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SPIEGEL ONLINE - TV-Technik: Freundliche Revolution



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kpm-ml@gmx.de
mit der persönlichen Mitteilung:

Kriegen die eigentlich noch was mit?

Free-TV wird endlich individuell überwachbar (jede Nacht wählt das Gerät einen Server an... etc..), und J. Scriba jubelt.

Liest der Spiegel hier eigentlich mit?




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TV-Technik: Freundliche Revolution 
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Ein unscheinbares Gerät krempelt das Fernsehen um: Digitale
Videorecorder machen das TV-Programm austauschbar. 

 

Eines nicht allzu fernen Tages werden Enkelkinder mit
großen Augen den Erzählungen des Opas lauschen. "Was, ihr
habt damals jeden Abend um acht vor der Glotze gesessen,
weil da die Nachrichten kamen?", werden sie ungläubig
fragen. Wenn sie größer sind, werden sie den Duden
aufschlagen und das merkwürdige Wort "Sendezeit" zwischen
den Einträgen "Semiotik" und "senil" suchen. 

Noch weiß keiner, wie man die praktischen Boxen nennen
soll, die das Fernsehen von Grund auf umkrempeln. "PVR",
für "Personal Video Recorder", sagen die Marktforscher; vom
"TV-Proxy" sprechen die Techniker; "MediaTV", "TV-Server"
und "Personal TV Receiver" haben die Firmen ihre Kreationen
getauft. 

Das Funktionsprinzip ist stets dasselbe: PVR wandeln die
Bildsignale, die über Antenne, Kabel oder Satellit ins Haus
strömen, in digitale Daten um und speichern diese auf einer
Festplatte, wie sie auch im Computer ihren Dienst tut. 

Auf den ersten Blick wirkt das wie die etwas modernere
Variante des altbekannten Videorecorders, doch der Schein
trügt: Sind die Fernsehbilder erst auf der Festplatte
gespeichert, wird das Programm zum allzeit verfügbaren
Rohstoff. Was wann läuft, bestimmen die Zuschauer, nicht
mehr die Programmchefs der Sender. 

Die amerikanische Firma TiVo gibt der Revolution ein
betont freundliches Gesicht. Auf dem Bildschirm erscheint
ein kleines Fernseherchen mit tapsigen Cartoonbeinchen und
Antennenfühlern. Aufmunternd wackelt das TiVo-Maskottchen
mit den Hüften und schlenkert sacht mit den Fühlern, als
wolle es sagen: "Na komm, drück einen Knopf, es wird schon
nicht schief gehen." 

Tatsächlich ist der Umgang mit der Box, nach all den
traumatisierenden Erfahrungen mit dem Programmieren von
Videorecordern, denkbar einfach. Denn PVR liefern ihren
eigenen komfortablen Programmführer gleich mit. 

Die TiVo-Box nimmt jede Nacht per Telefonleitung Kontakt
zu einem Zentralrechner auf und lädt binnen weniger Minuten
die aktuellen Programmdaten aller verfügbaren Fernsehsender
für die nächsten zwei Wochen in den Speicher. Der
Bildschirm zeigt ein übersichtliches Menü mit den Namen der
Sendungen, auf Knopfdruck erscheinen Zusatzinformationen,
etwa eine kurze Inhaltsangabe oder die Namen der
Schauspieler. Ein weiterer Knopfdruck merkt die Sendung zur
Speicherung vor. 

Für den Anfänger am verblüffendsten ist, wie ein PVR das
Ansehen von Live-TV verändert. Der dienstbare Geist
zeichnet nämlich auch das laufende Programm auf der
Festplatte auf. Klingelt das Telefon oder wird der Drang
nach frischem Bier oder Chips übermächtig, lässt sich das
Fernsehprogramm einfach anhalten. Auf den Sessel
zurückgekehrt, kann der Zuschauer im Schnelldurchlauf das
Verpasste nachholen oder die Sendung einfach zeitversetzt
zu Ende gucken. Knöpfe für Standbild und Zeitlupe auf der
Fernbedienung ermöglichen es zudem, Höhepunkte noch einmal
im Detail zu betrachten. 

"Seit ich TiVo zu Hause habe, sehe ich gar kein Live-TV
mehr", schwärmt Philips-Manager Daan van Schooneveld. Der
niederländische Elektronikkonzern hat sich mit der kleinen
Start-up-Firma verbündet. Seit einigen Monaten stehen
TiVo-Recorder mit dem Markennamen Philips als "Personal TV"
in amerikanischen Läden. Schooneveld ist sich sicher:
"Diese ersten Geräte sind nur die Spitze eines Eisbergs." 

Die Technik hat ein hohes Suchtpotenzial, sie bietet die
Sendungen nach Sparten sortiert an, wie "Action", "Natur"
oder "Sport", und sie überrascht mit einem persönlichen
TV-Programm: Mittels einer grünen Taste mit nach oben
weisendem und einer roten mit gesenktem Daumen kann der
Zuschauer dem Gerät mitteilen, ob ihm die gerade
konsumierte Sendung gefallen hat oder nicht. 

TiVo macht sich so mit der Zeit ein Bild von den Vorlieben
seines Besitzers und füllt die Festplatte auf Verdacht mit
Sendungen, die dazu passen könnten, etwa weitere
Fußballübertragungen mit der Lieblingsmannschaft, andere
Sendungen mit den gleichen Schauspielern oder Filme mit
ähnlichem Thema. 

"TiVo ist wie ein Kühlschrank mit Lieblingsspeisen. Wenn
mir danach ist, mache ich ihn auf und suche mir was aus",
meint Christian Lake von Philips. Rund zehn Dollar kostet
der TiVo-Service pro Monat. 

