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Re: Balkan, China und Demokratie [ohne Umlaute]



Gerade habe ich festgestellt, dass dieser Artikel unleserlich ankam.
Ich hatte ihn in Latin-1 (iso-8859-1) abgespeichert und aus
Emacs/Rmail abgeschickt, aber er kam nicht als Latin-1 bei mir an.

>  > Ein Krieg,
>  > der nicht "die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" ist, bricht
>  > zusammen.

>  In der Tat. Und die Politik war Expansion. Der Macht, nicht des Glaubens.

Das Clausewitz-Zitat meine ich anders: Ein Krieg braucht immer sowohl
ideelle als auch materielle Ziele als auch eine glaubwuerdige
politische Fuehrung. Es muss den Soldaten klar sein, wofuer sie
kaempfen und wann das Kriegsziel erreicht ist und die Politik
weitergeht.  Das war bei den Kreuzzuegen nicht gegeben.  Deswegen
konnten sie nur in ein Aufbegehren der Generaele oder in ihre
Demoralisierung und Barbarisierung muenden.  Aehnlich war es beim
deutschen Russlandfeldzug.


>  "Wenige Personen" schaffen es aber durchaus, ein Land vor die Hunde gehen 
>  zu lassen. Siehe Nordkorea. Hat Hodscha nicht eine durchaus aehnliche 
>  Politik verfolgt? Mit vergleichbaren Erfolg?

Ganz richtig.  Nicht einmal ein Ceaucescu hatte diesen "Erfolg".

Radio Tirana war amuesant anzuhoehren. Bombastische Rhetorik, aufregende
Dramatik.  Mehrmals wurden f,C|(Bhrende Regierungsmitglieder als
Doppelagenten von CIA+KGB+... entlarvt, und nach der Nachricht vom
Selbstmord oder der heldenhaften Fluchtverhinderung durch die wachsame
albanische Volksarmee ert,Cv(Bnte leichte Musik.

Fuer Despotie der albanisch-nordkoreanischen Art braucht man eine
Umgebung aus kulturell unvorbelasteten Zuarbeitern: wenig
Wertebewusstsein, am besten eine Kulturwueste ohne Religion.  Albanien
war das einzige Land Europas, dass sich bruesten konnte, zu 100% aus
Atheisten zu bestehen.  Sicher auch ein Erfolg der Osmanisierung.  In
Polen oder Tschechien konnte so etwas nicht Wurzeln schlagen.
 
>  Ich versuche auch, mit technischen und oekonomischen Argumenten den 
>  Einsatz von Microsoft-Produkten zu verhindern, wo immer es geht.
>  Aber ich mache keinen Kreuzzug daraus: Die "Linuxbewegung"? [Schauder]

Es geht um mehr als M$ oder Linux: um die Offenheit von Schnittstellen
und den freien Zugang zu Maerkten.  Unser wirtschaftliches
Anreizsystem misst dieser Offenheit so gut wie keinen Wert bei, im
Gegenteil, wer fuer offene Schnittstellen programmiert, hat keine
Ellenbogen, keinen Wert als "strategischer" Buendnispartner, keine
kletternden Aktienkurse, keine "Professionalitaet".

Vor zwei Jahrzehnten mass unser Anreizsystem auch dem Wasser, der Luft
und den natuerlichen Ressourcen keinerlei Wert bei.  Wer die Umwelt
staerker verschmutzte, gewann dadurch einen Wettbewerbsvorteil.
Haettest du auch damals argumentiert, man solle den Einsatz von
umweltschaedlichen Produkten mit "technischen und oekonomischen
Argumenten" verhindern und brauche keine "Umweltbewegung" [Schauder]?

> [Bericht ueber Polizeipruegelei in Beijing 1990]

1989-91 war eine Hochspannungsphase.  Jetzt ist alles viel lockerer.
Aber in manchen Provinznestern, besonders im Norden und Nordwesten,
spielen sich sicher noch immer solche Szenen ab.

>  > Soweit ich sehe, laeuft die chinesische Politik auf Assimilierung bei
>  > gleichzeitigem besonderen Schutz der Minderheiten hinaus.  

>  Schoen sagst Du das. In anderen Worten: Ihre Kultur wird zerstoert.

Ich koennte ziemlich aehnliches von der EU sagen: Assimilierung durch
Englisch und subventionierte Voelkerdurchmischung bei gleichzeiter
Abfederung durch ein paar Nebelwerferprogramme zur Multilingualitaet und
Kulturfoerderung.

