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Re: [FYI] FR: Gesetz zum Erhalt der französischen Sprache soll jetzt auch auf das Internet angewendet werden



On Mon, Oct 04, 1999 at 12:43:49AM +0200, Thomas Jäckel wrote:
> Kristian Koehntopp schrieb:
[...]
> > kann ich Dir sagen, dass es unglaublich wichtig ist, eine
> > Schaufel eine verdammte Schaufel zu nennen und zwar in der
> > Sprache, in der ein moeglichst grosser Teil der Welt das auch
> > tut.
> 
> Warum eine Schaufel Schaufel heißt, ist damit aber noch nicht
> hinreichend begründet!

Das muss aber auch nicht begruendet werden! Was das gegenstaendliche Objekt
ist, *versteht* jeder, der es einmal in Aktion gesehen hat. Irgendwann, irgendwo
hat irgendjemand diesem Ding einen Namen gegeben - er/sie haette auch
Krutzelwix dazu sagen koennen ("gib' mal das Krutzelwix her!"). Das war ein
Schoepfungsprozess - eine Assoziationsbildung zwischen einem Objekt und
einer Laut/Zeichenfolge. Von da ab ist es im Sinne der Kommunikation
uninteressant, warum dieser Name so gewaehlt wurde; interessant ist der Ursprung
lediglich fuer die Sprachhistoriker - ein Versuch, die Gedankenwindungen des
Namensgebers nachzuvollziehen. Die Begruendung fuer den Namen Schaufel
steckt in sich selbst: in der Notwendigkeit, eine Assoziation zu bilden,
die jedem bekannt ist, der die deutsche Sprache beherrscht. Wer jetzt hingeht
und versucht, eine einmal gebildete Assoziation zu verbiegen, etwa aus
einem "Browser" ein vermeintlich verstaendlicheres "Navigationsprogramm"
zu machen, handelt egoistisch, indem er versucht, sein eigenes Gedankenmodell
der Welt allen anderen aufzuzwingen. Die Argumentation, dass Browser undeutsch
sei, ist nur Spiegelfechterei und irrelevant, da niemand begruenden kann,
was an "Schaufel" eigentlich "deutsch" ist (ungeachtet irgendwelcher von
Historikern ausgegrabenen Aehnlichkeiten und Verwandtschaften zu anderen
Worten. Als Kinder haben wir die Assoziation Schaufel = Ding mit Holzstiel
und Metallkelle am Ende (bemerkenswert schwierig, einen solchen Gegenstand 
verstaendlich zu beschreiben, wenn es ein bekanntes Wort dafuer gibt!)
gelernt und finden es daher "normal". Dagegen sind neue Worte fuer uns immer
erst mal "neu" und "unbekannt" und "unnormal", weil sie zunaechst einmal
in das eigene Wortgewebe nicht unmittelbar hineinpassen. Wenn es sich um
Worte handelt, die vermeintlich aehnlich sind, sind wir um so bereitwilliger,
sie zu uebernehmen - als (schlechte) Alternative zum Browser koennte man
durchaus "Informationsschaufler" sagen und hat dadurch eine vorlaeufige
Definition dessen, was dieses Programm genaugenommen tut. Nur: ein
Sprachwahrer, der einen solchen Begriff waehlt, folgt damit der irrigen
Vorstellung, dass durch die Wahl eines aehnlichen (sprich: bereits deutschen)
Begriffs das Verstaendnis vereinfacht wird, indem ein solches Wort sich
nahtlos in bereits etablierte Wortfelder integriert. Diese Ansicht ist nur
leider falsch, weil das bewusste Objekt neu ist und in der Geschichte der
Menschheit vorher nie einen Platz hat. Ein Browser als Informationschaufler 
ist eben keine Schaufel, auch nicht im Analogiesinne - die Analogie ist
ebenso unvollstaendig wie die Metapher von der Navigation (in einem Datennetz).
Der Datenschaufler gehoert damit auch nicht in das Wortfeld "Werkzeuge zum
Bewegen von sandartigen Objekten", sondern gehoert in ein historisch ebenso
neuartiges Wortfeld "Hilfmittel zum automatischen Verarbeiten von
Informationen". Dort haben sich bereits diverse Begriffe wie Computer,
Daten, Bit, Textverarbeitung, Datenbank ("kann man auf einer Datenbank
sitzen?" - da faengt die Mehrdeutigkeit schon an) u.v.a.m. angesammelt, und
ein Browser ist dort als Neuwort perfekt angesiedelt. Eingedeutscht oder
umschrieben mit "Navigator" wuerde er sogar zum Anachronismus wie die
"Datenbank" (Parkbank oder Geldinstitut - weder noch!) werden und so das
Wortfeld verwaessern und Beliebigkeit und Mehrdeutigkeit einbringen und
so genau die Struktur der Sprache zerfleddern, die die Sprachwahrer in
ihrem Reinheitsfanatismus so gerne jedem aufzudraengen wuenschten.

> Es ist IMO überhaupt kein Problem zur Schaufel auch Schippe zu sagen.
> Eine Sprache wird reicher, wenn sie viele verschiedene Begriffe hat, da
> jeder Begriff eine neue Bedeutung hat.

Wenn da tatsaechlich ein relevanter neuer Aspekt ausgedrueckt wuerde, dann
waere das tatsaechlich okay. Das trifft jedoch schon fuer Schaufel vs.
Schippe (oder aus meiner Kindheitsumgebung: die Schueppe") nicht zu, da es
sich um geographische Dialektabwandlungen desselben Objektes handelt.
Der Begriff Browser besitzt durch seinen Neuheitscharakter bereits eine
riesige Menge an Vorstellungen, was er macht, wie er funktioniert, was er
bewirkt, dass jegliche Umschreibung davon lediglich einen Teilaspekt
(Navigation, Datenrepraesentation, Datenaquisition, etc.) erfassen kann. 
Mit dem Teilaspekt will ich mich nicht abgeben, daher sind solche 
Umschreibungen (wie etwa mein obiger Versuch, eine Schaufel zu umschreiben
ohne jede Menge neue erklaerungsbeduerftige Worte zu benutzen) unbrauchbar.
Genau wie eine Schaufel eine Schaufel ist, ist ein Browser ein Browser -
und eben weder Informationsschaufler noch Navigationshilfsmittel.

Holger

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