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Re: Die Zukunft des Internet-Musikmarktes



On Wed, 17 Mar 1999, Janko Roettgers wrote:

> > Jazz hat sich zunaechst ohne Schallplatte verbreitet.  Wie weit,
> > koennen wir nicht wissen.  Louis Armstrong ist nicht ein durch die
> > Schallplatte sondern aus einem bestimmten Milieu geborenes Talent. 
> 
> Tut mir leid, aber das ist definitiv falsch. Jazz konnte erst dadurch 
> entstehen, dass einige Plattenfirmen ploetzlich Afroamerikaner als 
> Kundenkreis entdeckten. Vorher durch die Gegend tingelnde 
> Bands/Orchester haben relativ wenig mit dem zu tun, was wir heute 
> unter Jazz verstehen.

Du sprichst da sicher von spaeteren Formen des Jazz.
 
>  > Kopiertechnik sorgt dafuer, das in Milieus, wo frueher jeder ein
> > Musikinstrument lernte (z.B. laendliches Deutschland), heute nur
> > noch Berieselung aus der Konserve erfolgt.   
> 
> Dafuer wurde frueher in den laendlichen Gegenden abertausend mal mit 
> Wurstfingern "Fuer Elise" ins Klavier gehaemmert. Ob das nun wirklich 
> besser war ...

Wohl schon, aber das meine icht nicht.
Ich wurde frueher in einem 300-Seelen-Dorf immer am 1. Mai um 06:00 von
einem Musikerwagen geweckt: "Wittentaeler Musikverein".  Dort merkte ich,
dass fast jeder Bauernjunge des Dorfes ein Blasinstrument gut beherrschte.
Nur die Staedter, zu deren Fraktion ich gehoerte, waren bereits verdorben,
sofern sie nicht zum Auslaufmodell "Bildungsbuergertum" gehoerten.
 
> > Ein weiterer Grund warum klassische Musik fuer den werbegesponsorte
> > Kulturbetrieb ungeeignet ist:  ihre Grundstimmung ist erhebend,
> > quasi-religioes.  Deshalb haben viele Komponisten in Messen und
> > Requiems das beste geschrieben.
> 
> Klassische Musik fuer den webegesponsorten Kulturbetrieb ungeeignet? 
> Und was ist mit Orffs Carmina Burana, bekannt aus der Suchard-Werbung 

Das ist wirklich etwas ganz anderes.  Hier wird klassische Musik als
Vokabel eingesetzt, die eine bestimmte Assoziation (wie aristokratische
Umgebung) weckt.

In China gab es Anfang der 1990er Jahre das Phaenomen, dass auf einmal
Millionen von Kopien der Kulturrevolutionsopern verkauft wurden.  Die
Leute standen nachts Schlange, um am Morgen eine Kopie zu ergattern.
Doch bedeutet dass eine Wiedergeburt des kulturrevolutionaeren Pathos?
Ganz im Gegenteil: es ging um das rechtzeitige Ergattern eines Fetischs
mit aussagekraeftigem Symbolwert, der in der Yuppie-Kollektion noch 
fehlte.  Zudem natuerlich auch um den Nostalgiewert einer exotischen
frueheren Zeit, in der es noch Pathos gab.

> (oder wars Nestle)? Und was ist mit den drei Tenoeren? Die singen ein 
> klassisches  Repertoire, was in Deinen Ohren sicherlich erhebend 

Ein wirklich sehr gut gewaehltes Beispiel, das meinem aehnelt und auch
sogleich die Grenzen der Vermarktbarkeit klassicher Musik aufzeigt.
Ein anderes ist das in Muenchen empfangbare "Radio Klassik".  Dort
werden nur Schlager mit Nostalgiewert abgespielt.
 
> klingt. Trotzdem hat die Gema glaubhaft ihren Standpunkt vertreten 
> koennen, nachdem die Massenveranstaltungen mit dem Trio Popkonzerte 
> und damit tantiemenmaessing auch als solche zu behandeln sind.

Ganz richtig!

> Merke: Nicht der Inhalt, sondern die Darbietungsform entscheidet 
> ueber das Label klassisch/populaer. The medium is the massage.

Eben.  Man kann umfunktionieren, aber die Grenzen werden gerade dann
besonders deutlich sichtbar.  Versuche mal, ganze Bruckner-Symphonien in
das Konzept von "Radio Klassik" einzubauen. 

--
Hartmut Pilch