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Re: Gegen Ochlokratie und Timokratie, für Logokratie!



On Wed, Oct 13, 1999 at 02:44:13AM +0200, Heiko Recktenwald wrote:
> Man mag das alles beklagen, aber so gehts einfach besser.
> 
> > Und der arrogante Soziolekt mit seinen Anglizismen ist das allerschlimmste!
> 
> Soziolekt ? 
> 
> Ausserdem muss man nicht immer alles verstehen
> 
> Es ist eben ein Irrglaube, Computer waeren einfach, und die Beduerfnisse

Was ist der Irrglaube? Der Glaube, Computer seien einfach (oder muessten es
sein), oder der, sie seien es nicht (oder muessten es nicht)?

Ich denke eher, es ist ein Irrglaube, dass *jeder* in der Lage sein muesse,
bis ins Detail mit allen Moeglichkeiten des Computers umgehen zu muessen.
Das heisst aber konkret, dass man die Universalitaet des Computers bis hin
zum Turnkeysystem mit einer einzigen, unveraenderlichen Funktion an das
Niwo des Nutzers anpassen muss. Das waere dann allerdings kein Geraet, 
welches ich benutzen wollte, da meine Anforderungen hoeher sind als etwa
die eines RTL-Guckers, der nur einen Fernseher mit einem einzigen Knopf
(zum Einschalten) und einem festeingestellten Sender brauchen wuerde.

Die Crux bei einem solchen Szenario ist allerdings, dass jeder sich gegen
ein solches festeingestelltes Geraet (etwa eine PayTV+WWW+Telefon+E-Mail-
Settopbox - ohne besondere Spielmoeglichkeiten) wenden wuerde, und der Grund
liegt darin, dass wir uns im wesentlichen durch die Komplexitaet der Systeme
definieren, die wir beherrschen (ich war versucht, das zunaechst als
inherent maennliche Eigenschaft anzusehen - den "Spieltrieb", aber
tatsaechlich steckt da wohl nur ein Sozialisierungsunterschied dahinter - 
Maedchen wird immer noch traditionelles Rollenverhalten anerzogen bzw.
gesellschaftlich aufgedrueckt - wenn sie einmal losgelassen werden,
schrauben sie ebenso gerne an technischen Geraeten wie Jungens). 

Ein *einfaches* oder *bedienbares* System wird schnell _reizlos_ - ein 
Mac etwa ist einfach, aber reduziert den Umgang mit ihm zur _erkennbaren_
und langweiligen _Arbeit_. Wenn man nur ein paar simple Handgriffe braucht,
um etwa einen Text ansprechend zu gestalten, dann wird man selbst zum
mechanischen Textverarbeitungsroboter - die wenigsten Anwender gehen einer
Taetigkeit nach, wo der Textinhalt der Kernpunkt der eigenen Kreativitaet
darstellt (Schriftsteller etwa - Journalisten sind dagegen wiederum Bericht-
erstatter von Secondhand-Kreativitaet). 

Was den Reiz des Computers als Werkzeug ausmacht, ist gerade die 
Abwechslung und Ablenkung von einer mechanischen Bedienung. Fuer mich 
als Unixler ist dieses OS besonders attraktiv dadurch, dass man auch
nach 20 Jahren immer noch Dinge entdecken kann, die einem neu sind
und mit denen man gerne mal spielen will - ein Legobaukasten, in dem
man beim Wuehlen immer wieder neue Steine finden kann.

Beim Normalanwender ist eher das Beispiel des Webs als Erfahrungs-
und Lernraum adaequater, um den Effekt zu veranschaulichen: wie oft ist es
schon vorgekommen, dass jemand etwas bestimmtes gesucht hat und ist dann
ganz woanders, aber trotzdem an einer hochinteressanten Stelle, gelandet,
die ihn abgelenkt hat. Darin liegt beim Netz der Reiz - wer das Internet
reduziert auf die Stelle, wo man am schnellsten Bilder zum Runterholen
(\subset Downloaden ;-) ) findet, lebt nicht wirklich, da er sein Leben auf
eine winzige Menge an biologischen Reizen reduziert. Aber bereits bei dieser
solchen, zugegebenerweise weit verbreiteten Subspezies homo penisiensis, wird
frueher oder spaeter todsicher aufgrund der vorhandenen Reizueberflutung
Langeweile aufkommen; irgendwann hat man eine komplette Sammlung von Abbildern
von Moesen in allen Formen, Groessen und Farben auf seiner Platte, und wenn
er sich nicht dann schon laengst wieder dem Schrauben an den realen Versionen 
solcher Objekte gewidmet hat, wird auch der aengstlichste Computeruser den Mut
(der Verzweiflung) fassen, um "etwas mehr" mit dem teuren Geraet zu machen.

