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Fwd: FAQ: Multimediagesetz, IuKDG, TDG, Mediendienste-Staatsvertrag



Rigo hatte darum gebeten.

tlr
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From: pmayer@tuebingen.netsurf.de (Patrick Mayer)
Newsgroups: de.soc.netzwesen
Subject: FAQ: Multimediagesetz, IuKDG, TDG, Mediendienste-Staatsvertrag
Date: Mon, 07 Jul 1997 20:56:40 GMT
Organization: LF.net GmbH, Internet Services, Stuttgart, Germany
Lines: 189
Message-ID: <5prjud$9m4$3@news.LF.net>
NNTP-Posting-Host: host-241.reutlingen.netsurf.de
X-Newsreader: Forte Free Agent 1.0.82
Xref: sobolev de.soc.netzwesen:13244

Was bedeuten die neuen Gesetze über Teledienste/Mediendienste für
Internet Service Provider?

Fragen (F) und Antworten (A) in aller Qürze (FAQ)

Stand: 7. 7. 1997; Version 0.1

F: Für welche Fälle gilt das TDG/IuKDG, für welche Fälle der MDStV?

A: Der MDStV gilt für Angebote, die sich an die Allgemeinheit, also
eine unbestimmte Zahl möglicher NutzerInnen, richten. Das TDG/IuKDG
gilt für Dienste, die der Individualkommunikation nahestehen. Der
Gesetzgeber regelt daher im TDG zum ersten Mal, daß für individuelle
Äußerungen ein anderer als der Äußernde verantwortlich sein kann, und
er gibt für die Individualkommunikation erstmalig bestimmte
inhaltliche Vorgaben. Gemeint ist allerdings wohl nicht
Individualkommunikation im eigentlichen Sinn, sondern eher
"wirtschaftsbezogene" Kommunikation, wie aus den in § 2 Abs. 2 TDG
genannten Regelbeispielen hervorgeht.

F: Für welche Angebote im WWW haftet ein Internet Service Provider,
der selbst nur IP-Connectivity vermittelt?

A: Nach §§ 5 Abs. 3 MMG haftet ein Provider, der ausschließlich
Connectivity bereitstellt, für die abrufbaren Inhalte nicht. Die reine
Zugangsvermittlung kann daher strafrechtlich nicht mehr zur Beihilfe
umkonstruiert werden, wie dies in Schreiben von Staatsanwaltschaften
während der letzten Jahre erwogen wurde.

F: Gibt § 5 TDG der Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer
anderen Behörde das Recht, von einem Provider die Sperrung fremder
Seiten oder eines fremden Servers zu verlangen?

A: Nein. Das gesamte TDG enthält keine Vorschriften, die als sog.
Ermächtigungsgrundlage Sperrungsanordnungen erlauben. Wie § 5 Abs. 4
TDG ausdrücklich klarstellt, können Sperrungen nur aufgrund anderer
Gesetze denkbar sein. Auch Sperrungen nach anderen Gesetzen stehen
unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit und der technischen Möglichkeit.

F: Sind Sperrungsanordnungen nach anderen Gesetzen rechtlich möglich?

A: Ja. § 18 Abs. 2 und 3 MDStV enthalten Ermächtigungsgrundlagen für
die nach Landesrecht zuständige Aufsichtsbehörde (Landesmedienanstalt,
Innenministerium, Landesverwaltungsamt oder andere Behörden). Danach
kann bei einem Verstoß gegen die wesentlichen Vorschriften des MDStV
sowohl der Provider zur Sperrung von Seiten auf seinem Server als auch
zur Sperrung fremder Angebote gezwungen werden, sofern diese Maßnahme
verhältnismäßig ist. Eine Untersagung von Angeboten darf nur
angeordnet werden, wenn ihr Zweck nicht anders erreichbar ist. Sie hat
den geringstmöglichen Umfang einzuhalten, es ist also unzulässig,
ganze Angebote zu untersagen, weil einzelne Seiten rechtswidrig sind.
Weitere Ermächtigungsgrundlagen für Sperrungen könnten die
Polizeigesetze der Länder durch ihre "Generalklauseln" ergeben. Es ist
juristisch umstritten, ob das Bestehen einer Spezialermächtigung (wie
in § 5 MDStV) die Anwendung der Generalklauseln ausschließt.
Jedenfalls dürfte eine Anordnung, die nach § 5 MDStV unzulässig ist,
nicht aufgrund der Generalklauseln zu rechtfertigen sein.

