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Re: Verlust der Verfassung



Hallo Hauke,

du meintest am 23.10.01 um 19:46 zum Thema "Re: Verlust der Verfassung":

> Angenommen, die Grundrechte des Grundgesetzes binden wie in Art. 1
> III GG vorgesehen alle staatliche Gewalt (Gesetzgebung, vollziehende
> Gewalt und Rechtsprechung); auch dann, wenn es sich um nicht direkt
> ausgeübte, sondern gemäß Art. 23 oder Art. 24 GG übertragene
> Hoheitsgewalt handelt.

Von dieser Prämisse geht das BVerfG aber doch - so wie ich es verstehe -  
nicht aus, sondern lediglich davon, dass die Hoheitsübertragung nach  
Art. 23 I GG durch den Grundrechts-Mindeststandard begrenzt ist.

Die frühere Hilfskonstruktion braucht es jetzt jedenfalls für die EU  
nicht mehr: Das BVerfG habe nicht nur den Grundrechtsschutz gegen  
deutsche öffentliche Gewalt, sondern den Grundrechtsschutz gegen jede  
öffentliche Gewalt _in_ _Deutschland_ zu verbürgen.

Das war damals (Solange I?) ein sinnvoller Ansatz, um Art. 1 III GG  
nicht von Art. 24 GG aushöhlen zu lassen, aber den Grundgedanken dieser  
Rechtsprechung hat ja jetzt Art. 23 I GG aufgenommen, so dass IMHO als  
Prüfungsmaßstab nicht mehr die Grundrechte direkt heranzuziehen sind,  
sondern lediglich Art. 23 I GG als lex specialis in Betracht kommt.

Daraus lässt sich dann das vom BVerfG postulierte Kooperationsverhältnis  
zwischen EuGH (Grundrechtsschutz im Einzelfall) und BVerfG (Absicherung  
eines Mindeststandards als "Notbremse") zwanglos erklären.

Was die Ineffektivität des Grundrechtsschutzes vor dem EuGH angeht: Von  
einem Richter am Verwaltungsgericht habe ich unlängst erfahren, dass der  
EuGH bisher erst in einem Fall sekundäres Gemeinschaftsrecht verworfen  
hat. Leider habe ich dazu keine Fundstelle, aber es handelte sich  
angeblich um einen Extremfall. Der EuGH tendiert (leider?) dazu, bei der  
(wichtigen) Prüfung der Verhältnismäßigkeit nur eine  
Missbrauchskontrolle vorzunehmen; das kommt wohl noch aus den Tagen, als  
die Gemeinschaft fast nur im wirtschaftlichen Bereich Zuständigkeiten  
hatte und der EuGH deshalb einen sehr weiten Prognose- und  
Gestaltungsspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers sah, der sich heute  
vielleicht nicht mehr in dieser Form halten lässt.

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