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Re: Kontrollverlust
- To: debate@lists.fitug.de
- Subject: Re: Kontrollverlust
- From: M.DUECK@3LANDBOX.comlink.apc.org (Mario Dueck)
- Date: Sat, 24 Nov 2001 23:00:00 +0000
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Patrick Goltzsch meinte am 24.11.01 im Brett /ML/FITUG
zum Thema "Re: Kontrollverlust":
> Aber mal zurück. Es ging um die Frage der Kontrolle und Dein
> Einwand war, dass ich ohne Rücksicht auf die Menschen zu
> Technik-bezogen denke. Diesen Trennstrich zwischen Mensch
> und Technik würde ich nicht ziehen wollen.
Zunächst mal war es kein Vorwurf, sondern der Vorschlag, weniger von
theoretischen strukturellen Möglichkeiten auszugehen, und den Blick eher
auf tatsächliche soziale Nutzungen zu werfen. Bei der Einbeziehung von
Menschen mit ihren konkreten Wünschen und Interessen wird leichter
verständlich, weshalb sich bestimmte Kommunikationsstrukturen
herausbilden. Nicht-kontrolliert-werden-wollen, d.h. ein hohes Maß an
Autonomie und Selbstbestimmung zu haben, spielt als Wunsch bei den P2P-
Systemen sicher eine große Rolle. Fraglich ist, wie weit das von Anderen
akzeptiert wird, man ist schließlich nicht alleine auf der Welt.
>> Die Menschen werden von klein auf dazu
>> gebracht, dass sie sich selbst kontrollieren,
> Wie hilft uns das weiter? Im konkreten Fall der
> Urheberrechtsverletzung scheint der intern drohende
> Zeigefinger nicht aufzutauchen/nicht bemerkt zu werden.
Ich denke schon, dass beim unbezahlten Download von Musik ein gewisses
Unrechtsbewußtsein vorhanden ist - sonst würde es ja auch nicht so einen
Heidenspass machen und wäre nicht mit einem solchen Kitzel verbunden.
Eigentlich hat man aber nach schwierigen Lernprozessen (Schäufelchen und
Siebchen im Sandkasten) verinnerlicht, dass man sich anderer Leute Sachen
nicht einfach so aneignen kann. Dass manche Leute noch nicht ganz
erwachsen sind, und insbesondere eine Übertragung dieser einfachen Regel
auf immaterielle Güter eine gewisse geistige Reife voraussetzt, spielt
aber sicher eine Rolle.
> Nein, die Ausdehnungsversuche gibt es, s. D'dorf. Aber die
> Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive sind beschränkt
> bzw. nicht vorhanden - im Gegensatz zu Deinem Beispiel von
> Gewalt in der Ehe.
Wieso, ISIS hat sich doch dem Willen der Bezirksregierung (Exekutive)
gebeugt, oder habe ich was verpasst? Das haben sie ganz ohne
Gewalteinwirkung freiwillig von sich aus gemacht, die einfache Androhung
einer Geldbuße hat gereicht. Andere Provider lassen sich durch die bloße
Drohung nicht schrecken, warten die Geldbuße vielleicht ab und gehen dann
den Rechtsweg. Hätte ISIS ja auch machen können. Achso, sie haben nicht
das Geld - ja, das ist ein nicht unbedeutendes Argument.
> aufzulösen, hilft nicht. Bleiben wir bei P2P: Sind die
> Dateien, die von meiner Seite aus im Gnutella-Netzwerk
> sichtbar sind, ein an die Öffentlichkeit gerichtetes
> Angebot? Nach Gefühl und Wellenschlag: ja.
Würde ich auch sagen. Wie heißt das Verzeichnis, in dem vom eigenen
Rechner Dateien zum Abruf bereitgehalten werden? Vielleicht
naheliegenderweise "public"? Wieso sollten die Kategorien öffentlich und
privat dabei nicht anwendbar sein? Sie sind im Gegenteil von zentraler
Bedeutung. Das zeigt sich insbeondere an der Stelle, an der der einfache
Nutzer der aus dem Netz bezogenen Client-Software großes Vertrauen
entgegenbringen muss. Fraglich ist nämlich, ob die Software wirklich das
macht, was sie an der Oberfläche verspricht, und wirklich nur die Dateien
aus dem Public-Verzeichnis öffentlich zugänglich macht. Letztes Jahr waren
bei Gnutella sofort Gerüchte aufgetaucht, bei den Clients handele es sich
um Trojaner, die die eigene Festplatte komplett anderen zugänglich machen.
