[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Lässt sich das patentieren?



"Axel H Horns" <axel.h.horns@gmx.net> writes:

>> > So wie es auch in anderen Verwaltungsbehoerden immer wieder 
>> > Fehlentscheidungen geben wird. Aber man kann und sollte sich mal
>> > ueberlegen, wie man die Arbeit der Patentaemter verbessern kann.
>> 
>> Wie wär's mit einer Entlastung durch den Wegfall von Patenten, die
>> niemand außerhalb des Patentsystems gebrauchen kann?
>
> Das entscheiden die Patent_anmelder_. Wenn die nichts mehr anmelden, 
> gibts auch keine neuen Patente mehr.

Es ist schwierig, auf diesem Wege aus dem laufenden Spiel
auszusteigen. Das ist wie beim atomaren Wettrüsten.

Ich behaupte nicht, daß Patente Atomwaffen sind, nur daß die Situation
strukturell nicht völlig unähnlich ist. Das Wettrüsten ist zwar
ungleich riskanter, war aber, als es im wesentlichen zwei Mitspieler
gab, im Prinzip noch vertraglicher Beschränkung zugänglich. Bei
Patenten bleibt einem wohl nur die Chance, von außen das System zu
ändern.

> Hmmm... Wenn man Patentschriften lesen und verstehen kann, bieten sie 
> vielfaeltige Moeglichkeiten der Exploration. Man erkennt daran z.B., 
> in welche Richtung die Konkurrenz sich gerade technologisch 
> entwickelt, d.h. welche technischen Probleme die Konkurrenz mit 
> welchen Loesungen anzugehen sucht etc. pp. 

Die Patentschrift dient der Dokumentation der Erfindung, nicht die der
Unternehmenspoltik.

Es gibt interessante Informationslecks in dieser Hinsicht, und seit
der leichten Zugänglichkeit elektronischer Patentarchive kann man
manch nette Entdeckung machen. Es gibt aber (gerade im IT-Bereich, wo
die Schutzwirkung von Patenten doch recht fraglich ist und vor allem
der Gegenschlag nur allzu furchtbar ausfallen kann) auch genügend
Unternehmen, die aus diesem Grund auf Patente verzichten, also ist das
kein zuverlässiger Indikator.

Wie sind denn in Deutschland und Europa die Fristen zwischen
Einreichung und Veröffentlichung? Wird die Schrift wenigstens sofort
veröffentlicht?

> Vielleicht sollten sich IT-Experten, die als leitende Angestellte 
> oder Unternehmer Verantwortung fuer die wirtschaftliche Zukunft eines 
> Unternehmens tragen, eher mal fragen, ob dies nicht eine 
> Bildungsluecke bei ihnen ist, wenn beim Lesen von Patentschriften 
> immer nur "Bahnhof" ankommt.

Aufgrund des Artikel 52 und der damit verbundenen Ängste werden aus
europäischen Patentanmeldungen alle dokumentierenden
(Pseudo-)Codeschnipsel entfernt, die beispielsweise in der US-Fassung
noch enthalten sind. Wie sinnvoll ist das bitteschön? Wenn die
Patentanwälte ihren Kunden zu so etwas raten, muß man sich nicht
darüber wundern, daß die Patentschrift als Dokumentation einer
Entdeckung (oder Erfindung, wie man das nun nennen will) bedeutungslos
wird.

Man könnte natürlich argumentieren, daß die Einschränkung die Eignung
der Patente zur Dokumentation von derartigen Erfindungen stark
reduziert hat, aber selbst in Systemen, bei denen diese Einschränkung
nicht existiert, sind die Lösungsbeschreibungen auch nicht konkreter
(es gibt nur viel, viel mehr Beispiele).

> Niemand behauptet uebrigens, dass Patentschriften ein geeignetes 
> Substitut fuer ein gut gemachtes "Students' Textbook" waeren.

