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Re: Totgesagte leben länger: Perkeo.



On Mon, Oct 04, 1999 at 02:17:22PM +0200, Thomas Roessler wrote:
...
> [Behördliche Zeitungslektüre.]
> 
> > Nein, da es hierfür einer gesetzlichen Ermächtigung
> > ("Gesetzesvorbehalt") bedarf. Eine systematische Auswertung von
> > redaktionellen oder anderen inhalten ist ein Eingriff in Artikel 5
> > GG.
> 
> Ich verstehe Sie, lieber Herr Hamann, also recht, daß Ihrer Ansicht
> nach die tägliche Zeitungslektüre eines diensttuenden Beamten, der

waehrend der Dienstzeit als dienstliche Taetigkeit (!)

> problematische Veröffentlichungen einer geeigneten Strafverfolgung
> zuführt, einen Grundrechtseingriff darstellt, der nicht erfolgt
> durch die nicht minder systematische Lektüre eines eifrigen
> Rentners, der problematische Veröffentlichungen ebenfalls zur
> Anzeige bringt?  

Exakt.
Wenn der Beamte dies waehrend der Fruehstueckspause tut oder
in der Abteilung "Auswertung von Printmedien", haette er das
gleiche Recht wie der Rentner, der zur StA rennt (und eben
*nicht* zum BKA; auch Rigo erwaehnte ja "StA" und *nicht* BKA).
Dabei tritt auch die Frage auf, wer die Zeitung bezahlt hat.

> Wie selbst Ihnen bekannt sein dürfte, unterhält jedes größere
> Unternehmen, von Parteien, dem Bundespresse- und Informationsamt und
> dergleichen Instituten einmal ganz zu schweigen, eine Abteilung, die
> sich mit der systematischen Zeitungslektüre befaßt.  Derartige
> Abteilungen produzieren üblicherweise Pressespiegel. Gehen Sie

Die Lufthansa macht das auch, einen Pressespiegel in kleiner
Auflage fuer den Vorstand. Der Bundesverband der Zeitungsverleger
fuehrte via dpa einen Musterprozess gegen die LH auf Zahlung
einer (c)-Gebuehr fuer diese Vervielfaeltigung. Die LH verlor.
Das BKA hat IMO da keine Sonderrechte, sondern hat fuer so eine
Taetigkeit samt Pressesspiegel eine aehnliche Zahlungspflicht.
Auch hier kann bemerkt werden, dass die mit der Lektuere als
dienstliche Aufgabe verbundenen Folge- und Nebenwirkungen nicht
ohne "Auftrag" entstehen koennen.

...
> Tatsache: Wer etwas in einer Zeitung oder offen im Web (oder,
> ähnlich, in Newsgruppen und in vielen Mailinglisten) publiziert, tut
> dies, um eine möglichst große, unbestimmte Öffentlichkeit
> anzusprechen.  Er tut dies regelmäßig _nicht_, um nur einen
> wohlbestimmten kleinen Kreis zu erreichen.
> 
> Tatsache: Man kann davon ausgehen, daß jedem, der im Web oder in
> Newsgroups publiziert, bekannt ist, daß es Dienste wie DejaNews
> (höchst nützlich) und Altavista gibt, die diese Inhalte archivieren
> und/oder leicht für jedermann durchsuchbar machen.
> 
> Folgt: Das Maß der Selbstängstigung ist in diesem Falle unabhängig
> von den "Streifen" der deutschen Polizeibehörden.  Es ist
> insbesondere unabhängig von der Frage, ob diese Streifen vom BKA
> oder dem bayrischen LKA durchgeführt werden.

...oder von der Regenbogenpresse.
Ein Schmutzartikel durch Aneinanderreihen von Zitaten aus Newsgroups
ohne Angabe von Quelle und Datum ist ein "Gesellenstueck" fuer die
"Regenbogenpresse"; das wichtigste dabei ist das Fehlen des Threads.

Ich kenne aus Ermittlungsakten zur Vorlage bei der StA aehnliche
Methoden der unsauberen Zitierweise; etwa bei abgehoerten
Telefonaten.

> > * Zitat Bundesverfassungsgericht:
> > 
> > "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine
> > Gesellschafts- ordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung
> > nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer
> > was wann bei welcher Gelegenheit über sie weiß. 
> 
> Im Kontext von Usenet, Web und dergleichen _weiß_ ich als Autor, daß
> _potentiell_ _jeder_ erfährt, was ich da wann und wo publiziert
> habe.  Ich will das sogar.  Die vom BVG dargestellte Unsicherheit
> ist also keine.  Und ja, die vermeintlich grundrechtsgefährdende
> Konsequenz ist, daß wer nicht bereit ist, diese Konsequenzen zu
> tragen, bitte von Veröffentlichungen absehen möge.  Allerdings ist
> das, bezieht man es auf Zeitungen oder Bücher, sicherlich keine
> Neuigkeit.

Nochmal nachdenken bitte ueber das Trueben von Quellen durch
Weglassen des Kontextbezugs sowie das Verwelken von Blaettern
im Unterschied zum Loeschen von Daten vielleicht zehn (?) Jahre
nach dem Tode beim BKA.

"Hilfreich" ist auch der Beitrag von Kay Nehm ueber die
Verwertung rechtswidrig erlangter Erkenntnisse im Rechtsstaat
in dem Luchterhand-Band ueber die Sommerakademie DS Kiel 1999.

...
> > und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet oder
> > weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche
> > Verhaltensweisen aufzufallen ...
> 
> etc. pp.
> 
> Wollte ich das auf _Veröffentlichungen_ beziehen, dann wären nicht
> nur die Mathematical Reviews eine Grundrechtseinschränkung.  

Huebsch.
Wer Kryptokram publiziert, hat sich gerade als Mathematiker vorher
warm anzuziehen, wenn er *nicht* fuer den Staat arbeiten will und als
Staatsdiener auf Publikationen im hoeheren Interesse zu verzichten hat.

> NB: Eher private Konversationen wie die in IRC-Kanälen sind auch
> meiner Meinung nach ein anderes Thema.

Das "eher" ist huebsch, weil es die Problematik andeutet.

Gegenbeispiel:
Die Presseerklaerung http://www.ccc.de/CRD/CRD19990107.html fuer
"Infopeace" kam im wesentlichen durch Chats zustande.
Die internationale Einigung auf eine gemeinsame Erklaerung ueber
Grenzen des "hacktivism" ist fuer die Einschaetzung der beteiligten
"moeglicherweise terroristischen" Gruppen und Personen sehr
interessant - insofern gehe ich von einer behoerdlichen Auswertung
derartiger Kommunikation einfach aus - unabhaengig von der Frage,
ob sie rechtlich korrekt ist.
wau