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Re: Totgesagte leben länger: Perkeo.



Hr. Hamann schrieb:

>> Für welche Definition von "einig"?  Hältst Du es nicht für möglich,
>> daß einige der dort Anwesenden schlicht keine Lust mehr hatten, mit
>> dem nahezu ununterbrochenen Redeschwall eines der dort anwesenden
>> Juristen zu konkurrieren?

> Ja, so wünscht man sich einen guten und mündigen Bürger...

Es steht Ihnen mit Sicherheit _nicht_ zu, hier Noten für Mündigkeit
und Bürgertugend zu vergeben.  

Im übrigen kann man die Fortsetzung einer Diskusison nachmittags um
drei, wenn die meisten im Raum Anwesenden müde und erschöpft sind
und einfach nur nach Hause wollen, schlicht als Rücksichtslosigkeit
betrachten.  Aber wer wird von _Ihnen_ schon Höflichkeit erwarten.

> Tut mir leid Hr. Roessler - Sie begreifen es einfach nicht oder
> wollen es einfach nicht begreifen. 

Versuchen Sie es, lieber Herr Hamann, lieber mit Argumenten zur
Sache.

[Behördliche Zeitungslektüre.]

> Nein, da es hierfür einer gesetzlichen Ermächtigung
> ("Gesetzesvorbehalt") bedarf. Eine systematische Auswertung von
> redaktionellen oder anderen inhalten ist ein Eingriff in Artikel 5
> GG.

Ich verstehe Sie, lieber Herr Hamann, also recht, daß Ihrer Ansicht
nach die tägliche Zeitungslektüre eines diensttuenden Beamten, der
problematische Veröffentlichungen einer geeigneten Strafverfolgung
zuführt, einen Grundrechtseingriff darstellt, der nicht erfolgt
durch die nicht minder systematische Lektüre eines eifrigen
Rentners, der problematische Veröffentlichungen ebenfalls zur
Anzeige bringt?  

Wie selbst Ihnen bekannt sein dürfte, unterhält jedes größere
Unternehmen, von Parteien, dem Bundespresse- und Informationsamt und
dergleichen Instituten einmal ganz zu schweigen, eine Abteilung, die
sich mit der systematischen Zeitungslektüre befaßt.  Derartige
Abteilungen produzieren üblicherweise Pressespiegel. Gehen Sie
einfach mal davon aus, daß ein Unternehmen, das Sie öffentlich
verleumden (z.B.), diese Verleumdung auch in seinem Pressespiegel
wiederfindet und geeignete Schritte einleitet.

Insofern vermag ich einen Grundrechtseingriff in der Durchsicht
veröffentlichten Materials auf Äußerungsdelikte nicht zu erkennen.
(Natürlich _gibt_ es einen Eingriff allein schon dadurch, daß
Äußerungsdelikte als solche existieren.  Das ist allerdings ein
anderes Thema.)

> Von dem Datenschutzproblem ("Was machen wir mit den tollen Daten")
> ganz zu schweigen.

Weder der eifrige Rentner, noch die Behörde wird gezwungen, die
ausgewerteten und für harmlos befundenen Daten aufzubewahren.
Datenschutzprobleme lassen sich in diesem Kontext also durch das
einfache Instrument der Datenvermeidung erledigen.

> Wobei die Frage der "Eingriffsqualität" _tatsächlich_ akademisch
> diskutiert werden könnte... Ich will aber Bürger Roessler nicht
> langweilen.

Geht's noch dummdreister?  Vielleicht versuchen Sie es in Ihrem
nächsten Beitrag zur Abwechslung mal mit Argumenten.

>> Und schließlich: Welcher Bürger wird in seinen Rechten
>> beeinträchtigt, wenn das BKA Zeitung liest?

> Darüber können wir streiten.

Nur zu.

> Allerdings muß man da etwas ausholen. 

Tun Sie's doch.

> Ändert aber nichts am Ergebnis. Stichwort: "Prinzip der
> Selbstängstigung" und "faktische Grundrechtsbeeinträchtigung" 
> und "informationelle Selbstbestimmung".

Immer der Reihe nach.  Wir haben einerseits den 5 GG und
andererseits die informationelle Selbstbestimmung.  Und das wenden
wir jetzt alles zusammen auf Zeitungen und Webseiten an.

