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Rainaldo Goetz, Muenchen............
- To: debibabobu <debate@fitug.de>
- Subject: Rainaldo Goetz, Muenchen............
- From: UZS106@ibm.rhrz.uni-bonn.de
- Date: Sun, 14 Jun 98 23:31:30 MEZ
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- In-Reply-To: Your message of ??/??/??
- Sender: owner-debate@fitug.de
>
>
> [Image]
> ABFALL FUER ALLE
>
> ---------------------------------------------------------
>
> C
>
> WIRKLICHKEIT
>
> 1.
> Geschichten
>
> Und es war also Morgen geworden. Und weitere 15 Blatt
> Wirklichkeit lagen vor mir, 35 Minuten Vortrag. Und
> ich dachte: NEIN. So geht das nicht. Es muss auch
> anders gehen, kuerzer. Also gut. Also eine gute
> Viertelstunde noch.
>
> *
>
> Das medial vermittelte Wissen: klar.
>
> Aber natuerlich gibt es immer noch, auch, und genau so
> ein Wissen ueber die Welt in Form von Geschichten. Man
> hat sie entweder selber erlebt, oder sie sind einem
> erzaehlt worden.
>
> Dekonspiratione, das Buch, das aus der Schreiber-Welt
> kommend vom heutigen Sozialen erzaehlen soll, von den
> in der Berufs- und Tag-Welt wirkenden Strukturen,
> zwischen den Menschen, Institutionen, Absichten,
> veroeffentlichten Texten, Honoraren und Gespraechen -
> usw usw -
>
> wird also der Ort sein, wo die Unzahl der Geschichten,
> die sich im Lauf der Jahre, bei mir, im Kontakt mit
> dieser Schreiberwelt angesammelt haben, endlich ihr
> Zuhause in einem Text werden finden koennen. Das stelle
> ich mir toll vor.
>
> *
>
> Viele der Geschichten, die JEDER kennt, der irgendwo
> arbeitet, in irgendeinem Betrieb, koennte man direkt
> nicht erzaehlen, oeffentlich, -
>
> weil sie, auch wenn sie wahr sind, die von der
> Erzaehlung betroffene Person, die in der Erzaehlung
> agierenden Handelnden der Geschichte: blossstellen oder
> verletzen wuerde.
>
> Das ist im Normalfall und aus guten Gruenden verboten.
>
> Der oeffentliche Raum ist interessanterweise, auch wenn
> es sich manchmal eher anders anfuehlt, in Wahrheit aber
> doch ein nach wie vor sehr DISKRETER Ort.
>
> Was da wie gesagt werden darf, ist hochkomplex
> kodiert, in einer sich ausserdem dauernd neu
> erneuernden, also nichtstarren Weise.
>
> *
>
> Man kann, Beispiel wieder dieses Wochenendes, die
> Figur Salman Rushdie nehmen, und die oeffentliche
> Hysterie, die da seit vielen Jahren dazugehoert. In
> einer absurden Verschiebung der tangierten Probleme -
>
> denn wenn nun mal eine Religion noch so sehr ans Wort
> glaubt, dass sie von einem literarisch geaeusserten Wort
> sich angegriffen fuehlt, dann muss dieses Wort
> selbstverstaendlich zurueckgenommen werden, vom Autor,
> alles andere ist doch kompletter Unsinn -
>
> wird statt dessen in der OEffentlichkeit, die sich
> genau darueber konstituiert, welche Sprachkodizes in
> ihr gelten, welche Themen, Redeweisen und Zuspitzungen
> im Moment nicht ausgesprochen werden duerfen, die sich
> also einem ununterbrochenen hochvernuenftigen Prozess
> dauernder Selbstzensur ALLER Beteiligten verdankt -
>
> der Fall Rushdie zum Phantasma - fuer das Problem der
> Pressefreiheit. Man hat immer den Eindruck, hier
> wuerden ploetzlich alle die -
>
> sonst so heftig nach innen gerichteten Energien, die
> bei jedem oeffentlich sich AEussernden dauernd,
> halbbewusst, mehr getraeumt und oft auch ganz praezise
> analytisch in die Bestimmung dieser Trennung gehen:
> was ist sagbar, oeffentlich, was nicht -
>
> endlich kollektiv zur empoerten Entladung sich hier
> bringen duerfen, in dieser ewigen Kampagne. Und Guenter
> Grass lasse ich jetzt weg. Ist ja heute ein grosser
> Artikel in der Faz, den ich noch nicht gelesen habe.
>
> *
>
> Das Problem heisst einfach:
>
> Ich weiss das und das. Ich kenne die und die
> Geschichte. WIE kann ich sie erzaehlen? Welcher Zensur
> muss ich mein Sprechen unterwerfen, um unter den
> Bedingungen der oeffentlichen Rede im Effekt moeglichst
> nahe an den urspruenglichen Ausgangspunkt der realen
> Erfahrung, der wahren Geschichte, der Wirklichkeit
> also dran zu kommen?
>
> *
><schnipp>
>
>