In China lernte ich immerhin noch einen tibetischen Kulturfunktionaer
kennen, der seit seiner Jugend fuer die KPCh gekaempft hatte und nun
offiziell dafuer zustaendig war, chinesisch-tibetische Normwoerterbuecher 
zu verfassen und die Sinisierung der tibetischen Sprache zu verhindern,
d.h. dafuer zu sorgen, dass neue tibetische Woerter in Umlauf kommen.

In Deutschland habe ich dauernd mit Leuten, die sich "European Patent
Attorney" nennen, obwohl Deutsch Amtssprache des EPA ist.  Oder mit
Uebersetzerkollgen wie "Herr Kevin Schmidt, Planning Director, Customer
Services Department, Schmidt Translation Network GmbH", die eifrig an
der Pidginisierung des Deutschen arbeiten.  Von Grosskonzernen wie VW
und Deutsche Bank ganz zu schweigen, die selbst intern auf Englisch
kommunizieren, da sie das zur "Konzernsprache" erklaert haben.  Im Zug
der Deutschen Bahn (Endstationen: Saarbruecken, Klagenfurt) musste ich
mir kuerzlich bei jeder Kleinstation lange nutzlose Ansagen in
englischer Sprache anhoeren.  Das ist von hoher Stelle so beschlossen.
Die Mikrofonansage dient dabei keinem praktischen Zweck, sie ist eine
Hoheitserklaerung der Bahnleitung, die damit Praesenz und Flagge zeigt.

>  Und wer seinen Glauben nicht aufgeben will, der landet im Lager.

Erscheint mir aufgrund meiner Erfahrung sehr unwahrscheinlich.  

Leider ist westliche Berichterstattung ueber diese Themen voellig
unzuverlaessig.  Um als westlicher Journalist Erfolg zu haben, genuegt
es seit 1989, schlecht ueber China zu schreiben, Fakten werden nicht
ueberprueft.  Und zur Not wird frei erfunden, damit es in die Linie
passt.  Das stoert ohnehin niemanden bei uns.  So auch bei Clintons
China-Besuch.  Da schaemt sich auch die SZ nicht, in Bild-Manier mit
Halb- und Unwahrheiten die Stimmung anzuheizen.  Schliesslich ist
Objektivitaet anstrengend und das Geld verdienen dann die anderen.

Deshalb kann ich nur meinen eigenen Erfahrungen und denen kompetenter
Bekannter glauben.

>  Freunde, die von Kashgar aus in suedoestlicher Richtung aus reisten, 
>  haben die Lager mit versklavten Uiguren gesehen.

Sicher auch mit versklavten Han-Chinesen.  In chinesischen
Gefaengnissen herrscht Arbeitszwang.  

>  > Auch die religioesen
>  > Kulte werden nicht unterdrueckt sondern eher gefoerdert.  

>  Ach, darum standen in der Moschee in Kashgar immer diese chinesischen 
>  Geheimdienstler 'rum? Damit keiner die Moschee klaut?

Nicht dass ich das dem Geheimdienst nicht zutrauen wuerde, aber sind
Geheimdienstler so leicht zu erkennen?

Dass der Islam eine leicht politisierbare Religion ist und Moscheen
potentielle Unruheherde sind, ist klar.  Dass uighurischer
Nationalismus sich dort sammelt, ist auch klar.  Die chinesische
Religionspolitik verbietet die Politisierung des Islam, foerdert
aber gleichzeitig den islamischen Kult.  (Eine heikle Sache:  das
war die Politik des Schah von Persien und er stuerzte darueber.
Die Imams wollen sich nicht auf Religion beschraenken).

>  > Ueberall in
>  > chinesischen Staeten findet man Uighurenviertel und Angehoerige aller
>  > Minderheiten.

>  Zu denen bin ich in Peking immer zum Essen gegangen. Ich hatte den 
>  Eindruck, dass sie von den Chinesen behandelt wurden wie der letzte 
>  Dreck. 

