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Spiegel: Netzwelt: Jäger ohne Flinten



Hallo Leute, 

die Jagd geht wieder los. Was der Spiegel schreibt, 
ist unsere Meinung seit langem. Aber die Frage ist,
ob nicht demnaechst wieder die Hexenjagd losgeht, 
weil die Polizei immer noch nicht genug Know-How hat
und es wieder einmal eines "politischen Gags" 
bedarf.

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http://www.spiegel.de/netzwelt/aktuell/artikel.html
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           Aktuell                             Dienstag, 8.7.97

           Jäger ohne Flinten

           "Suche Kontakte zu 8-11jährigen Mädchen in
           Deutschland. Geld spielt keine Rolle" oder "Suche
           junge Stute zum Einreiten" - Mitteilungen in die
           einschlägigen Newsgroups, ohne daß sich die Absender
           auch nur die Mühe machen, ihre deutschen
           AOL-Adressen zu verschleiern. Die Dreistigkeit der
           Kinderschänder steigt.

           Diese Offenheit mag einfach Dummheit sein. Oder aber
           Arroganz. Offenbar fühlen sich die Pädophilen in den
           Weiten des Internets sicher vor polizeilicher
           Verfolgung. In den Chat-Rooms werden die
           Transaktionen zunehmend offener abgewickelt, und
           seit jüngster Zeit wird sogar auf privaten Homepages
           deutscher Provider Kinderpornographie dargeboten.
           Dabei war zumindest den deutschen Päderasten das
           World Wide Web bislang zu heiß, ganz im Gegensatz zu
           deren japanischen Gesinnungsgenossen. Obwohl es für
           die Ermittler ein Kinderspiel ist, die Betreiber
           einer Homepage zu identifizieren, werden
           kaltschnäuzig jetzt auch hier Bilder vertrieben.

           "Die Anbieter denken: Die Polizei bekommt uns sowie
           nicht!", mutmaßt auch Marianne Landeck, Leiterin der
           Geschäftsstelle des Vereins DUNKELZIFFER e.V., Hilfe
           für sexuell mißbrauchte Kinder. Ihrer Erfahrung nach
           stehen die Ermittlungsbehörden zumeist sehr hilflos
           vor dieser Art von Kriminalität. "Wenn sie mehr
           Know-how hätten, könnten sie auch mehr machen."

           Aus diesem Grund organisierte der Verein vor kurzem
           einen Lehrgang, an dem für das Internet zuständige
           Polizeibeamte aus Hamburg und Köln teilnahmen. Dabei
           wurden sie von dem Düsseldorfer Internet-Experten
           Gerhard Aretz darüber informiert, wo überall
           Kinderpornographie umgeschlagen wird. Außerdem
           standen Grundlagen über Dateiformate oder Methoden
           der Entschlüsselung auf dem Stundenplan - eigentlich
           unverzichtbares Handwerkszeug für die
           Datenbahnpolizei.

           Die Ermittler machen aus den derzeitigen Defiziten
           keinen Hehl. Das wichtigste sei jetzt eine intensive
           Ausbildung der Mitarbeiter, erkennt auch
           Kriminaloberrat Manfred Quedzuweit, der als Leiter
           der Abteilung 240 bei der Hamburger Polizei auch für
           die Verfolgung von Kinderporno-Delikten zuständig
           ist. "Das Wissen eines normalen Internet-Nutzers
           reicht für die Verfolgung nicht aus. Wir müssen
           besser sein als der Durchschnitt."

           Dabei können sich die Hamburger Ermittler glücklich
           schätzen, überhaupt einen Zugang zum Netz zu haben.
           Die nötige Hard- und Software wurde in diesem
           Frühjahr von einem Unternehmen gespendet.
           Quedzuweit: "Wir sind jetzt in der Lage, alle
           Anzeigen mit eigenen Augen im Internet
           nachzuvollziehen."

           Ohne Zweifel - die Beamten sind motiviert, den
           Kriminellen das Handwerk zu legen. Aber geschenkte
           Geräte und mit Spendengeldern finanzierte Schulungen
           sprechen eine deutliche Sprache. Es ist mehr als
           widersinnig, wenn die politische Elite von den
           Beamten eine beherzte Verfolgung von Netzstraftaten
           verlangt, ohne den zuständigen Dienststellen auch
           nur einen simplen Internet-Zugang zu finanzieren.
           Die Jäger haben keine Flinten. Und das hat das Wild
           nur allzu schnell gemerkt.

