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Re: Minitel (was Re: Bürgernetze)



On Fri, Dec 11, 1998 at 10:51:44AM +0100, Till Kinstler wrote:
> On Thu, Dec 10, 1998 at 11:00:57PM +0100, Simone Demmel wrote:
> 
> > Information ist auch gewaehrleistet, wenn eine Art Intranet erzeugt wird,
> > mit Zugang zu den Behoerdenservern, sowie Nachrichten-Servern. dazu
> > eventuell eigene kleine Bereiche zur Kommunikation untereinander. In
> > Frankreich gabs frueher sowas angeblich mal - wie hiess das? Minitel oder

NACK; hoechstens eine Regierungspropagandaluege (Begruendung folgt).

> > so? (wuerde halt auf eine Art staatlich gefoerderten Onlinedienst
> > hinauslaufen, mit ganz klaren Grenzen: naemlich: kein Internet)
> 
> Minitel ist eher sowas wie BTX. Angebote in Minitel beschraenken

ACK.
Es ist vergleichbarer Dreck wie Btx. Nationale Grenzen, das
Zweiklassenprinzip und Preishuerden praegen das System.
Nur zum Vergleich: eine Btx-Postkarte innerdeutsch kostete um
1985 vierzig Pfennig.
Das rechne jeder mal durch fuer seinen E-Mail-Verkehr pro Monat!

Der Ursprung war PRESTEL in England, technische Basis Videotext
mit 24*40 (naja, 25*40). Die vierzig Zeichen beruhen auf der auf
damals (198?) ueblichen Fernsehern maximal darstellbaren Zahl
von Zeichen pro Zeile.

Die Industriepolitik der nationalen Abschottung fuehrte dazu, dass
Frankreich eine zu PRESTEL nicht kompatible Erweiterung durchfuehrte
und MINITEL einfuehrte mit folgender Doppelstrategie (AFAIK):

1. Zwangsvorgabe RGB-Eingang in neue Fernseher (SCART-Steckdose)
2. Wer auf das Telefonbuch _verzichtete_ bekam MINITEL gratis

Letzteres fuehrt zu deutlichen Einsparungen an Druckkosten
fuer Telefonbuecher in ganz Frankreich.

Hinzu kommt die Genialitaet der MINITEL-Konstruktion (ich kenne
diese, weil der CCC ein solches illegalerweise "geschenkt" bekam
und dieses "Geschenk" war ein ebensolches "Verbrechen" wie das
"Verschenken" eines Bundespost-Waehlscheibentelefons an Freunde
in Frankreich):

- primitiver kleiner 12 V schwarzweiss-Monitor
- drei Klapp-Platinen dran: Monitor-Steuerung,
  Minitel-Logik mit 8051 (soweit erinnerlich)
  und 1200/75 bps Modem sowie Billigst-Tastatur
  (alles billigste Standard-Bauteile)
- Netzanschlusskabeleinfuehrung ins Gehaeuse von ca. 5*5 cm
  war oeffnungsentscheidend und enthielt die ins Plastik
  eingepraegte Seriennummer des Geraetes
- extrem servicefreundlich; auch ein Autoschlosser mit recht
  grober Feinmotorik konnte auf Modul-Austauschebene reparieren
  ohne elektrische Gefahr, weil das Netzteil getrennt und die
  Platinen auseinanderklappbar und steckbar trennbar waren
- das einzige "muehsame"  war das Einfaedeln eines neuen
  Netzkabels in das Plastikteil mit der Seriennummer und das
  musste nur gemacht werden, wenn ein Teilnehmer mit der Axt
  den Netzstecker abtrennte (wahrscheinlich war Netzkabelwechsel
  den Telefonklempnern aus Elektro-Sicherheitsgruenden verboten
  und dann wurde das komplette Geraet getauscht)


Ein Minitel duerfte bereits 1985 kaum mehr als 100 DM in
der Herstellung gekostet haben und hat sich damit auch dann
"bezahlt" gemacht, wenn ein Telefonbuch nur 5 DM kostet -
denn die Telefongebuehren zum Minitel-Abruf fallen an und
Sex sells galt auch in Frankreich: es ist Standard, neue
Medien mit Freizuegigkeit bei Sex einzufuehren und erst dann,
wenn das Geschaeft laeuft, diesen zu "reglementieren".

In Westdeutschland hat Schwarz-Schilling den zu Minitel
erweiterten Prestel-Standard nochmal erweitert, um den
engl. und franz. Firmen den Markteintritt in der BRD zu
vermiesen und den Btx-Standard ohne Klammeraffe geschaffen
(heute als erweiterter Videotext-Standard ueblich).
Dieser industriepolitische Fehlgriff fuehrte in der BRD
zu vierstelligen Geraetekosten herstellerseitig (statt 
vielleicht rund 100 DM bei Minitel in Frankreich).
Durch Ueberladung der angeblich "europafaehigen" Norm
(die jedoch nicht einmal franzoesische Akzente im Datenfeld
Anbietername erlaubte) mit komplexen Funktionen kam es ueber
viele Jahre zu nicht normgerecht arbeitenden Geraeten und der
CCC hatte viel Spass damit, Abstuerze von postzugelassenen
Geraeten durch aamltich erlaubte Codesequenzen zu erzeugen.

Bei Btx und Minitel war Abschottung zu auslaendischen Diensten
das wesentliche Dienstmerkmal, um grenzueberschreitende
Probleme auszuschliessen - dies ist ein wesentlicher (!)
Unterschied zum Internet.

> sich nicht auf den "staatlichen" oder "oeffentlichen" Bereich,

Naja, die "Markteintrittsgebuehr" fuer Btx betrug rund tausend
DM pro Monat fuer ein "kleines" Info-Angebot wie das vom CCC;
da war Frankreich schon etwas (!) billiger, aber immer noch
ein Zweiklassensystem. Dieses Zweiklassensystem mit der
hohen Markteintrittsgebuehr fuer Informationsanbieter und
die unsymmetrische Bitrate preagten das System: der
"Verbraucher" wurde mit 16mal soviel Infos zugeschissen 
(1200 bps) wie er selbst senden konnte (75 bps).

Zudem sorgte die asymetrische Bitrate technisch dafuer, dass zwei
Teilnehmer niemals direkt miteinander kommunizieren konnten,
weil das "nicht passte"; nur die Btx-Zentrale (Minitel-Zentrale)
konnte 75 bps empfangen und 1200 bps senden; zwei Teilnehmer, die
beide mit 1200 bps empfingen und mit 75 bps sendeten, konnten
nicht direkt miteinander kommunizieren.

Insofern sind Vergleiche der kommunikationsfeindlichen Systeme
Prestel/Minitel/Btx mit dem Internet historisch unpassend und
IMO nur Zweckluegen im Rahmen verdummender Regierungspropaganda
zur Verklaerung industriepolitischer Fehler der Vergangenheit.

Schwarz-Schilling hat bei Btx einen vielleicht nicht ganz so
grossen Haufen Steuergelder vergeudet wie beim Kabel-TV,
aber ein teurer Fehlschlag war es schon.

Es gab bessere Konzepte, schon damals.

Die Zweiklassensysteme taugten niemals als Buergernetz.
Der CCC hat sich an Btx nicht beteiligt, um ein Buergernetz
zu promoten, sondern um Praesenz zu zeigen und die Widersprueche
im Kozept aufzuzeigen.

"Gehackt" wurde in Datex.

wau