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Re: Nulla Poena Sine Lege



At 14:35 Uhr +0200 04.10.1996, Rigo Wenning wrote:
>>> Aber eine Auslegung in die Richtung, dass Du, bevor Du sie ins Programm
>>> nimmst, verpflichtet bist, oberflaechlich zu pruefen, ob nicht der Titel
>>> schon verdaechtig ist, waere doch denkbar.
>
>[...]
>
>Bei der Aussage von Boris handelt es sich um die bisher bekannte
>Fehlinterpretation der geltenden Rechtslage, die Sieber in seinem
>Aufsatz (Stichwort Pruefungspflicht, Haftung fuer Unterlassen)
>ueberzeugend wiederlegt hat. Es kann aus dem oben genannten Absatz
>3 jedenfalls keine solche Pruefungspflicht konstruiert werden.

He, jetzt mach aber mal halblang. Ich kenne Siebers Argumentation, ich
teile Siebers Argumentation, und ich kenne auch die Debatten hier.

Ich habe die geltende Rechtslage überhaupt nicht interpretiert, auch nicht
fehl-. Ich habe auch mit keinem Wort behauptet, daß aus dem Absatz (3)
irgendeine Prüfungspflicht herauszulesen sei. Mein Gott, Absatz (3) ist so
eindeutig formuliert, daß das nichtmal die BAW oder OStA Wick, München,
schaffen würde. Halt mich bitte nicht für bescheuerter als ich die.

Es ging zwischen Heiko und mir um die Frage, ob proxy _und_ news unter (3)
fallen, oder ob eine Argumentation denkbar wäre, nach der _nur_ proxy unter
(3) fällt. Um letzteres, also daß auf proxy (3) und nur (3) zutrifft, kann
es gar keine Diskussion geben, da kann sich Herr von Elst in de.soc.zensur
noch so abstrampeln.

Bei news ist das mE nicht so klar, womit ich nicht sagen will, daß sie
eindeutig unter (2) fallen und erst recht nicht, daß sie das irgendwie
sollten. Meiner Ansicht nach ist der Entwurf hier einfach ungenau
formuliert. Hier kommen (2) und (3) nochmal:

>(2) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten,
>nur dann verantwortlich, wenn sie von diese Inhalten Kenntnis haben und es
>ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern.
>
>(3) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den
>Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich. Eine automatische
>und zeitlich begrenzte Vorhaltung fremder Inhalte gilt als
>Zugangsvermittlung.

Wir haben hier:

a. "fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten" -- trifft eindeutig
auf news zu, falls der ISP einen eigenen newsserver hat, und trifft auf
proxy zu.

b. "Eine automatische und zeitlich begrenzte Vorhaltung fremder Inhalte
gilt als Zugangsvermittlung" -- trifft ebenfalls klar auf proxy zu, und
macht proxies damit zu einer Ausnahme von (2). Ebenfalls trifft die
Formulierung zu auf postings in newsgroups, die bereits auf dem Newsserver
des ISP liegen. Weiterhin trifft sie zu auf die Vermittlung des Zugangs zu
anderen Newsservern als dem des ISP.

Insoweit ist die Sache klar.

Auf der anderen Seite ist der Newsserver des ISP schlicht "weniger"
automatisch als ein proxyserver. Das Speichern von Inhalten im Proxyserver
wird ausschließlich durch den User des ISP ausgelöst und läuft im übrigen
vollautomatisch, genauso wie das Speichern von postings in vorhandenen
newsgroups.

Die Einrichtung von newsgroups jedoch erfordert eine in irgendeinem Sinne
aktive Handlung des ISPs. Hierauf -- auf die _Einrichtung_ -- könnte also
durchaus eine Arumentation nach (2) stützen. Das oberflächliche (durch den
Titel) Bewerten von newsgroups ist doch auch die gängige Praxis bei
T-Online und AOL (weniger restriktiv bei CIS).

Das sagt im übrigen auch Sieber in der Argumentation zur "besonderen
Gefahrenquelle" (S. 502):

	Eine besondere Gefährlichkeit ließe sich allenfalls für FTP-Server mit
	unkontrollierten Up- und Download-Funktionen sowie für einzelne
	Newsgroups oder einzelne WWW-Seiten annehmen, die (bekanntermaßen oder
	bereits dem Titel nach) gezielt und eindeutig strafbare Informationen
	anbieten.

Und was sagst Du jetzt einem Staatsanwalt, der sagt: "Herr Wenning, sie
haben doch hier alt.sex.binaries.pre-teen auf Ihrem newsserver
eingerichtet. Da hätten Sie doch schon am Titel sehen müssen, daß da
strafbare Inhalte reingeschickt werden (Kenntnis), und es ist auch ohne
weiteres technisch möglich zu verhindern, daß sowas auf Ihrem Server zu
liegen kommt."?

Du sagst dann natürlich "Ätsch, Herr Staatsanwalt, aber wenn ich das
abbestelle, dann holen sich das meine User woanders! Und außerdem wird das
dann in comp.os.linux gepostet, wenn ich diese newsgroup abbestellen würde".

Der Staatsanwalt sagt dann aber: "Das mag ja sein, Herr Wenning. Auf die
Nutzung fremder Newsserver trifft ja auch (3) zu, und sie sind straflos.
Die postings in unverfänglichen newsgroups lassen Sie ebenfalls straflos,
weil automatisch und zeitlich brgrenzt. Kein Problem. Aber leider liegt
dieser Schweinkram nunmal auf Ihrem Server und Sie wußten davon, weil Sie
es am Namen schon hätten sehen müssen, und deshalb sind Sie jetzt dran."

Der Entwurf ist an dieser Stelle nicht ausgegoren, und zwar in einer Weise,
daß er unter Umständen die geltende Rechtslage sogar verschlechtert.

Das ist alles was ich sagen wollte.

Bevor Ihr hier anfangt, rumzuflamen, lest bitte erstmal, was ich
geschrieben habe.

Boris.

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