Von welchen Chinesen?  Das Verhaeltnis der Uighuren zur Beijinger
Bevoelkerung ist nicht besonders gut, was aber nicht an einer
diskriminierenden Politik liegt.  Auch die Kasachen in Xinjiang moegen
z.B. die Uiguren nicht, sagen ihnen Dinge nach wie "die haben kein
gutes Herz".  Ich habe tatsaechlich sehr viel Kriminalitaet bei
Uighuren feststellen muessen.  Ihre Maenner sind meinem Eindruck nach
ein rauhes mittelasiatisches Haendlervolk, dass immer lange Messer mit
sich herumtraegt, grossen Wert auf die eigene Praepotenz und die
Verpruegelung der Ehefrau legt, und meint, mangels Drohung der Scharia
sei jeder dumm, der sich nicht reich klaut.  Tatsaechlich sind sehr
viele Uighuren in Prostitution, Drogenhandel und dubiosen Geschaeften
taetig.  Aber nicht nur: einer der Studentenfuehrer des 4.Juni 1989,
Wu-er Kaixi (Oerkesh), ist ein eloquenter und charmanter Uighure, und
die Studenten sind ihm gerne gefolgt.  Leider hat aber auch Oerkesh
manche Vorurteile gegenueber Uighuren verstaerkt.  O-Ton: "Ach, eine
Hongkonger Journalistin will mich sprechen?  Ne, eigentlich bin ich zu
muede.  Hmmm, ist sie denn huebsch?  Wirklich?  Dann lasst sie rein!"

Es besteht grundsaetzlich grosses Wohlwollen gegenueber diesen Leuten.
Die Behoerden propagieren dieses Wohlwollen, und sie zensieren auf
Durck von Minderheitenorganisationen chinesische Autoren, die ueber
die Rueckstaendigkeit von Minderheiten schreiben (so z.B. Ma Jian
1988).  Meine obigen Erfahrungsberichte waeren auch zensiert worden.
    
>  Es werden in Sinkiang immer mehr Chinesen angesiedelt. 

Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zu einer Aussage wie
"Es werden in Deutschland immer mehr Auslaender angesiedelt."

>  Sie, und nicht die 
>  Uiguren, haben dort die Macht, oder auch nur die besseren 
>  Lebensverhaeltnisse. Sinking ist eine chinesische Kolonie, 
>  keine Mischung gleichberechtigter.

Ich kenne Xinjiang indirekt (durch Bekannte).  Ich habe durchaus den
Eindruck, dass die Leute dort alle gleichberechtigt sind, aber fuer
die Uighuren, Kasachen und Kirgisen ist der Zutritt zu vielen
Karrieren dadurch erschwert, dass Chinesisch die dominierende Sprache
ist.  Uighurisch ist allerdings Amtssprache und oeffentlichen Schilder
und Plakate sind zweisprachig.  Es werden grosse Anstrengungen
unternommen, vielen Uighuren eine Universitaetsbildung zu
ermoeglichen.  Viele studieren im chinesischen Inland und werden bei
Pruefungen nachsichtig behandelt.

>  Die Situation in Tibet ist wohl allgemein bekannt.

Leider nicht.  Tibet ist ein Katastrophenbereich unseres Journalismus.
Es gibt eine Sehnsucht nach einer Hochkultur, auf die man seine
letzten Utopien projizieren kann.  Es gibt eine grosse Marktnachfrage
nach Berichten ueber die postmodern-esoterischen Tibeter und die
brutalen chinesischen Unterdruecker.  Und die wird befriedigt.  Nicht
dass dort nie schlimme Dinge passieren wuerden.  Aber unsere Presse
verhindert wirksam, dass glaubwuerdige Information darueber nach
aussen dringt.

Da ich nur meinen Erfahrungen und denen einiger Bekannter glauben
kann, weiss nicht viel ueber Tibet.  Aber ein paar Sachen will
ich hier nennen:

(1) Die einzige "Besetzung Tibets" fand um 1740 statt.  Seitdem
gehoert es unangefochten zu China.
  
(2) Maos Regierung ergriff die Macht in Tibet viel unmittelbarer als
vorige Regierungen es getan hatten.  Sie zerschlug die tibetischen
Herrschaftsstrukturen und ermordete durch mehrere klassenkaempferische
Terrorwellen in den 50er und fruehen 60er Jahren vermutlich etwa 1
Million Tibeter, vor allem aus der fruehen "Sklavenhalterschicht".

(3) Waehrend den von Mao ausgeloesten buergerkriegsartigen Turbulenzen
(1966-76) fielen in Tibet ebenso wie ueberall in China viele Menschen
und viele Denkmaeler fanatisierten Horden (roten Garden u.a.) zum
Opfer.