           In ihrem Kampf gegen Päderasten hadern die Fahnder
           zudem mit der föderalen Struktur der Bundesrepublik.
           Ermittlungen in Sachen Kinderpornos sind
           Ländersache. "Aber das Internet ist so gehässig, daß

           es sich darum einen Dreck schert", klagt Quedzuweit.
           Die "Tatortregelung" scheitert an der Globalität des
           Internet. Unzählige Tatorte entstehen zeitgleich;
           und da keine Dienststelle weiß, ob eine andere schon
           mit dem Fall befaßt ist, kommt es häufig zu
           zeitraubenden Doppel- und Dreifachermittlungen.
           Abhilfe würde eine zentrale Datenbank schaffen,
           beispielsweise beim BKA. Doch damit ist in
           absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

           Diese grundgesetzlichen Zuständigkeiten der
           Landeskriminalämter verursacht weitere Probleme:
           Haben die Beamten einen Täter ermittelt, der
           außerhalb ihres Bundeslandes wohnt, müssen sie den
           Fall an ihre Kollegen vor Ort weiterreichen. Bis zum
           Zugriff können so Monate vergehen.

           Der Föderalismus erschwert außerdem die
           Zusammenarbeit mit den Internet-Providern, die sich
           grundsätzlich kooperativ zeigen.

           "Die haben aus den Ereignissen der letzten zwölf
           Monate gelernt und strengen sich von sich aus an,
           sauber zu bleiben", so Ermittler Quedzuweit.
           Allerdings überschlagen sich die Dienstleister auch
           nicht gerade in der Bekämpfung von illegalen
           Inhalten. Schließlich kostet jedes Engagement Geld.

           Beispiel T-Online: Hier gehen zwar einige
           Mitarbeiter Streife, um die eigenen Homepages zu
           durchforsten, allerdings nur "sporadisch", so
           Geschäftsführer Danke von Online Pro, der
           Betreibergesellschaft von T-Online. Entsprechend
           dürftig ist die Erfolgsquote: Bisher seien noch
           keine Beamten wegen einer Homepage an das
           Unternehmen herangetreten, und T-Online selbst hätte
           auch noch nie die Behörden eingeschaltet.

           Eine schlagkräftige Waffe der Ermittler in Sachen
           Kinderpornos wäre eine Archivierung der IP-Adressen
           durch die Provider. Mit deren Hilfe lassen sich
           zumindest die Rechner bestimmen, von denen
           einschlägiges Material eingespeist wurde. Da die
           großen Provider die IP-Nummern jedoch bei jedem
           Einwählen neu vergeben, können derzeit die
           Datenströme nur während einer aktuellen Sitzung
           verfolgt werden.

           Die wichtigste Informationsquelle für die Polizei
           sind allerdings die Internet-Nutzer selbst. In
           diesem Jahr sind in Hamburg knapp 100 Anzeigen in
           Sachen Kinderpornographie eingegangen, wobei sich
           die meisten auf das Internet beziehen.

           Auch hier sind die Ermittler in einem Zwiespalt:
           Einerseits brauchen sie möglichst genaue
           Informationen, wo und wann das Material entdeckt
           wurde. Überreichte Ausdrucke oder Disketten
           ermöglichen eine schnelle Sichtung und Einordnung.

           Auf der anderen Seite ist das Speichern der
           kriminellen Daten mit Strafe bedroht. Daher wäre die
           Polizei nach den Buchstaben des Gesetzes eigentlich
           verpflichtet, auch gegen die Anzeiger vorzugehen.
           Die Hamburger Staatsanwaltschaft zeigte sich bisher
           praxisnah und hat auf eine solcherart unsinnige
           Verfolgung verzichtet. Dennoch bedarf es im Sinne
           der Rechtssicherheit dringend einer entsprechenden
           gesetzlichen Regelung. Wer auf die Mithilfe der
           Surfer angewiesen ist, sollte sie nicht abschrecken.

           Solange es an Ausrüstung und Know-how fehlt,
           Gesetzeslücken und bürokratische Starrheit die
           Beamten hindert, sind durchgreifende Erfolge nicht
           zu erwarten.

           Von Michael Görner

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