Das Internet bietet auch fuer solche Betaetigungen ein weit offenes Feld; man
kann problemlos Programme bekommen, welche die Bedienungsfreundlichkeit,
verbraemt als "Effizienzsteigerung", verbessern. Tatsaechlich ist effizientes
Arbeiten aber ein Mythos und dazu ein Oxymoron, denn auch wenn dahinter
der Gedanke steckt, seine ungeliebte Erwerbsarbeit so schnell wie moeglich
loszuwerden, so will man doch wirklich gerade nicht mechanisch ein Werkzeug
bedienen und sich selbst zu einem externen Subsystem einer Maschine
degradieren.

Denselben Mechanismus findet man in jedem hinreichend komplizierten Werk-
zeug: wer meint, ein Auto sei einfach nur (yet another) ein Gebrauchs-
gegenstand, ist sich ueber den Begriff "Gebrauch" nicht im Klaren. Da
steckt wesentlich mehr drin als einfach nur "von A nach B fahren", sonst
waeren wir alle wie weiland in der DDR hinreichend zufrieden mit einem
Trabant vor der Tuer (und dort war es auch nur eine Pseudozufriedenheit,
resultierend aus einem kuenstlichen Mangel: als die Grenze geoeffnet wurde,
war das erste, was passierte, die Individualisierung des fahrbaren Unter-
satzes). Es spielen, beim Auto wie auch beim Computer, soziologische,
psychologische und emotionale Aspekte grundlegende Rollen: eine Forderung
nach einer besseren Bedienbarkeit eines komplexen Geraetes traegt diesen
Aspekten absolut keine Rechnung, und zeigt, wie bei dem konfusen Geblubber
des Herrn "helborg" Poppenborg, eher therapierungswuerdige Aspekte von
postmoderner Maschinenstuermerei angesichts einer Unfaehigkeit des Unwillens,
mit der wachsenden Komplexitaet der heutigen Lebensumgebung umzugehen.
Insofern ist die Haltung nicht sonderlich unterschiedlich zu derjenigen
gegen Beginn dieses Jahrhunderts, welche mit dem Verstaendnis des Pferde-
fuhrwerksbesitzers dem Aufkommen von pferdelosen Kutschen feindlich
gegenueberstanden.

> sind sehr verschieden. Eben eine universelle Machine im Gegensatz zu einem
> elektrischen Ruehrbesen. Oder einer Schreibmachine. In den naechsten
> hundert Jahren werden sicher noch viele Sachen verbessert ;-)

Ich vermute eher, die "Bediener" (danke, Wau, fuer die Klarlegung des
Begriffs) werden sich wandeln und so "besser" werden, mit dem Werkzeug
Computer umzugehen. Ein Ruehrbesen erfordert auch eine bestimmte Handhabung
und eine bestimmtes Technikverstaendnis, sonst spritzt der Teig aus der
Schuessel. Beim Computer gibt es aufgrund seiner Universalitaet viel mehr
Moeglichkeiten, sich mit Teig vollzuspritzen.

> Schon mal im Usenet probiert ? Viele Newsgroups zu vielen Themen, auch
> Design.

Zu modern. Und ausserdem erfordert es Eigeninitiative, sich mit der
gelieferten (ggf. auch nur Drittmeinungs-) Information auseinanderzusetzen.
Wo ein von einem seltsam konfigurierten Programm geliefertes "f=XXr" nicht
in der Lage ist, eine Neugier zu wecken herauszufinden, *warum* so etwas
stattfinden koennte (notfalls auch durch Kommunikation mit Dritten - 
stattdessen zu lamentieren, *dass* das nicht so funktioniert, wie man
es sich selbst zusammenreimt), existiert auch kein Wille, etwas Neues
auszuprobieren und sich damit in die Gefahr zu begeben, weitere Teile
der komplexen (und in den unbekannten Regionen wahrscheinlich noch
viel komplexeren) Umwelt aufdecken zu muessen. Der eigene Unwille wird
verdraengt und gegen den vermeintlichen Verursacher des Problems, die
Umwelt, in Form einer von fremden Menschen geschaffenen Maschine, gerichtet.
Maschinenstuermerei par excellence. Keine Problemloesung, aber Placebo wider
eigenes Handeln. Konservativismus im Sinne von Konservendosen. Bis zum
Erreichen des Verfallsdatums, das man hoffentlich nicht mehr erleben muss.

Holger

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