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Re: Kontrollverlust



lutz meinte am 16.11.01 im Brett /ML/FITUG zum Thema "Re: Kontrollverlust"

> Ja. P2P Filesharingsysteme können eine eine Publishing-Pipeline unter
> zwei drücken.

Ich glaube nicht, dass das geht, und zwar aus einfachen logischen  
Erwägungen. Man könnte dazu noch mal überlegen, was "Publishing" in dem  
modernen, so leicht von den Lippen gehenden Wort "Publishing-Pipeline"  
bedeutet. Korrigiere mich, aber publish bedeutet afaik "veröffentlichen".  
Wieso sollte man einen privaten Telekommunikationsvorgang (P2P) als  
Veröffentlichung bezeichnen? Macht das Sinn?
Ich glaube, es ist gar nicht so kompliziert: je mehr man die Publishing- 
Pipeline drückt, desto weniger Publishing ist am Ende noch drin.

Umgekehrt könnte man überlegen: findet denn bei P2P-Filesharingsystemen  
tatsächlich nur Individualkommunikation statt, oder hat es auch etwas mit  
Öffentlichkeit zu tun? Ich würde sagen: da entsteht doch Öffentlichkeit!  
Genauso wie Öffentlichkeit bei Newsnetzen entsteht, obwohl diese  
prinzipiell auf massenhaften automatisierten Individualkommunikationen  
aufbauen. In den Newsnetzen hatte man daher (vor der Einführung der  
Multimediagesetze) auch um die juristische Einordnung als "Rundfunk"  
gekämpft, um auf diesem Wege drohende Zensurmaßnahmen abzuwehren.

Also eigentlich ist das ganz einfach: entweder öffentlich oder privat;  
schwierig ist nur, wo man die Grenze zieht. Dass sie gezogen werden wird,  
auch bei P2P-Filesharingsystemen, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel.
Dabei besteht die Gefahr, dass gerade durch den Eindruck eines zunehmenden  
gesellschaftlichen Kontrollverlusts die Regulierung entsprechend rigide  
ausfallen könnte (vgl. auch Antiterrorpakete). Das sollten besonders  
Techniker bedenken, die an "absoluten" Konzepten basteln.

>> Mit dem Rechtsstaat ist dieses Verständnis von durch Technik
>> emergierenden rechtswidrigen Zuständen bzw. "Handlungen" sicher
>> nicht vereinbar, da hast Du schon Recht.

> Dann muß sich das Recht anpassen, wie es das immer getan hat.

Ich glaube, Du bist Dir nicht ganz im Klaren darüber, dass Du damit die  
Abschaffung von Recht überhaupt forderst. Recht ist die soziale  
Verkörperung von Vernunft, d.h. in den Rechtsinstitutionen binden sich die  
Menschen untereinander durch Vernunft. Bots haben keine Vernunft, und sind  
sie noch so "intelligent". Dazu könnte man noch mal Weizenbaum lesen.

Es ist eben nicht die Totmannschaltung verantwortlich, wenn ein Mann  
(warum eigentlich nicht eine Frau?) getötet wird, sondern der, der sie  
installiert hat - ein zurechnungsfähiges Subjekt. Und es ist schon gar  
nicht derjenige verantwortlich, der getötet wird. Auf diese Überlegungen  
könnte man auch bei einem wahrlich virulenten Problem der  
Informationsgesellschaft zurückgreifen, wo ja gerne behauptet wird, der  
Anwender sei selber schuld, wenn er auf den virenverseuchten Anhang der  
Mail klickt ....

>> schon finden lassen. Und der Richter wird verständnislos den Kopf
>> schütteln, wenn der MP3-Fan sagt, sein Bot habe ihm diese Musik
>> vorgeschlagen, heruntergeladen und vorgespielt, er sei also
>> willentlich gewissermaßen an überhaupt nichts beteiligt ....

> Aber so ist es schon: Du wählst das Genre und die Kiste sucht sich
> eine random play list zusammen.

Der Richter wird das schon verstehen, aber er wird - wenn ihm nicht  
bereits das Eingeständnis, man habe das Genre ausgewählt, ausreicht -  
einfach fragen: wem gehört die Kiste? Dann wird sein erster Blick kurz auf  
die Kiste fallen, die vor der Anklagebank im Gerichtssaal steht. Der  
zweite Blick wird ihrem Besitzer gelten. Dieser wird betreten den Blick  
senken, bis ihm vielleicht plötzlich der Gedanke kommt: meine Kiste muss  
ein Geständnis ablegen! Aufgeregt erbittet er vom Richter eine kurze  
Verhandlungspause, in der er mit seiner Kiste alleine sein kann. Der  
Richter entspricht dem Wunsch.

Kurz nach dem Gerichtsurteil wird in der Netzzeitung folgende Meldung zu  
lesen sein: "In Jena wurde heute zum ersten mal in der Geschichte ein  
Computersystem verurteilt. Der PC hatte unerlaubt Musikdateien aus dem  
Internet heruntergeladen, ohne dafür zu bezahlen. Das Gericht sah es als  
erwiesen an, dass der Computer damit gegen Bestimmungen des neuen  
Bundesdatengesetz verstossen habe. In dem Gesetz ist geregelt, dass für  
den Abruf von Musikdateien aus dem Internet geringe Vergütungen bezahlt  
werden müssen. Das System hatte die Downloads nicht bestritten und sogar  
ein Geständnis abgelegt. Es habe einfach nur Musik hören wollen ..."

>> Wo ist dieser Planet, auf dem Du Dich befindest?

> Nicht weit von meinem. Zu günstigen Zeiten kann man sogar Sonden
> austauschen.

Erde an Kris und Lutz:
"Haallo, schaut doch gelegentlich mal wieder hier unten vorbei,  
Gesellschaft findet nämlich hier statt."

>> Wie werden eigentlich Nazis zu Nazis?

> Nicht durch den ungefilterten Zugang zu Daten. Im Gegenteil.

Das ist schwer falsifizierbar. Wir brauchen es hier auch nicht unbedingt  
diskutieren. Ich habe nur den Verdacht, dass auch hier ein bestimmter  
Fundamentalismus eine wichtige Rolle spielt.


Gruß,
Mario
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