Die Vorstellung, dass sich die Zuschauer aus der Rolle des
Medienkonsumenten befreien, sorgt in den Chefetagen der
US-Fernsehsender bereits für Unbehagen: Was wird aus den
Hauptsendezeiten, der heiß umkämpften "Prime Time", wenn
jeder zu Hause sein eigenes Programm zusammenstellt? Vor
allem aber: Was wird aus den Werbemilliarden, wenn sich der
Werbeblock mit der Fast-Forward-Taste in Sekunden
überspringen lässt? 

Plötzlich haben die Anbieter der elektronischen
Programmführer die Macht über die Platzierung der
Top-Sendungen. Womöglich könnten die Boxen gar eigene
Werbespots von der Festplatte in die Programme schmuggeln.
Was wird aus den bislang minutengenau erhobenen
Einschaltquoten? Sind am Ende Fernsehsender nur noch
gesichtslose Transportkanäle, durch die Futter für die
Digitalboxen strömt? 

Dem TiVo-Konkurrenten "Replay" drohte eine
Interessengemeinschaft von Mediengiganten wie Time Warner
und Disney eine Klage an. Wenig später investierte ein
Konsortium ebendieser Firmen rund 100 Millionen Mark in
Replay. 

Zufall oder sanfter Druck? Keine der Broschüren von Replay
erwähnt mehr den 30-Sekunden-Sprung-Knopf auf der
Fernbedienung, der Werbung im TV-Programm mit einem
einzigen Tastendruck killt. "Wir haben überhaupt nichts
gegen Werbespots", beteuert Replay-Sprecher Jim Plant, "sie
sind ein wichtiger Bestandteil des Free-TV." 

Auch Sony will demnächst TiVo-Boxen bauen, Rivale
Matsushita vertreibt Replay-Geräte unter dem Markennamen
Panasonic. Die Microsoft-Tochter WebTV, bislang mit
Internetboxen für den Fernseher nur mäßig erfolgreich, hat
Recorderfunktionen für die nächste Gerätegeneration
angekündigt. 

Dank der enormen Speicherkapazität moderner Festplatten
rückt nun auf einmal das Versprechen vom Wunsch-TV auf
Knopfdruck in greifbare Nähe. Jahrelang haben Medien- und
Telekommunikationskonzerne gewaltige Summen in aufwendigen
Pilotprojekten zum "Video-on-demand" versenkt, doch die
komplexe Technik mit monströsen Zentralrechnern und teuren
Glasfasernetzen für den Datentransport erlangte nie
Praxisreife. 

Die digitalen TV-Speicher zu Preisen zwischen 500 und 1000
Dollar hingegen fassen schon jetzt bis zu 30 Stunden
Pantoffelkino. Aus einem Bouquet von 100 Kanälen findet auf
diese Weise immer irgendetwas Schmackhaftes den Weg auf die
Festplatte. Fasziniert berichtet ein TiVo-Rezensent, er
habe den kleinen grünen Daumen für die Korea-Satire "Mash"
gehoben ­ am nächsten Tag war seine Festplatte mit 10
Stunden "Mash" gefüllt. Die Speicherbox hatte die Folgen
auf diversen Kanälen zusammengeklaubt. 

Die Marktforscher sind sich einig: Persönliches Fernsehen
wird ein Milliardenmarkt. Die Kirch-Tochter Beta Research
hat ein Gemeinschaftsprojekt mit Philips und TiVo
gestartet. In die "d-box" eingebaut, könnte die Technik das
bislang dahindümpelnde Pay-TV-Angebot von Premiere World
aufmöbeln. Bisher muss der Kunde einzelne Spitzenfilme
umständlich per Telefon freischalten und dann auf deren
Sendung harren. Künftig könnte der Kanal Topware aus
Hollywood nächtens verschlüsselt auf die Festplatte
schaufeln und mit Bezahlen und Gucken auf Knopfdruck
locken. 

Zwei Firmen wollen bis Mitte nächsten Jahres eigene
PVR-Geräte auf den deutschen Markt bringen. Axcent aus
Paderborn entwickelt "MediaTV", einen Empfänger für
digitales Fernsehen mit integrierter Festplatte. "Wir bauen
sonst Videoanlagen für Hotels", erklärt Geschäftsführer
Ulrich Rozek, "MediaTV ist das gleiche in klein."
Vermutlich werden verschiedene Hersteller die Technik in
digitale Satellitenempfänger einbauen, die dann nur wenige
hundert Mark teurer als bisherige Geräte sein dürften. 

Die Münchner Firma Fast Multimedia AG, erfahren im
Geschäft mit Systemen für die digitale Videobearbeitung,
hat erst im Sommer eine eigene Tochter namens Fast TV
Server AG gegründet. "Für diese Geräte gibt es noch gar
keinen Gattungsbegriff", meint Vorstand Matthias Zahn,
"aber unsere Zielgruppe wird mit dem Wort Server etwas
anfangen können." 

Der erste TV-Server wird ein High-End-Gerät im edlen
Design für rund 5000 Mark (dafür aber frei von einer
Monatsgebühr) sein. Als besonderer technischer Leckerbissen
kann ihn sein Besitzer von jedem PC der Welt aus über das
Internet fernprogrammieren. Ende nächsten Jahres dürften
billigere Gerätevarianten folgen. "In zwei bis drei Jahren
kosten die Systeme unter 1000 Mark, in fünf Jahren ist die
Technik im Fernseher eingebaut", glaubt Zahn. 

Er hat in den letzten Monaten mit vielen
TV-Verantwortlichen gesprochen, doch die, musste er
feststellen, sehen sich das ganze erst mal an und warten
ab. "Die scheinen noch gar nicht zu wissen, was auf sie
zukommt", wundert er sich. 

 

JÜRGEN
SCRIBA

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(C) DER SPIEGEL 49/1999

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