F: Dürfen Staatsanwälte Sperrungen oder Untersagungen anordnen?

A: Nein. Aus der Strafprozeßordnung ergibt sich keinerlei
Rechtsgrundlage für solche Anordnungen, das TDG enthält ebenfalls
keine Ermächtigung für die Staatsanwaltschaft. Im MDStV und in den
Polizeigesetzen sind nicht die Staatsanwaltschaften, sondern andere
Behörden mit der Durchführung der Aufsicht betraut. Auch aus
grundsätzlichen Kompetenzüberlegungen ist eine Anordnung vorbeugender
Maßnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden unzulässig, da es sich um
Gefahrenabwehrmaßnahmen handelt, die allein den sog. Polizeibehörden,
also den allgemeinen und besonderen Verwaltungsbehörden, obliegen.
Staatsanwälte sind ausschließlich für die Verfolgung von (bereits
geschehenen) Straftaten zuständig.

F: Nach welchen Vorschriften haftet ein Internet Service Provider für
die Bereitstellung von Newsgroups?

A: Die rechtliche Behandlung von Newsgroups ist weiterhin unklar. Auf
den ersten Blick könnte es sich bei den Gruppen oder den dort
vorliegenden Beiträgen um "fremde Inhalte, die sie (= Provider) zur
Nutzung bereithalten", handeln. Für derartige Beiträge haften Provider
nach § 5 Abs. 2 MDStV nur, "wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis
haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung
zu verhindern".

Fraglich ist allerdings, ob es sich bei News um Inhalte handelt, die
die Provider "zur Nutzung bereithalten". In Betracht kommt nämlich
auch, Newsgroups als "fremde Inhalte" zu betrachten, zu denen die
Provider "lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln" (§ 5 Abs. 3
Satz 1 MMG). Dabei ist zu beachten, daß nach § 5 Abs. 3 Satz 2 MMG
"eine automatische und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte aufgrund
Nutzerabfrage" als Zugangsvermittlung gilt. Diese Vorschrift ist zwar
auf Proxy-Server und Caches zugeschnitten, trifft jedoch im Wortsinn
auch auf das News-System zu, sofern die Beiträge relativ schnell
"expiren". Diese Auslegung würde auch aus verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten (Schutz der Meinungsfreiheit und des freien
Informationsflusses) den offenkundig von den Gesetzgebern nicht
beachteten Besonderheiten des News-Systems am ehesten gerecht.
Allerdings ist zu beachten, daß sich in der Stellungnahme des
Bundesrates zum IuKDG ein Hinweis darauf findet, daß "News-Gruppen"
nach § 5 Abs. 2 MDStV zu behandeln sind.

F: Können Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und der
MMG parallel auf Provider angewendet werden?

A: TKG und MMG schließen sich grundsätzlich nicht gegenseitig in der
Anwendbarkeit aus. Während das TKG die technische und
wettbewerbsrechtliche Seite der Kommunikation regelt, behandeln TDG
und MDStV vor allem die inhaltliche Seite. Schwierige
Abgrenzungsfragen ergeben sich jedoch bei den Regelungen über den
Datenschutz, sofern Provider gleichzeitig neben der IP-Vermittlung
auch eigene inhaltliche Angebote zur Nutzung bereithalten. Als
Telekommunikationsdienstleister unterliegt der ISP dann den
Vorschriften des TKG, als Anbieter von Tele-/ Mediendiensten dem
TDDSG/ MDStV. Die datenschutzrechtlichen Vorschriften unterscheiden
sich jedoch deutlich. Im Zweifel ist nach dem Grundsatz des Vorrangs
des jüngeren und spezielleren Gesetzes auf TDDSG/ MDStV
zurückzugreifen.