(4) Tibet war vor Maos Kampagnen tatsaechlich eine despotische
Sklavenhaltergesellschaft mit schlimmsten Folterpraktiken und einer
religioesen Opium-fuer-das-Volk-Politik deren Nachwirkungen bis heute
anhalten.  Jede echte Religion hat zwei Seiten, auch eine
inspirierende.  Die Europaeer sehen eher die inspirierende, die
Chinesen eher die haessliche.  Auch viele junge Tibeter sind, wohl
auch durch chinesische Schulbildung, heute der Auffassung, dass man in
dem von China verwalteten und versorgten Tibet als gleichberechtigter
Buerger neben den frueheren Sklavenhaltern sich besser lebt als unter
dem Regime ihrer Vorfahren.

(5) Das nationale Aufbegehren, das sich besonders an religioesen
Kultstaetten kristallisiert, wird unterdrueckt.  Ansonsten geniessen
die Tibeter wie alle Minderheitsangehoerigen allerdings nicht weniger
sondern eher mehr Rechte als die Han-Chinesen (z.B. Ausnahmen bei
der 1-Kind-Politik).

(6) Das Ansehen der Tibeter bei den Han-Chinesen ist nicht sehr hoch.
Sie gelten zwar ueberhaupt nicht als brutal, betruegerisch und
luestern-machohaft wie die Uighuren, aber immerhin als rueckstaendig,
schmutzig und blind-aberglaeubisch.  Trotz offizieller positiver
Propagierung der tibetischen traditionellen Kultur dominieren diese
Eindruecke die Haltung vieler Han-Chinesen, was wiederum das
Selbstwertgefuehl vieler Tibeter verletzt.

>  Die Zerstoerung der Identitaet und Kultur fuehrt zwangslaeufig zu 
>  Buergerkrieg und ethnischen Saeuberungen, weil sich die Betroffenen 
>  wehren. Den allermeisten Tibetern ist's doch vollkommen egal, wer im 
>  Grenzhaeuschen sitzt oder welche Farbe Tibet auf der Landkarte
>  hat. 

Den Tibetern mag das weitgehend egal sein.  Der potentiellen
Herrscherschicht eines souveraenen Tibet jedoch nicht.  Es geht
schliesslich nicht nur um Grenzhaeuschen sondern um Militaerehren,
Flaggen, Waehrungen, UN-Konferenzen usw.  Das liess so manches Herz
von KP-Chefs ehemaliger Sowjetrepubliken (Nasarbajew und wie sie alle
heissen) hoeher schlagen.

Genau dies erklaert ganz gut die Situaltion der chinesischen
Minderheitenpolitik: es ist ein Balanceakt zwischen Zufriedenstellung
der breiten Bevoelkerung, Foerderung der Minderheitensprachen und -
kulturen (aehnlich der EU-Politik, groesstenteils folgenlose
Nebelwerferei, aber mit mehr sichtbarem Engagement betrieben) bei
gleichzeitiger Niederhaltung von Leuten, die separatistische Flaggen
hissen wollen.  Einerseits "entschlossene Unterdrueckung" solcher
Tendenzen, andererseits Vermeidung jeglicher Provokation der breiten
Bevoelkerung.  Die chinesischen Stellen fuer Religions- und
Minderheitenpolitik verstehen diese "Minderheitenpolitik" sehr wohl
und fuehren sie vorsichtig aus.  Chinesische Provokationen der
Bevoelkerung mag es geben, aber die Berichte, die ich gelesen habe,
entsprangen mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Wunschdenken von
Separatisten, das ueber eine Kette von abschreibenden und dabei
stufenweise ausmalenden Nachrichtorganen den Weg bis zu uns findet.

Da sich bisher keine Buergerkriegsstimmung provozieren liess, greifen
einige Uighuren jetzt zum aeussersten: sie jagen Busse in die Luft.
Doch bisher lassen sich die chinesischen Behoerden auch damit nicht zu
mehr als sehr eng begrenzten gezielten Aktionen provozieren.  Mangels
Interesse der uighurischen Landsleute, denen es wirtschaftlich besser
geht als ihren ehemals-sowjetischen Nachbarn, kommt der
Befreiungskrieg nicht zustande.

>   Aber 
>  die Zerstoerung ihrer Kloester, ihrer Kultur und Religion, ihrer 
>  Identitaet, finden sie nicht so lustig. Ich auch nicht.

Die Zerstoerung von Kloestern usw ist seit mehr als 2 Jahrzehnten
vorbei.  Wiegesagt findet meinem Eindruck nach dort derzeit nicht mehr
Kultur- und Identitaetszerstoerung statt als bei uns.   Ein Unterschied
liegt in der Verletzung des Stolzes, die man dort mehr findet als hier.

