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Re: Die Zukunft des Internet-Musikmarktes



Guten Tag,

PILCH Hartmut <phm@a2e.de> schrieb:
 
> > > Ein schoenes Beispiel. Versuch mal, musikalische Ausdrucksweisen auf 
> > > Computer-Interfaces anzuwenden. Versuch mal, mit einer Kommandozeile 
> > > frei zu improvisieren. Vergiss dafuer fuer einen Moment all Deine 
> > > bereits erworbenen Kenntnisse ueber das verwendete System/Programm. 
> > > Gib frei erfundene Zeichenketten ein und beobachte das Ergebnis. 
> > > Versuche, daraus zu lernen und Dir auf diese Weise Wissen anzueignen. 
> > > 
> > > Nicht besonders effektiv? Nun, GUIs ermoeglichen ein solches 
> > > Improvisieren. Und damit auch einen ganz anderen Begriff von 
> > > Virtuositaet. Naemlich einen, der spielerisches Ausprobieren 

> M.E. war das ein intelligenter Argumentationsversuch, der voll
> daneben traf.  Oder gibt es wirklich eine GUI, die Improvisieren
> ermoeglicht? Jede GUI, die ich bisher gesehen hab, war schlechter
> als das Schlaechtermesser des Bao Gong (siehe gestrige Mail).  

Das Problem ist, dass Dein Begriff von Virtuositaet Koennen und damit 
einen bereits abgeschlossenen Lernprozess voraussetzt. Damit 
willst Du ueber etwas bereits Bekanntes improvisieren. Mir geht es 
hingegen um Improvisation zur spielerischen Aneignung von Wissen. 
Ganz abgesehen davon, dass mir beim Vegleich von Musik mit 
Rinderhaelften immer noch ein wenig unwohl wird ...

> Ein
> Computer ist sogar zum Komponieren kaum brauchbarer, noch weniger
> als ein Klavier. Komponieren ist Ausdenken, jegliches Medium setzt
> der Fantasie nur unnuetzen Widerstand entgegen.  Ein echter
> Komponist braucht keine Kruecken zum Komponieren. 
> Komponiervirtuositaet ist Hirnvirtuositaet. 

Nein. Du kannst Komposition nicht ohne Medium, nicht ohne Kruecken 
denken. Als Beleg dafuer moegen mir die letzten 900 Jahre 
europaeischer Musikgeschichte dienen. Die sind naemlich ganz 
elementar an das Aufkommen des richtigen Zeichensystems, also an die 
Enwicklung der richtigen Kruecke gebunden. Ohne Notenschrift gaebe es 
heute keine mehrstimmige Komposition.

Interessant ist dabei, wie weitgehend der Einfluss des Zeichensystems 
auf die Komposition ist. Die ersten Notenschriften dienten lediglich 
als Memorierungshilfe fuer Dinge, die sich weitestgehend muendlich 
ueberliefern liessen (einstimmige Choraele etc.). Erst mit dem 
Entwickeln komplexerer Zeichensysteme vollzog sich ein Wandel vom 
rein verinnerlichten Kompositionsprozess zum Komponieren auf dem 
Blatt. Und erst dem Einfuehren bestimmter Features (festes 
Taktmass, feste Notenwerte etc.) war es moeglich, Musik sozusagen 
auch vertikal, also mehrstimmig zu denken. 

Aehnlich verhaelt es sich mit der Bedeutung des Interfaces Klavier 
(bzw. Clavichord, Orgel). Auch das hat die europaeische 
Musikgeschichte einscheidend beeinflusst. Denke allein einmal an die 
temperierte Stimmung - die ja auch ein technischer Kompromiss ist: 
Nach der reinen, pythagoreischen Stimmung ist Cis nicht das gleiche 
wie Des. Das hiesse aber, dass ein Klavier fuer jeden Halbtonschritt 
zwei Tasten besitzen muesste - schon rein technisch unmoeglich ...

> Fuer die Notation des Komponierergebnisses ist wiederum ein
> hierarchisches System wie die 5-Linien-Notation oder eine lineare
> Sprachsyntax bestens geeignet.  

Wie gesagt: Das ist nicht naturgegeben, und damit wird nicht allein 
ein Ergebnis festgehalten. Sondern das Ergebnis wird durch diese 
entscheidend beeinflusst. 

Tschoe
       Janko

--
Janko Roettgers - roettgers@devcon.net - http://www.devcon.net/~roettgers/