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Re: [Debate] Aeusserungsfreiheit: Russland hat es besser!

> > Milosevic wurde in dem Moment in den hiesigen Medien als "Diktator" tituliert,
> > als man gegen ihn Krieg führen wollte.
> 
> Es ist schon etwas dran, dass gewisse Label bequem sind, aber das
> aendert nichts daran, dass auch Milosevic nicht unbedingt um das
> Wohlergehen seiner Mitbuerger besorgt war, und diese notfalls auch mit
> Gewalt "befriedete".

Er war wohl von Anfang an ein nationalistischer Scharfmacher und trägt damit
auch einige Schuld am Zerfall Jugoslawiens.  Aber soweit ich weiß gab es unter
ihm mehrere Parteien und einigermaßen normale Wahlen.
 
> Kosovo ist kein Hirngespinst.

Sondern von Anfang an einer der Gründe, warum so viele Leute in Serbien
M. unterstützten und wählten.
 
> > Die EU wiederum braucht eine verbindende Idee für 25 Staaten, und da bietet
> > sich im Moment besonders engergiepolitische Solidarität gegen Russland an, dem
> > man dann natürlich, wenn es geht, am besten auch noch einen Platz außerhalb
> > der eigenen Wertegemeinschaft zuweist.
> 
> Im Falle Russland haelt sich die EU offiziell ziemlich zurueck (des
> wunderbaren Erdgases wegen?)

Bei dem Gipfel von Samara gab es so nette Dialoge.  Putin bedankte sich bei
Merkel für die Bemerkung, er habe es mit einer solidarischen EU zu tun in der
sich keiner gegen den anderen ausspielen lasse und sagte, dann werde Berlin ja
das Problem des schlechten polnischen Fleisches lösen, für das er in Warchau
keinen Ansprechpartner gefunden habe.

Es war ziemlich deutlich, dass sich Putin über eine aufgesetzte EU-Strategie
lustig machte und die Lacher wohl weltweit auf seiner Seite hatte.

> Die Russen, die ich downunder treffe, teils meine Kollegen gewesen sind,
> sind nicht pur aus monetaeren Gruenden hier.
> 
> Sie sind einer Gesellschaft satt, die weder Mass noch Wuerde kennt. Das
> entspricht auch meiner Erinnerung einer Individualreise durch Laender
> der ehemaligen Sowjetunion. Die romantische Holzhuette ohne fliessend
> Wasser auf dem Lande, die runtergekommenen Hochhaeuser in Wolgograd, in
> denen z.B. eine Mathematikprofessorin mit ihrer vierkoepfigen Familie in
> einer kleinen Zweiraumwohnung wohnt, deren Gehalt gerade halbiert wurde,
> per Dekret, waehrend im Zentrum der Stadt Bars und Bordells und Glitzer
> fuer die bereithielt, denen mafioeses Gebaren das Geld in die Kassen
> spuelt.
> 
> Ja, das ist ein Platz ausserhalb meines Wertesystems.

Es hat wohl einiges mit Stadien wirtschaftlicher Entwicklung zu tun, und Putin
wurde auch deshalb beliebt, weil er dafür gesorgt hat, dass die bescheidenen
Gehälter wieder gezahlt werden und auch steigen.  Auch da gibt es Parallelen
zu allerlei führern, einschließlich Hugo Chavez und demjenigen, in den
Deutschland mal verliebt war.  Aber Gefälligkeitspolitik und
Handlungsfähigkeit sind ja nicht wirklich Verbrechen.

> Was Du als "Pluralismus" beschreibst, ist ein halbherziges Zugestaendnis
> einer Kaste, die sich ihrer ideologischen Fesseln entledigt hat, um sich
> hemmungsloser bereichern zu koennen. Man muss doch zugeben, dass das
> ohne kalten Krieg, Kommunismus und den ganzen Schmarren besser geht.
> Jetzt kann man ungestoert national pluendern und international
> geniessen. Nur Rubel, Wolga, Datscha und Wodka war doch etwas aermlich.

Mag ja sein, aber immerhin gibt es diesen Pluralismus und einen sehr lockeren
Umgang mit Satire, ja sogar beißender Satire über Putin selber, sowie eine
gelebte Ästhetik des "lebendigen Journals", für das hiesige
"Qualitätszeitungen" eher abschätzige Bemerkungen wie "Web 0.0"

     http://www.aeusserungsfreiheit.de/07/12/graff/

bereit halten, um es im Konzert mit führenden Richtern und Politikern kaputt
zu machen.  Da ich die Gerichtsurteile ein wenig verfolge bekomme ich
wöchentlich absurdes Theater mit, das viele Leute, die sich gerne in
öffentlichen Dingen engagieren würden, verstummen und innerlich emigrieren
lässt.   Manche vielleicht sogar äußerlich, wie deine russichen Bekannten.

-- 
Hartmut Pilch				http://a2e.de/phm
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