F: Sind auch Privatpersonen "Anbieter" im Sinne der Gesetze?

A: Die Vorschriften in IuKDG und MDStV setzen voraus, daß es sich bei
dem Betroffenen um einen "Anbieter" handelt. Anbieter ist, wer eigene
oder fremde Teledienste bzw. Mediendienste zur Nutzung bereithält oder
den Zugang zur Nutzung vermittelt. Tele-/ Mediendienste sind an die
Allgemeinheit gerichtete Informations- und Kommunikationsdienste in
Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektromagnetischer
Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines
Leiters verbreitet werden.

Diesen Definitionen kann weder der Laie noch die Expertin eine
hinreichend sichere Bestimmung entnehmen, welche Angebotsformen den
Vorschriften der MMG unterliegen. Es muß daher versucht werden, den
Anwendungsbereich aus dem Sinn der Vorschriften abzuleiten. Danach
wage ich folgende Thesen:

- Anbieter von WWW-Seiten ist jeder, ob Privatperson oder Institution,
der WWW-Seiten bereitstellt in dem Sinn, daß er die Verantwortung für
ihren Inhalt übernimmt, sofern die Seiten ein Mindestmaß an
Informationsgehalt haben.

- Anbieter ist dagegen nicht, wer Äußerungen macht, die ihrem
Charakter nach kurzfristigen, schnellebigen, spontanen Charakter
haben, sei es über E-Mail, im IRC, in Chat-Foren (auch WWW-gestützten)
oder im Usenet. Derartige Äußerungen entsprechen Äußerungen im
persönlichen Umfeld (Gespräch, Stammtischrunde u. ä.) und können nicht
den relativ strengen Anforderungen der MMG unterworfen werden, ohne
daß ein Einschüchterungseffekt eintritt.

- Problematisch ist, daß auch der Vermittler von Seiten Dritter als
Anbieter dieser Seiten gilt (Angebot fremder Seiten nach § 5 Abs. 2, 3
MMG). Juristisch ist fraglich, ob es rechtmäßig und zweckmäßig ist,
die Verantwortlichkeit danach zu beurteilen, ob ein Angebot mehr oder
weniger zufällig auf dem eigenen Server oder auf dem
Web-Hosting-Server eines Providers liegt. Für die Verantwortlichkeit
des Providers in polizeirechtlicher Hinsicht spricht allerdings, daß -
insbesondere bei anonym veröffentlichten Angeboten - ohne Mitwirkung
des Providers keine Möglichkeit zur Sperrung oder Löschung
rechtswidriger Angebote besteht. Insoweit haftet der Provider aber
nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen sowieso, so daß
der Sinn der Vorschriften fraglich bleibt.

F: Gibt es nach Verabschiedung von TDG und MDStV eine
Zulassungspflicht für bestimmte Angebote im Internet?

A: Ja. Grundsätzlich ist denkbar, daß Angebote im Internet nicht der
Zulassungsfreiheit nach §§ 4 MMG unterfallen, sondern nach § 20 Abs. 2
RStV einer Zulassung bedürfen, weil sie "dem Rundfunk zuzuordnen"
sind. Derartige Angebote finden sich beispielsweise unter
http://www.dasding.de im Internet. Dienste, die einen ununterbrochenen
Datenstrom anbieten, der sowohl vom Erscheinungsbild als auch nach dem
Inhalt "klassischem" Rundfunk entspricht, unterliegen den
Anmeldeerfordernissen des Rundfunkstaatsvertrages. Die Abgrenzung ist
nach den jetzt geltenden Gesetzen nicht nach präzisen Kriterien
möglich, weil schon die Begriffsbestimmung von Tele-/ Mediendiensten
kaum von der des Rundfunks zu trennen ist.



Das "Original" dieser FAQ und deren Aktualisierungen finden sich unter
http://www.tuebingen.netsurf.de/~pmayer/faq.htm. Ich freue mich über
Kommentare, Ergänzungen, Fragen und Kritik.


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Thomas Roessler · 74a353cc0b19 · dg1ktr · http://home.pages.de/~roessler/
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