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Debatte - Gegenentwurf



Hier ist der Aenderungsvorschlag mit ein paar Argumenten dazu:

Formulierungsvorschlag im Anschluss an Art.14-16:

"Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den gewerblichen und privaten 
Anbietern von Inhalten ein angemessener Rechtsschutz gegen staatliche und 
nichtstaatliche Massnahmen zur Unterdrueckung rechtswidriger Inhalte zur 
Verfuegung steht. Die Mitgliedstaaten wachen darueber, dass 
Selbstkontrollmassnahmen den demokratischen Willensbildungsprozess der 
Gemeinschaftsbuerger nicht ueber die gesetzlichen Grenzen hinaus 
beeintraechtigen."

Argumente:

- Bei der Frage, ob Selbstkontrolle durch Private schrankenlos zulaessig 
sein kann, gibt es nicht den sonst ueblichen Konflikt zwischen 
wirtschaftlichen und ideellen Interessen. Es liegt keineswegs im 
wirtschaftlichen Interesse der Provider, sich zu Richtern ueber die Inhalte 
im Internet aufzuschwingen:
Wer als Provider eine derartige Entscheidung trifft bzw. treffen muss, 
geraet frueher oder spaeter zwangslaeufig zwischen die Fronten diverser 
gesellschaftlicher Gruppen; seine an sich technische Taetigkeit wird in 
immer staerkerem Mass politisiert werden, was zwangslauefig zu einem immer 
dichteren Regulierungswirrwar fuehrt. Eine derartige Inhaltskontrolle 
kostet Zeit und Geld. Deshalb liegt es nicht im Interesse der Provider, 
unbegrenzt sperren zu duerfen. Es liegt allenfalls im Interesse ihrer 
Verbaende, die hierdurch einen enormen Machtzuwachs gegenueber den 
Providern, den Nutzern und anderen gesellschaftlichen Gruppen erfahren 
wuerden.

- Der Provider erbringt eine rein technische Leistung, die keineswegs die 
Einzige ist, die zum Vertrieb von (rechtmaessigen und rechtswidrigen) 
Inhalten ueber das Netz notwendig ist. Auch Telekommunikationsunternehmen, 
Soft- und Hardwarehersteller, Stromlieferanten u. s. w. sind zur Nutzung 
des Internets unverzichtbar. Haben auch sie das Recht zur Selbstkontrolle? 
Waere es akzeptabel, wenn die Papierverkauufer bzw. Drucker ausserhalb des 
Internets eine freiwillige Selbstkontrolle ausueben wuerden, z. B. bei 
Zeitungen oder Flugblaettern?

- Natuerlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum; es muss nach Wegen 
gesucht werden, die technischen Schwierigkeiten bei einer Unterdruckung 
rechtswidriger Inhalte auszuraeumen. Hierbei ist eine Einbeziehung der 
Provider ein erfolgversprechender Schritt. Eine derartige Einbeziehung kann 
sich aber durchaus auch in einer rein technischen Hilfestellung 
erschoepfen, ohne dass die Provider deswegen die inhaltliche Entscheidung, 
ob gesperrt werden soll, oder nicht, treffen muessen. Tatsaechlich ist kein 
Grund ersichtlich, weshalb gerade sie diese Entscheidung treffen sollten. 
Sie sind hierzu demokratisch nicht legitimiert und auch nicht neutral, da 
sie den Marktkraeften unterliegen und teilweise mit den Inhalteanbietern 
wirtschaftlich verflochten sind.

- Das Schlagwort "Selbstkontrolle" legt nahe, dass die Provider mit 
Zeitungs- oder Rundfunkredakteuren vegleichbar sind, die den Journalisten 
anerkanntermassen inhaltliche Vorgaben machen duerfen. Tatsaechlich ist die 
Rolle eines Journalisten in wirtschaftlicher Hinsicht voellig anders als 
die eines Internet-Nutzers. Dies gilt auch hinsichtlich der Mitwirkung am 
demokratischen Willensbildungsprozess: Der Journalist wird vom Eigentuemer 
einer Zeitung bzw. eines Rundfunksenders bezahlt, damit er Artikel nach 
Vorgabe des Redakteurs schreibt. Der Journalist soll nicht primaer seine 
persoenliche Meinung aeussern, sondern das besonders grosse oeffentliche 
Forum, dass der Zeitungs- oder Sendereigentuemer durch inhaltliche 
Weichenstellungen aufgebaut hat, so nutzen, wie es der inhaltlichen 
Konzeption des Eigentuermers entspricht. Wenn ein Journalist nicht mehr 
veroeffentlicht wird, verliert er nicht seine Artikulationsmoeglichkeiten 
als normaler Buerger, sondern nur das Privileg, ein aussergewoehnlich 
grosses Forum zur Artikulation seines Artikels zu haben.
Anders ist es im Internet: Dort bezahlt der Nutzer den Provider. Wenn ein 
Teil der Nutzer herausgefiltert wird, wird das gesellschaftliche 
Meinungsspektrum im Internet nur noch verzerrt wiedergegeben, da die 
uebrigen Nutzer sich weiterhin artikulieren koennen.

- Eine Selbstkontrolltaetigkeit des Providers entspricht auch nicht der 
Taetigkeit eines Anzeigenredakteurs eines Printmediums, der Anzeigen 
anerkanntermassen beim Verdacht ihrer Rechtswidrigkeit zuruckweisen darf.
Das Internet wird - anders als Printanzeigen - in hohem Mass fuer die 
politische Meinungsbildung und die Verbreitung unkommerzieller Kunst 
genutzt. Anzeigen koennen fuer diesen Zweck allein schon deshalb nicht 
genutzt werden, weil sie relativ teuer sind. Sie werden fast 
ausschliesslich fuer gewerbliche Zwecke genutzt.

- Wenn die EU dem demokratischen Meinungsbildungsprozess im Internet 
Bedeutung zumisst, und ihn schuetzt, zeigt sie gegenueber ihren Buergern 
ihr demokratisches Weltbild. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die 
nationalen Verfassungsgerichte ein derartiges Defizit beim Schutz des 
demokratischen Willensbildungsprozesses auf europaeischer Ebene nicht 
hinnehmen wuerden (eventuell Grenzen der Solange-2-Rechtsprechung des 
deutschen Bundesverfassungsgerichts?)