> Wenn ich darunter
> unzulässige Angebote habe, wer würde die wahrnehmen?
Jedenfalls nicht 'nur' ein bestimmter Personenkreis, oder weißt Du, wer
alles am P2P-Netzwerk teilnimmt? Ergo: nicht bestimmt, d.h. öffentlich.
Der P2P-Nutzer macht willentlich Dateien über seinen Rechner öffentlich
zugänglich.
> Die Wahrnehmung ist nicht öffentlich: Es erschließt sich immer
> nur ein Teil des Angebots; es ist nur zeitweise
> sichtbar, weil die Kommunikation synchron verlaufen muss;
> die Adresse kann sich ändern.
Du arbeitest mit einer seltsamen Definition von "Öffentlichkeit", wo hast
Du das her? Ich will versuchen, diesen Einwänden durch den Blick auf
herkömmliche Medien und Vorstellungen davon, wann Öffentlichkeit vorliegt,
zu begegnen:
Zum Teilangebot: Man kann auch nicht alle Fernsehkanäle ansehen, trotzdem
sind die jeweiligen Programme - bzw. jede Sendung für sich - öffentlich
zugänglich. Es besteht die Möglichkeit und auch die große
Wahrscheinlichkeit einer Rezeption durch eine unbestimmte Anzahl von
Personen.
Zum Zeitpunkt: Fernsehsendungen i.d.R. auch keine Endlossendungen, man
muss sie schon zum Sendezeitpunkt ansehen. Die Sendungen sind zu dem
Zeitpunkt öffentlich, zu dem sie gesendet werden. Videofilme in der
Videothek kann man auch nur zu dem Zeitpunkt ausleihen, zu dem sie in der
Videothek vorgehalten werden.
Zum Abrufort: Ob die Videokassette in der Zweigstelle A oder B öffentlich
zum Verleih bereitgehalten wird ist für das Kriterium "Öffentlichkeit"
unerheblich.
Deine drei Einwände Teilangebot, Zeitpunkt und Abrufort sind also nicht
geeignet, P2P-Angebote als nicht-öffentlich einzustufen.
Aber noch mal zurück zu Deinem "Die Wahrnehmung ist nicht öffentlich":
Damit meinst Du offenbar die Rezeption zuhause am PC. Richtig ist, dass
die Rezeption oft in einer im Prinzip "privaten" Situation, eben zuhause,
stattfindet. Das ist meiner Vermutung nach auch der Hauptgrund, weshalb es
so schwer zu vermitteln ist, dass hier mitten im Privaten Öffentlichkeit
entsteht - nicht nur im Fall der P2P-Systeme (vgl. insbesondere
Fernsehen).
> Das neue an den Netz-Diensten ist, dass sie sich der
> herkömmlichen Einteilung (Massenkommunikation -
> Individualk., privat - öffentlich) entziehen.
Ich sehe das aus oben genannten Gründen anders. Aber der Wunsch, sich
sozialer Kontrolle zu entziehen wird hier schön deutlich: Wir wollen nicht
kontrolliert werden, deshalb definieren wir das, was wir machen einfach
als "nicht öffentlich". Wenn ihr das nicht akzeptiert, zweifeln wir
hilfsweise grundsätzlich die Anwendbarkeit der Kategorie Öffentlichkeit
an.
Mal sehen, ob die Richter damit einverstanden sind - sie wenden übrigens
mit Vorliebe ihre alten, bewährten Kategorien an und sind esoterischen
Herangehensweisen gegenüber eher skeptisch.
> Statt dessen
> bringen sie Charakteristika mit, wie ihre Topologie, die
> deutlich präzisere Abgrenzungen verlangen.
Welche Abgrenzungen würdest Du vorschlagen? Wie soll diese Präzisierung
aussehen?
Gruß,
Mario
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