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Debatte - Gegenentwurf
- To: "'debate@fitug.de'" <debate@fitug.de>
- Subject: Debatte - Gegenentwurf
- From: Johannes Ulbricht <Johannes_Ulbricht@csi.com>
- Date: Tue, 27 Apr 1999 11:35:49 +0200
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
Hier ist der Aenderungsvorschlag mit ein paar Argumenten dazu:
Formulierungsvorschlag im Anschluss an Art.14-16:
"Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den gewerblichen und privaten
Anbietern von Inhalten ein angemessener Rechtsschutz gegen staatliche und
nichtstaatliche Massnahmen zur Unterdrueckung rechtswidriger Inhalte zur
Verfuegung steht. Die Mitgliedstaaten wachen darueber, dass
Selbstkontrollmassnahmen den demokratischen Willensbildungsprozess der
Gemeinschaftsbuerger nicht ueber die gesetzlichen Grenzen hinaus
beeintraechtigen."
Argumente:
- Bei der Frage, ob Selbstkontrolle durch Private schrankenlos zulaessig
sein kann, gibt es nicht den sonst ueblichen Konflikt zwischen
wirtschaftlichen und ideellen Interessen. Es liegt keineswegs im
wirtschaftlichen Interesse der Provider, sich zu Richtern ueber die Inhalte
im Internet aufzuschwingen:
Wer als Provider eine derartige Entscheidung trifft bzw. treffen muss,
geraet frueher oder spaeter zwangslaeufig zwischen die Fronten diverser
gesellschaftlicher Gruppen; seine an sich technische Taetigkeit wird in
immer staerkerem Mass politisiert werden, was zwangslauefig zu einem immer
dichteren Regulierungswirrwar fuehrt. Eine derartige Inhaltskontrolle
kostet Zeit und Geld. Deshalb liegt es nicht im Interesse der Provider,
unbegrenzt sperren zu duerfen. Es liegt allenfalls im Interesse ihrer
Verbaende, die hierdurch einen enormen Machtzuwachs gegenueber den
Providern, den Nutzern und anderen gesellschaftlichen Gruppen erfahren
wuerden.
- Der Provider erbringt eine rein technische Leistung, die keineswegs die
Einzige ist, die zum Vertrieb von (rechtmaessigen und rechtswidrigen)
Inhalten ueber das Netz notwendig ist. Auch Telekommunikationsunternehmen,
Soft- und Hardwarehersteller, Stromlieferanten u. s. w. sind zur Nutzung
des Internets unverzichtbar. Haben auch sie das Recht zur Selbstkontrolle?
Waere es akzeptabel, wenn die Papierverkauufer bzw. Drucker ausserhalb des
Internets eine freiwillige Selbstkontrolle ausueben wuerden, z. B. bei
Zeitungen oder Flugblaettern?
- Natuerlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum; es muss nach Wegen
gesucht werden, die technischen Schwierigkeiten bei einer Unterdruckung
rechtswidriger Inhalte auszuraeumen. Hierbei ist eine Einbeziehung der
Provider ein erfolgversprechender Schritt. Eine derartige Einbeziehung kann
sich aber durchaus auch in einer rein technischen Hilfestellung
erschoepfen, ohne dass die Provider deswegen die inhaltliche Entscheidung,
ob gesperrt werden soll, oder nicht, treffen muessen. Tatsaechlich ist kein
Grund ersichtlich, weshalb gerade sie diese Entscheidung treffen sollten.
Sie sind hierzu demokratisch nicht legitimiert und auch nicht neutral, da
sie den Marktkraeften unterliegen und teilweise mit den Inhalteanbietern
wirtschaftlich verflochten sind.
- Das Schlagwort "Selbstkontrolle" legt nahe, dass die Provider mit
Zeitungs- oder Rundfunkredakteuren vegleichbar sind, die den Journalisten
anerkanntermassen inhaltliche Vorgaben machen duerfen. Tatsaechlich ist die
Rolle eines Journalisten in wirtschaftlicher Hinsicht voellig anders als
die eines Internet-Nutzers. Dies gilt auch hinsichtlich der Mitwirkung am
demokratischen Willensbildungsprozess: Der Journalist wird vom Eigentuemer
einer Zeitung bzw. eines Rundfunksenders bezahlt, damit er Artikel nach
Vorgabe des Redakteurs schreibt. Der Journalist soll nicht primaer seine
persoenliche Meinung aeussern, sondern das besonders grosse oeffentliche
Forum, dass der Zeitungs- oder Sendereigentuemer durch inhaltliche
Weichenstellungen aufgebaut hat, so nutzen, wie es der inhaltlichen
Konzeption des Eigentuermers entspricht. Wenn ein Journalist nicht mehr
veroeffentlicht wird, verliert er nicht seine Artikulationsmoeglichkeiten
als normaler Buerger, sondern nur das Privileg, ein aussergewoehnlich
grosses Forum zur Artikulation seines Artikels zu haben.
Anders ist es im Internet: Dort bezahlt der Nutzer den Provider. Wenn ein
Teil der Nutzer herausgefiltert wird, wird das gesellschaftliche
Meinungsspektrum im Internet nur noch verzerrt wiedergegeben, da die
uebrigen Nutzer sich weiterhin artikulieren koennen.
- Eine Selbstkontrolltaetigkeit des Providers entspricht auch nicht der
Taetigkeit eines Anzeigenredakteurs eines Printmediums, der Anzeigen
anerkanntermassen beim Verdacht ihrer Rechtswidrigkeit zuruckweisen darf.
Das Internet wird - anders als Printanzeigen - in hohem Mass fuer die
politische Meinungsbildung und die Verbreitung unkommerzieller Kunst
genutzt. Anzeigen koennen fuer diesen Zweck allein schon deshalb nicht
genutzt werden, weil sie relativ teuer sind. Sie werden fast
ausschliesslich fuer gewerbliche Zwecke genutzt.
- Wenn die EU dem demokratischen Meinungsbildungsprozess im Internet
Bedeutung zumisst, und ihn schuetzt, zeigt sie gegenueber ihren Buergern
ihr demokratisches Weltbild. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die
nationalen Verfassungsgerichte ein derartiges Defizit beim Schutz des
demokratischen Willensbildungsprozesses auf europaeischer Ebene nicht
hinnehmen wuerden (eventuell Grenzen der Solange-2-Rechtsprechung des
deutschen Bundesverfassungsgerichts?)