellen Browser [Netscape 6.1; Linux] - ist
unter <http://www.does-not-exist.org/e-demokratie-mozilla.gif>
abrufbar. Ich konnte leider nirgends etwas zum Klicken finden.
Nein, in diesem Browser ist nicht jedes Feature aktiviert. Und ja,
das ist Absicht. Und ja, ich habe mit genau dieser
Browserkonfiguration nicht die mindesten Probleme, an
Diskussionsforen wie slashdot.org, icannwatch.org und dergleichen
mehr teilzunehmen.
Warum also eine Extrawurst für Projekt E-Demokratie braten und
Javascript aktivieren? Damit mir demnächst wieder die Werbung in
Popup-Fenstern um die Ohren fliegt?
Aber machen wir das Experiment - selbst wenn ich Javascript
einschalte, fliegen mir prompt irgendwelche schwachsinnigen
Fehlermeldungen um die Ohren, "QuickPlace Warnung". Davon muß ich
allein auf der Startseite NEUN Stück wegklicken, um irgendwas zu
sehen; bei anderen Seiten geht das so ähnlich weiter. Siehe
<http://www.does-not-exist.org/e-demokratie-fehler.gif>.
Die Struktur der Foren und des ganzen Materials ist im übrigen
dermaßen unübersichtlich, daß ich jedenfalls nicht in der Lage bin,
das System innerhalb von fünf Minuten schnell und intuitiv zu
benutzen.
Kurzum: Das Forum ist unbenutzbar (na gut, Lotus-Software - was soll
man erwarten). Ich werde meine Aufmerksamkeit anderswo lassen und
meine Zeit nicht auf dieses Projekt verschwenden.
Das mag jetzt gewollt böswillig und arrogant klingen.
Ist es auch.
Vor allem ist es aber die Bewertung, die - in der einen oder anderen
Form, vielleicht etwas weniger pointiert, vielleicht unbewußt -
durchaus einige der netzerfahreneren "Couchkartoffeln" abschrecken
dürfte.
Tatsächlich gibt es aber eine ganze Reihe von teilweise etwas
tiefersitzenden Gründen, die E-Demokratie-Projekte regelmäßig ins
Aus treiben (wobei Sie schon zu den erfolgreicheren gehören dürften,
wenn man etwa die EurVoice-Pleite als Vergleich heranzieht!). Über
einige habe ich vor einem Jahr mal eine Glosse geschrieben, die Sie
unter <http://www.fitug.de/netpol/00/23.html#4> nachlesen können.
(Diese Ausgabe von Netpol wurde hier schonmal - indirekt - zitiert.)
Im Grunde läuft mein Argument von damals auf ein paar ganz einfache
Ideen hinaus - wenn wir ehrlich sind, sind es Trivialitäten:
- Die Aufmerksamkeit und Lebenszeit, die Nutzer - und insbesondere
solche, die _nicht_ Berufsdiskutanten sind - in Diskussionsforen
investieren können, sind begrenzt.
- Es gibt einen Wettbewerb um diese Aufmerksamkeit und Lebenszeit.
- In diesem Wettbewerb wird derjenige erfolgreich sein, der Nutzern
das Gefühl bietet, daß sie ihre Zeit und Aufmerksamkeit
gewinnbringend verwendet haben.
Es gibt eine Reihe offensichtlicher Vor- und Nachteile in diesem
Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Nutzers.
Insbesondere sollte, wer in diesem Wettbewerb dem Nutzer
entgegenkommen will, möglichst das Ein-Klick-Erfolgserlebnis bieten
(eine einwandfrei funktionierende und intuitive Nutzerführung setze
ich jetzt mal voraus - auch das ist, wie wir oben gesehen haben,
schon ein Problem): Wer Informationen sucht, sollte sie sofort
finden können. Wer die Site zum wiederholten Male besucht, sollte
stets etwas Neues geboten bekommen.
Was bedeutet das? Materialien - etwa zu einem aktuellen Thema -
sollten möglichst auf jeder Seite, mit der sie zu tun haben könnten,
erreichbar sein. Diskussionen sollten auf den ersten Klick neue
Beiträge bieten.