Tatsache: Wer etwas in einer Zeitung oder offen im Web (oder,
ähnlich, in Newsgruppen und in vielen Mailinglisten) publiziert, tut
dies, um eine möglichst große, unbestimmte Öffentlichkeit
anzusprechen.  Er tut dies regelmäßig _nicht_, um nur einen
wohlbestimmten kleinen Kreis zu erreichen.

Tatsache: Man kann davon ausgehen, daß jedem, der im Web oder in
Newsgroups publiziert, bekannt ist, daß es Dienste wie DejaNews
(höchst nützlich) und Altavista gibt, die diese Inhalte archivieren
und/oder leicht für jedermann durchsuchbar machen.

Folgt: Das Maß der Selbstängstigung ist in diesem Falle unabhängig
von den "Streifen" der deutschen Polizeibehörden.  Es ist
insbesondere unabhängig von der Frage, ob diese Streifen vom BKA
oder dem bayrischen LKA durchgeführt werden.

> * Zitat Bundesverfassungsgericht:
> 
> "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine
> Gesellschafts- ordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung
> nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer
> was wann bei welcher Gelegenheit über sie weiß. 

Im Kontext von Usenet, Web und dergleichen _weiß_ ich als Autor, daß
_potentiell_ _jeder_ erfährt, was ich da wann und wo publiziert
habe.  Ich will das sogar.  Die vom BVG dargestellte Unsicherheit
ist also keine.  Und ja, die vermeintlich grundrechtsgefährdende
Konsequenz ist, daß wer nicht bereit ist, diese Konsequenzen zu
tragen, bitte von Veröffentlichungen absehen möge.  Allerdings ist
das, bezieht man es auf Zeitungen oder Bücher, sicherlich keine
Neuigkeit.

(Alternativ könnte man noch anonym veröffentlichen.  Siehe auch DuD
irgendwann letztes Jahr, Schwerpunktheft Anonymität.)

> Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert
> und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet oder
> weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche
> Verhaltensweisen aufzufallen ...

etc. pp.

Wollte ich das auf _Veröffentlichungen_ beziehen, dann wären nicht
nur die Mathematical Reviews eine Grundrechtseinschränkung.  

NB: Eher private Konversationen wie die in IRC-Kanälen sind auch
meiner Meinung nach ein anderes Thema.

> * Zitat Bundesbeauftragter für den Datenschutz (aktueller
> Tätigkeitsbericht):

> In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche gesetzlichen
> Ermächtigungsgrundlagen für die Gewinnung von Erkenntnissen zu
> präventiven, aber auch zu Zwecken der Strafverfolgung erforderlich
> und angemessen sind. Während die Kenntnisnahme von offen und
> unbeschränkt für jedermann im Internet angebotenen Informationen
> durch die Polizei bereits durch die gesetzlichen
> Aufgabenzuweisungen *Anm: Sehr streitig* des Polizeirechts bzw. der
> Strafprozeßordnung gedeckt wird, bedürfen Ermittlungseingriffe, wie
> z. B. eine getarnte Beteiligung an verdächtigen einschlägigen
> Chat-Foren durch verdeckte Ermittler, einer ausdrücklichen
> gesetzlichen Ermächtigung, da hier der staatliche Ermittler dem
> Verdächtigen bzw. dem polizeirechtlich relevanten Störer nicht
> offen erkennbar gegenübertritt.

Ach, da schau mal einer.  Wenn der BfD die Kenntnisnahme von offen
und unbeschränkt für jedermann im Internet angebotenen Informationen
durch die Polizei gesetzlich gedeckt sieht, dann ist das "sehr
streitig", wenn ich letztlich das gleiche sage, dann "kann oder will
ich nicht begreifen"?

> Dabei stellt sich die Frage, ob derartige Eingriffe anlaßunabhängig
> oder verdachtsunabhängig zugelassen werden dürfen, oder ob sie nur
> aufgrund eines hinreichend konkreten Verdachts oder einer
> hinreichend substantiierten Gefahr zugelassen werden sollten. Ein
> wahlloses Beobachten durch die Polizei von nicht allgemein
> zugänglicher und für Dritte unschädlicher privater Kommunikation
> würde letztlich zu einem Einschüchterungseffekt führen, der
> Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und damit auch die Demokratie
> gefährden könnte.

Irrelevant.  Wir sprechen nicht von privater Kommunikation, sondern
von Webseiten.

Ich darf Sie, lieber Hr. Hamann, im übrigen bitten, sich in Zukunft
etwas am Riemen zu reißen und nicht die Höflichkeitsform des "Sie"
als Deckmäntelchen für derart billige und sachfremde Polemik zu
nehmen.