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Re: [FYI] UNESCO: Provider sollen zensurieren



Hartmut:
> Holger:
[...]
> > jetzt redest Du wirklich wieder Mist. Absoluter Liberalismus, wie Du ihn hier
> > darstellst, ist Anarchie. In einer solchen Welt, wo erst alles bis ins kleinste
> > nachgewiesen werden muss, ist alles moeglich - da wird sogar der in flagranti
> > erwischte Aepfelklauer (noch mit dem Boskopp in der Hand) zum Opfer der
> > Gesellschaft und ist danach fuer nichts verantwortlich zu machen.
> 
> Nun, so weit sind ja bereits manche Liberale gegangen.
> Aber Apfelklau ist wohl leichter nachzuweisen als "Schaedigung anderer
> durch Betrachten von KiPo-Bildern".

Ja, der Apfelvergleich hat ein Problem, da es sich um ein direktes Delikt
handelt. Bei KiPos wirkt ein Kausalzusammenhang. Es ist _heute_ nicht moeglich,
derartige Bilder zu produzieren, ohne dass Kinder geschaedigt werden (das mag 
sich in Zukunft durch virtual reality aendern - da waere Par184StGB zu
adaptieren). Die Argumentation des Verbots des Besitzes von und Handels 
mit solchen Bildern entspricht derjenigen bei anderen verbotenen Dingen wie
harten Drogen, Giftstoffen, bestimmten Waffen, etc.: es ist der Versuch,
die Quellen auszutrockenen, in dem man ihnen die Konsumenten entzieht. Diese
Methode laesst sich nur in ziemlich begrenzten Situationen einsetzen.

> Ein Problem ist, dass gesellschaftswissenschaftliche Positionen
> gleichzeitig auch politische Positionen sind.  Die Wissenschaft erfordert,
> dass man Positionen staendig verwerfen kann, die Politik hingegen
> erfordert feste Positionen, auf denen Karrieren und Gesetze verankert
> werden koennen.

Die Politik gehoert mit zu den Disziplinen, welche ihr Maentelchen noch am
schlimmsten nach irgendeinem Windchen haengt, welches gerade mal eben
um eine Hausecke herumstreichen koennte. Genau das macht die Geisteswissen-
schaften ja zu einem Spielball bieliebiger aeusserer Kraefte und ihre
Aussagen beliebig.

> Ein weiteres Problem ist die Nachweisbarkeit.  Wenn sich Leute
> dummstellen, findet man nur schwer Kriterien, an denen niemand
> vorbeikommt.  Es gibt kein Labor wie bei den Naturwissenschaften.

Es gibt ueberpruefbare Beobachtungen, es fehlt nur die Theorie, genauer:
jeder, der etwas auf sich haelt, hat seine eigene Theorie, und waehlt aus
der Fuelle der Beobachtungen ueber Menschen diejenigen heraus, die seine
Theorie am besten belegen, und laesst den Rest ausser Betracht. Auf diese
Weise lassen sich auch die Engelein im Himmel zweifelsfrei "beweisen".

> "Die Praxis ist das einzige Kriterium zur Erprobung
> der Wahrheit". Mit diesem urspruenglich gegen Maoismus-Dogmatiker
> gemuenzten Spruch von Deng Xiaoping lassen sich auch die Ansprueche
> mancher Gesellschaftswissenschaftler abweisen:  Wahrheit entscheidet
> sich nicht in akademischen Labors oder Diskussionen sondern in der
> historischen Erfahrung.

Wobei sich die aktuellen Machthaber, gleich welcher Couleur, sich jeweils
mitunter recht grosse Muehe geben, die Vergangenheit so zurechtzubiegen, dass
sie sich zu der beobachteten Gegenwart kongruent verhaelt. Das war schon
lange vor 1948 (=>1984) bekannt.

> > Unsere Gesellschaft geht von der Idee des Erwachsenen Menschen aus, d.h.
> > einer Person, die in der Lage ist, *eigenverantwortlich* zu handeln, und
> > ueber eigene Belange entscheiden zu koennen. Wer im Rotlichtviertel arbeitet,
> > bei dem gehe ich normalerweise davon aus, dass er/sie das mit eigenem
> > Bewusstsein tut (Kinderstrich ausgenommen), auch wenn es dort Zwaenge anderer
> > Art geben kann und gibt. Man kann wild darueber diskutieren, an welcher
> > Altersgrenze man die Eigenverantwortlichkeit festmachen kann. Konsens besteht
> > jedoch darin, dass bezogen auf die Sexualitaet, die auch bereits bei Kindern
> > vorhanden ist, volle Autonomie definitiv nicht im Kindesalter (<10Jahre)
> > vorliegt. 
> 
> Der Begriff der Eigenverantwortlichkeit hilft natuerlich, um eine Delikt
> wie "Verfuehrung Minderjaehriger" zu begruenden.  Aber sie begruendet noch
> nicht (aus radikal liberaler Sicht) die Kriminalisierung der KiPo-Bilder
> und ihrer Verbreitung.  Wer weiss, vielleicht sammelt jemand sie ja nur
> zur Dokumentation der Sittengeschichte?  Vielleicht haben sie auf eine

Kann schon sein. Dann sollte er dieses durch ein geeignetes methodisch-
wissenschaftliches Vorgehen (etwa durch Vorweisen eines Forschungsprojekts,
solides Quellenwissen, Publikationen auf dem Gebiet, uvam.) eigentlich
nachweisen koennen. Ein Schuhkarton voller Bilder waere im Vergleich nicht
so sehr ueberzeugend. Und es ist wohl eine Voraussetzung fuer den
Wissenschaftler, auch Material zu sammeln, aber die Umkehrung macht aus
einem Sammler noch lange nicht einen Wissenschaftler.

> verklemmte Seele die gleiche sagenhaft heilsame Wirkung wie sie den
> Nuttenbesuchen potentieller Vergewaltiger nachgesagt wird?

Wenn es fuer diese These Evidenz gibt und die Gesellschaft hinreichend 
an der Klaerung der Frage interessiert ist, wird sie auf dem Gebiet
forschen lassen. Wir sind damit wieder an dem Punkt angekommen, wo ich
IIRC mit Wau ueber absolute Informationsfreiheit gestritten habe, i.S.
der Pauschalisierung, dass jeder Mensch automatisch ein Forscher oder 
Kuenstler sei, und deswegen jegliche Einschraenkungen der Gesellschaft
bezueglich des Zugangs von Resourcen unzulaessig sein (Radikalliberalismus:
alle duerfen alles).

> Um auch die Verbreitung der KiPo-Bilder zu verbieten muss man von
> Begriffen ausgehen, die im liberalen Weltbild nicht vorkommen und die auch
> ein Verbot der Pornographie begruenden koennen.

Die Schnittlinie liegt da, wo unmittelbare oder mittelbare, aus der
jetzigen Erkenntnissicht mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwartende,
Schaeden bei nicht eigenverantverantortlich handelnden Personen/Objekte 
entstehen werden. Und das unterscheidet "normale" Erwachsenenpornos aus
dem Sexshop von Kinder-, Sodomie- und Gewaltpornos. Das Verbot normaler
Pornographie ist *nicht* begruendbar, ohne abstruse verklemmte Moralvorstel-
lungen herbeizuzitieren.

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         Dr.-Ing. Holger Veit             | INTERNET: Holger.Veit"at"gmd.de
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