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Re: IT in China



On Mon, 18 Jan 1999 ralf.stephan@fitug.de wrote:

> Jedes Land muß wohl einmal die Microsoft-Phase durchlaufen.  China könnte
> sie abkürzen, wenn es, wie Indien, die Netzbenutzung mehr pushen würde,
> aber da stehen (wie hier auch!) mehr oder weniger rationale Sicherheits-
> bedenken auf dem Spiel.

Immerhin bieten die Postaemter Chinas einen recht guten und billigen
Internetzugang fuer Jedermann an.  Ich habe das durchgemacht: Anmeldung
gebuehren- und fristenfrei, IP-Verkehr fuer 0.2 RMB (0.04 Pf) pro Minute,
Leitungen ab sofort zugaenglich, nie belegt, Verbindungen auch zum Ausland
recht schnell. 
 
>   Bis 1993-4
> > herrschte zwischen Microsoft und einigen chinesischen Softwareherstellern
> > eher so etwas wie Synergie.  Angeheizt wird die Krisenrhetorik ferner
> > durch Phrasen wie "Wissenswirtschaft ist die Wirtschaftsform des 21.
> > Jahrhunderts" und 100e von Buchtiteln zum Thema "Wissenswirtschaft",
> > wobei der Archetyp dieser Wirtschaftsform Microsoft ist.  Zwar steht in
> > diesen Buechern immer wieder etwas davon, dass im Zeitalter der
> > Wissenswirtschaft die Gefechtsrhetorik einer Synergierhethorik weichen
> > werde, aber wirklich vollzogen wird das nirgends.  Die Rhetorik dieser
> > Buecher bleibt militaerisch (ebenso wie die von Parteien und Konzernen).
> 
> Besteht die Möglichkeit, daß diese Rhetorik bzw. das angepriesene Modell
> gerade deswegen so aussehen, weil sie in Zusammenarbeit mit der chin.
> Regierung entstanden sind bzw. nur so entstehen konnten?  Du stellst
> das so hin als gäbe es keinerlei Probleme, alles Mögliche in China zu
> veröffentlichen, aber Du wirst mir natürlich sofort versichern, daß das
> auch der Fall ist ;)

China ist heute zwar nicht frei von Zensur und Unterdrueckung, aber doch
deutlich pluralistisch. Die Regierung ist nur eine (relativ starke) von
vielen Stimmen, die oft nicht einmal ihre Leitfunktion wahrnimmt.  Wie ich
bei einem Besuch der IT-Abteilung des Pekinger Bildungsministeriums
feststellen konnte, war das Denken jenes zuvor zitierten Buches
"Netzbuergerschaftskrise" dort nicht verbreitet.  Das Buch ist auch sicher
nicht in Zusammenarbeit mit Regierungsstellen entstanden.  Andererseits
hofft der Autor natuerlich u.a. auf deren Resonanz. 

Was den derzeitigen Stand der Veroeffentlichungsfreiheit betrifft, koennte
man etwa folgende Beispiele anfuehren:
* Mengen von Buechern, die sich mit heiklen Gesellschaftsproblemen
  befassen und vorsichtige Schlussfolgerungen treffen wie "wenn nicht
  auch das politische System bald derart reformiert wird, dass die
  Machtverteilung nach gesetzlichen Regeln stattfindet, werden die
  Wirtschaftsreformen in diversen `Fallen der Modernisierung'
  steckenbleiben.  Ohne eine mutigere Aktivierung des Volkes wird sich
  die Korruption nicht in den Griff kriegen lassen."
  Natuerlich ruft keines dieser Buecher explizit dazu auf, ein
  Mehrparteiensystem einzufuehren.   Genau dort liegt die Grenze.
  Aber selbst in Massenzeitschriften erscheinen Artikel, die Amerika
  wegen der Offenheit, mit der selbst der Praesident oeffentlich
  exponiert wird, loben und China im Vergleich als rueckstaendig
  bezeichnen.  
* Taegliche Berichte ueber Korruption und Missstaende in Fernsehen   
  und Zeitungen.  Diese Berichte stammen von Journalisten mit
  Sonderstatus, gesetzlich ermaechtigten Volkstribunen, die ohne
  Ruecksichten berichten duerfen und dadurch schon viele Politiker
  der mittleren Ebene (bis zum Provinzgouverneur) zu Fall gebracht haben.
* ein sehr aktiver und aufmuepfiger Volkskongress, der Gesetzesvorhaben
  kontrovers diskutiert.  Dadurch, dass ein
  schwacher Politiker wie Li Peng zu seinem Vorsitzenden gemacht wurde,
  konnte sein Aufstreben noch einmal ein wenig eingedaemmt werden.
* hochkaraetige Leute in den meisten hohen Aemtern.  Jiang Zemin,
  Li Ruihuan und Zhu Rongji sind ebenso wie die meisten
  Volkskongressabgeordneten von hoeherem Kaliber als die Politiker der  
  80er Jahre.  Li Peng wird in deren Kreisen noch mit Muehe geduldet.
  Er verdankt seine Aemter der 1989er Bewegung, die gegen ihn kaempfte.
  Man kann ihn jetzt nicht fallenlassen.  Ansonsten hat sich eine
  Fuehrungsschicht gebildet, deren Mitglieder Faehigkeiten und Leistungen
  vorweisen koennen und Demokratisierung kaum fuerchten muessen.
  Das groesste Hindernis ist dabei nach wie vor die Angst vor
  Buergerkrieg.  Wahlexperimente in einigen Landgegenden fuehren zu sehr
  unterschiedlichen Erfolgen, oft auch vom Regen in die Traufe.
* die Intellektuellen, die 1989 die Konfrontation mit der Regierung
  suchten, sind heute von der Marktwirtschaft an den Rand gedraengt und
  kaempfen um ihr Ueberleben in einem Markt, der vor allem
  Trivialliteratur foerdert.  Fuer Gegnerschaft zur Regierung bleibt
  keine Energie uebrig.

--
Hartmut Pilch
http://www.a2e.de/phm/