>  Sinkiang wurde erst im 18. Jahrhundert chinesisch, auch dann war die 
>  Macht Chinas dort nie unangefochten, die Uiguren wollten sie dort nie 
>  haben. China betreibt eine kolonialistische Politik.

Dennoch ist das Gebiet nur etwa zur Haelfte uighurisch.  Versuche,
dort in den 40er Jahren einen uighurischen Staat zu gruenden fuehrten
zum Massenmord (das muss man bei allen Vergleichen der Zuwachszahlen
von Han-Chinesen beruecksichtigen:  nach der Wiedergewinnung
Singkiangs waren die meisten vertrieben oder ermordet).  Von einem
Kasachen hoerte ich auf die Frage: 

 "Was macht ihr, wenn ihr eines Tages die Han-Chinesen los seid?" 

die Antwort 

 "Krieg gegen die Uighuren fuehren!"

>  Das Problem ist nicht, dass Tibet und Sinkiang  Teile Chinas sind. Das 
>  Problem ist, was die Chinesen dort machen. Wer sich assimiliert, bleibt 
>  ein Chinese zweiter Klasse, wer sich nicht assimiliert, wird
>  beseitigt!

Das entspricht nicht meinem Eindruck.  Wenn du meinst: "Wer nationalen
Widerstand organisiert, wird beseitigt", kommt es der Wirklichkeit
wohl naeher.  Wenn du meinst "Wer seinem Widerstandswillen durch das
Leben unbeteiligter Buspassagiere Ausdruck verleiht, wird beseitigt",
dann hast du Recht.

Viel der uighurischen Rhetorik, die ich lese, ist Rhetorik des
Heiligen Krieges (und der R.A.F.).  Ihr fehlt jede Differenzierung
zwischen "Assimlation" und "Vernichtung".  Sie daemonisiert den Gegner
und stilisiert begrenzte Interessenkonflikte zu Kaempfen um Leben und
Tod, die jede Art der Gegenwehr heiligen.  Sie schert sich noch
weniger als unsere Zeitungen um Wahrheit.  Was der Hetze dient, wird
geschrieben.  Leider druckt die "Gesellschaft fuer Bedrohte Voelker"
solche Berichte meist unveraendert als eigene Meldung ab, so dass man
sofort die Quelle dahinter (z.B. Muenchener Ostturkestan-Bulletin)
erkennen kann.

>  > Offene Software erzeugt eben gerade keinen Zwang.  Es geht darum, in einer
>  > Welt zu leben, in der die Wahl des Betriebssystems nicht durch
>  > Kompatibilitaetsanforderungen diktiert wird.

>  Ich habe bei Dir aber den Eindruck, "Offenheit" heisst vor allem "Linux".

Die Kriterien von Offenheit habe ich in 

	http://www.a2e.de/phm/mlugsatzde.html
	http://www.a2e.de/phm/konkrefde.html

ueberdeutlich definiert, ohne ueberhaupt das Wort Linux zu verwenden.
FreeBSD, Projekt Gutenberg, Java, Corba, ISO-Standards wie SGML und
vieles mehr faellt mehr oder weniger darunter.

>  Gerne: In Deinem buerokratischen Obrigkeitssystem gibt es eine Elite, 
>  welche die Entscheidungen trifft und sie dann durchsetzt. Das ist 
>  wundergut, wenn diese Elite wirklich eine Elite im positiven Sinne ist 
>  und nur "gute" Entscheidungen trifft und durchsetzt. Bemaechtigt sich 
>  jedoch eine nicht so gute Elite der Macht, hat sie damit einen
>  hervorragenden Unterdrueckungsmechanismus. 

Ganz so naiv bin ich nicht.  Ich traue keiner Elite Integritaet zu.
Jeder Souveraen muss sich Forderungen unterwerfen, egal ob Koenig,
Elite oder Volk.  Mein Wunschsystem wuerde es jedem ermoeglichen,
aufgrund seiner Faehigkeiten Zugang zu angemessenem Einfluss zu
bekommen.

Ich weiss ferner noch eines: meine Wunschvorstellungen sind mangels
allgemeinen Verstehens und Verstehenwollens kaum zu verwirklichen, und
es lohnt sich nicht, um der vagen Hoffnung auf eine Utopie willen
demokratische Errungenschaften aufs Spiel zu setzen, wie es etwa viele
Sozialismussympathisanten im kalten Krieg getan haben.  Gleichzeitig
ist meine Liebe zur real existierenden Demokratie und Marktwirtschaft
aber so weit abgekuehlt, dass ich an dem von weiten Teilen unserer
Medien betriebenen China-Kreuzzug nicht mehr teilnehme.