Daraus folgt überraschenderweise, daß Webdiskussionen zum Überleben
das Rauschen und ständig neue Themen brauchen (siehe Slashdot, siehe
Heise), während sie an Stille zugrundegehen. Ganz anders als eine
Mailingliste, übrigens - die kann jederzeit aus dem Winterschlaf
erwachen, ermöglicht ggfs. das zwanglose Abspalten privater
Diskussionen und ist für fundierte und inhaltlich anspruchsvolle
Themen generell das Mittel der Wahl. (AHH: Es ist Quark, daß
Mailinglisten das schlechtere Signal/Rausch-Verhältnis hätten, das
man den Damen und Herren Abgeordneten nicht zumuten könnte.
"Funktionierende" Webforen sind schlimmer als funktionierende
Mailinglisten.)
Doch weiter - was könnte beim Weg zum one-click-kick noch im Weg
stehen? Zum Beispiel die Aufforderung, man möge sich doch jetzt zu
einem der drei im folgenden genannten Themenbereiche die
vorbereiteten Materialien und Fragen anschauen und sich auch noch
registrieren, und dann vielleicht etwas schreiben. (Eigentlich eine
gute Idee, aber falsch verpackt!)
Zum einen wird hier vom Nutzer eine Arbeitsleistung erwartet. Das
mag noch angehen - kontraproduktiv ist aber, daß diese
Arbeitsleistung verlangt wird, bevor es irgendein Erfolgserlebnis
gegeben hätte. Da bleibt der Nutzer doch lieber hinter seinem
eigenen Jägerzaun, wie Sie es zu nennen belieben.
(Daß die verlangte Arbeitsleistung so furchtbar groß gar nicht ist,
kann man auf der Seite, auf der sie verlangt wird, noch nicht ahnen;
für den Abschreckungseffekt ist es daher irrelevant..)
Kontraproduktiv an dem von Ihrem Projekt gewählten Ansatz ist
weiterhin, daß im Prinzip nach Einzelstatements zu bestimmten
Themenbereichen gefragt wird. Das mag funktionieren, wenn man in
einem klassischen Konsultationsprozeß Input von Verbänden erwartet.
Dafür braucht man kein Internet. Das, was das Internet womöglich
bieten könnte (!), und das, was der erfahrene Nutzer erwartet, ist
eine halbwegs lebendige Diskussion, in der sich Meinungen und
Argumente entwickeln können - in dieser wären aber Beiträge, die die
immer gleichen Eingangsfragen abhandeln, nur störend.
Wie könnte man es also anders machen?
Man könnte zum Beispiel den Teilnehmern eine leicht zu benutzende
Kommunikationsform bieten, die ihnen für eine lesende Teilnahme und
eine gleichzeitig stattfindende schleichende Einarbeitung durch
Lesen der Beiträge anderer ermöglicht, ohne daß
frustrationsfördernde Aktivitäten von ihnen verlangt werden, ohne
daß die Bedienung bislang unbekannter Software (nichts anderes ist
ein Webforum) erlernt werden muß, und ohne, daß sie hinter ihrem
Jägerzaun hervorkriechen müssen. Mit anderen Worten, man kann eine
Mailingliste mit Web-Archiv einrichten.
(Ja, ich weiß, ich will immer Mailinglisten. Mir hat halt noch
niemand etwas in der Praxis Überlegenes gezeigt.)
Um zielgerichtete Diskussionen zu erreichen, wird man diese
Mailingliste in einem gewissen Sinne "moderieren" müssen: Durch das
Setzen von Schwerpunkten (möglichst nur ein Thema gleichzeitig),
durch das Stellen von Fragen (aus denen die Diskussion sich dann
entwickeln kann), durch das Richtigstellen von Irrtümern, und - ganz
wichtig - durch das Zusammenfassen von erarbeiteten Positionen
(diese Zusammenfassungen kann man dann gleich noch für die MdBs
recyclen, wenn die nicht selbst teilnehmen wollen). Man wird gut
strukturierte und teilweise vorgekaute Materialsammlungen an
geeigneter Stelle ablegen.
Das ist natürlich viel Arbeit - es könnte aber dazu führen, daß
Diskussionen womöglich doch noch faßbare Ergebnisse produzieren.
Gute Nacht,
--
Thomas Roessler http://log.does-not-exist.org/