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[FYI] [heise/tp] Letztes Kapitel im unendlichen Fall Yahoo



Hallo Liste,

---[beisskannte]---

Letztes Kapitel im unendlichen Fall Yahoo
Nathalie Roller, 13.02.2003

Ein Pariser Straftribunal hat am Dienstag Yahoo-Exboss Tim Koogle
freigesprochen, gegen den wegen angeblicher "Verbrechen gegen die
Menschheit" geklagt worden war

Die unendliche Geschichte rund um die Yahoo-Auktionsseiten und die darin
feilgebotenen Nazi-Devotionalien hätte eigentlich schon im November
2000 [1] zu einem Abschluss kommen können: Damals hatte der Pariser
"Internetrichter" Jean-Jacques Gomez ein für internationales Aufsehen
sorgendes Urteil gefällt, das Yahoo.com dazu zwang, ihre
Online-Versteigerungen innerhalb von drei Monaten für Franzosen
unzugänglich zu machen. Der Anti-Rassismusbewegung MRAP [2] und einem
Verband von ehemaligen Auschwitz-Deportierten ging die Umsetzung des
französische Urteils durch die US-Suchmaschine entschieden zu langsam
und man bezichtigte Yahoo und Tim Koogle der "Verbrechen gegen die
Menschheit" und der "Rechtfertigung von Kriegsverbrechen". Diesmal
allerdings auf strafrechtlichem Wege.

Rein theoretisch riskierte Tim Koogle, Yahoo-Präsident bis März 2001,
bis zu 5 Jahren Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe. Doch die Kläger
wollten bloß ein Exempel statuieren und forderten einen "symbolischen"
Euro Schadenersatz und vor allem die internationale Veröffentlichung des
Urteils. Wohl um dem amerikanischen "Freedom of speech" das in
Rassismusfragen strengere französische Recht entgegen zu setzen. Ein
kalifornisches Gericht hatte nämlich im November 2001 [3] Yahoo Recht
gegeben und erklärt, dass sich eine US-Firma nicht der französischen
Gesetzgebung unterzuordnen hätte. Für die klagenden
Antirassismus-Bewegungen offenbar ein Affront.

Am 26.Februar 2002 erklärte sich das Pariser Straftribunal für
kompetent, um über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Tim Koogle
und Yahoo zu urteilen: Die vom nationalen Territorium aus zugängliche
Versteigerung von Naziobjekten und die "simple Existenz eines
informatischen Links 'search', das den User dorthin einlädt, stellt das
notwendige Element an Werbung dar, um das Delikt der Rechtfertigung von
Kriegsverbrechen zu konstituieren", wie in der
Zuständigkeitserklärung [4] des Gerichts zu lesen steht. Yahoo hatte
sich bereits im Januar 2001 dazu bereit erklärt, die Nazi-Devotionalien
von der Auktions-Sektion zurückzuziehen und weltweite Filtermaßnahmen zu
ergreifen. Noch dazu waren die Online-Versteigerungen letzten Mai in
sechs europäischen Ländern, darunter auch Frankreich, völlig fallen
gelassen worden.

Doch die französische Justiz ließ nicht locker und am 7.Januar erklärte
der Staatsanwalt, dass "die Versteigerung von Nazi-Objekten in dem
Versuch, für diese den größtmöglichen Gewinn zu erhalten, sehr wohl den
Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschheit" darstelle. Weil
jedoch Yahoo die Situation mittlerweile völlig bereinigt hätte, forderte
der Staatsanwalt den völligen Straferlass, die symbolische Verurteilung
zu einem Euro Schadenersatz und die Veröffentlichung des Urteils. Eine
"minimale" Forderung, der nun der Richter am Dienstag nicht gefolgt ist,
da die "Rechtfertigung von Kriegsverbrechen" erst dann vorliege, wenn
diese "glorifiziert, gerühmt oder zumindest unter ein günstiges Licht
gestellt wurden". Das aber sei hier nicht der Fall gewesen.

Der Freispruch dürfte für Tim Koogle, der bei den beiden
Gerichtsterminen nicht persönlich anwesend war, dann doch eine gewisse
Erleichterung darstellen. Denn wie sein Pariser Anwalt in einem
Interview [5] erklärte, sei Koogle sehr erschüttert darüber gewesen, der
Rechtfertigung von Kriegsverbrechen bezichtigt worden zu sein. Ganz
abgesehen davon, dass "vom Internet nicht mehr viel übrig bleiben würde,
wenn wir sämtliche Gesetzgebungen der Welt anwenden müssten".

Links 
[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4296/1.html
[2] http://www.mrap.asso.fr/
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11305/1.html
[4] http://www.foruminternet.org/actualites/lire.phtml?id=273
[5] http://www.journaldunet.com/0301/030110ometzner.shtml

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/14177/1.html

---[beisskannte]---

Tschuess, Tim.

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'Quis custodiet ipsos custodes' - 'Wer bewacht die Waechter?'
-> Robert A. Heinlein ("Weltraumkadetten")


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