>  Und was war das Vorspiel der Ochlokratie? Gleitet eine funktionierende 
>  Demokratie mit einer gescheiten Verfassung so leicht in eine Ochlokratie ab? 
>  Ich denke nicht. 

Doch.  Heute sind wir der Ochlokratie naeher als 1949.  Schau dir an,
wie die Wahlkampfplakate dem Souveraen Honig um den Mund schmieren und
ihm nicht annaehernd reinen Wein einschenken.  Genau so wie es
schlechte Staatsdiener bei einem Kaiser machen, der dadurch zum
Tyrannen wird.  Die Verfallssymptome sind vielfaeltig.  Eines davon ist
auch das Unverstaendnis dieser ML fuer die Grenzen der Meinungsfreiheit
und fuer den Leitgedanken der Menschenrechtsartikel, der eben nicht in
der "Wuerde des Menschen" und nicht der "grenzenlosen Freiheit und
Unverantwortlichkeit fuer jede Propagandamaschinerie" besteht.  1949
hatten die Leute eine bittere Erfahrung hinter sich, heute hingegen
haben sind wir in Wohlstand und einer vom durch werbungsfinanziertes
Fernsehen, Laissez-faire-Ideologie u.a. erzeugten Kulturwueste
aufgewachsen.

>  "Allen"? So wie in China?

Wer sagt, dass das heutige China ein Vorbild ist?  Gerade durch seine
Rueckstaendigkeit eignet es sich aber gut als Pruefstand fuer allzu
blauaeugige politische Universalansprueche.

Ich war selber ein wenig in die 1989-er Bewegung involviert und habe
dann, wie viele chinesische Freunde, erstaunt festgestellt, dass ich
mit den meisten meiner (vom damaligen chinesischen Zeitgeist
eingefloessten) Annahmen ueber Chinas Zukunft unrecht hatte.  Meine
damalige liberale Ideologie hatte sich als realitaetsferne Heilslehre
entpuppt.  Durch das Abtreten der Demokratieeiferer von der Buehne ist
nichts schwaerzer geworden als damals.  Im Gegenteil wird die
Gesellschaft immer ziviler und freier.  Wo frueher eine Weisung von
oben genuegte, um den Volkskongress auf Kurs zu bringen, muss jetzt
intensiv Ueberzeugungsarbeit geleistet werden.  Die intellektuelle
Auseinandersetzung, die dabei stattfindet, steht der in westlichen
Parlamenten, wenn ueberhaupt, nur wenig nach.  Und China geht es
besser als dem von Rohstoffen, Raum und mittlerweile Demokratie
gesegneten Russland.  Wer das nicht zugibt, den ueberzeugt vielleicht
der Andrang von Russen, die in China Arbeit suchen.

Die KP-Regierung und wir, meine Freunde und ich, waren von einer
global-kapitalistischen Mechanik marginalisiert worden.  Ihr Feind ist
nicht mehr die KPCh, sondern die Vermassung der Kultur, die durch den
Kommerz zum Leitbild der Gesellschaft avancierte Niveaulosigkeit, das
geringe Ansehen von Kuenstlern und Wissenschaftlern, ganz zu schweigen
von Denkern --- auch Pasternak klagte bekanntlich, dass zu Stalins
Zeiten ein Denkerkopf noch eine Gewehrpatrone wert gewesen sei --- und
das Abhandenkommen jeglicher Moeglichkeit rationaler Steuerung.  Ein
blinder Mechanismus aus Kapital+Ochlos reagiert die Welt und ist nicht
mehr zu stoppen, im Vergleich zu dem die (fast belanglos gewordene)
Parteilinie noch rational und menschlich erscheint.

Das Kapital wird mit zunehmendem Anwachsen des Faktors Information
immer weniger von einer wohlwollenden "unsichtbaren Hand" gesteuert.
Der Gott des freien Marktes ist tot, aber die liberale Ideologie lehrt
uns, ihm mehr zu vertrauen als jedem Versuch willentlicher Schaffung
von Anreizsystemen durch eine sichtbare Hand.
 
--
Hartmut Pilch <phm@a2e.de>
a2e Ostasien-Sprachendienste Pilch, Wang & Co 
http://www.a2e.de/oas/, Tel +49891278960-8