Der Maßstab ist natürlich eine wissenschaftliche Arbeit. Alle mir
bekannten Patente, die sich aufgrund der Erfindungshöhe ernstnehmen
lassen und die sich ihren Ansprüchen nach durch bloße Software
verletzen lassen, beschreiben Erfindungen, die zuvor vernünftig in
wissenschaftlichen Arbeiten dokumentiert wurden.

Ich erwarte nicht, daß man aktuelle Forschung sofort in Lehrbücher
gießen kann. Allerdings glaube ich, daß es sinnvoll ist, die
fachspezifische Terminologie zu verwenden und einen Algorithmus einen
Algorithmus zu nennen und, wenn es dem Verständnis dienlich ist, ihn
halbformal zu beschreiben.

Wir könnten an dieser Stelle darüber diskutieren, ob das Patentsystem
die Entstehung wissenschaftlicher Arbeiten fördert. Das ist aber
irrelevant, da es um die Patentierung von Dingen geht, die in diesem
Maße nie in Zeitschriften veröffentlicht werden, da sie
wissenschaftlich reichlich uninteressant sind.

> Ich kann nur immer wieder betonen, dass Patente ein Instrument zum 
> Konkurrenzkampf im marktwirtschaftlichen Kapitalismus sind.

Das bestreitet niemand. Nur existiert der Kapitalismus nicht im
Vakuum, sondern hängt von den Rahmenbedingungen ab. Diese kann man
ändern, was auch ein Werkzeug im Konkurrenzkampf sein kann.

> Erst wenn man sich in einer Lebenssituation befindet, in der dieser
> Satz Bedeutung gewinnt, beginnt man, sich freiwillig fuer
> Patentschriften zu interessieren.

Eben. Ich befinde mich der Lage, daß die marktwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen so gestaltet werden sollen, daß einige meiner
Überzeugungen bedroht sind. Es geht dabei natürlich nicht primär um
ökonomische Aspekte, aber ich sehe nicht, warum Menschen, die in einer
solchen Lage sind, nicht am politischen Prozeß teilnehmen sollten.

Strafrecht wird von wesentlich unbeteiligteren Leuten gestaltet.

> Dass man sich als Student, Hochschul- Wissenschaftler oder nicht am
> wirtschaftlichen Geschick eines Unternehmens existentiell
> interessierter RZ-"Techie" Patentdokumente (wenn ueberhaupt) nur mit
> Brechreiz reinzieht, kann ich nachvollziehen.

Huch?

> Darum geht es aber auch ueberhaupt nicht.

Du gibst ungezwungen zu, daß das Patentwesen keine Auswirkung auf den
wissenschaftlichen Fortschritt hat? Anders kann ich Deine Anmerkung,
daß Patentschriften für den Wissenschaftler irrelevant sind, nicht
auslegen. Die Veröffentlichung der Erfindung selbst spielt also auch
in Deinen Augen nur insofern eine Rolle, als daß sie vom Patentsystem
entsprechend honoriert wird. Einen Beitrag zur wissenschaftlichen
Forschung leistet sie nicht. Vom ursprünglichen Versprechen, der
Allgemeinheit durch Veröffentlichung einen langfristigen Nutzen zu
verschaffen, der im Gegenzug durch ein zeitlich beschränktes Monopol
vergütet wird, wäre dann aber ziemlich wenig übrig.

Sind Patente im europäischen Raum als Wert an sich wirklich so sehr
verwurzelt, daß sie sich aus sich selbst rechtfertigen können? Dann
ergibt Hartmut Pilchs Frontalangriff umso mehr Sinn, egal ob sie nun
im Detail sachlich ausgewogen sind oder nicht. Diese verkrusteten
Denkstrukturen müssen um jeden Preis aufgebrochen werden.

--
To unsubscribe, e-mail: debate-unsubscribe@lists.fitug.de
For additional commands, e-mail: debate-help@lists.fitug.de