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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



Herr Pilch hat angeregt, daß ich diese Antwort an Herrn Jäckel auch
in das fitug-Forum hineinsetze. Leider ist mein Ebriefkasten so 
zugeknallt, daß ich nicht ständig hier mitdiskutieren kann, obwohl ich
das gerne möchte!

Thomas Jäckel schrieb:
> Ist es nicht völlig egal, wie abstrakte, technische Dinge benannt
> werden. 

Nein, Herr Jäckel,
hier kann ich Ihnen ganz und gar nicht zustimmen. 
Ihr Ansatz, daß die Benennung der Dinge unwesentlich sei, 
weil man ja doch bei jedem Fachwort erst lernen muß, was es bedeutet,
ist schlichtweg falsch.

> Wörter sind nur Repräsentanten der Dinge. Solange der Kern einer Sprache 
> nicht aufgeweicht wird und stabil ist, können IMO beliebig viele Wörter 
> - aus welcher Sprache auch immer - hinzugefügt werden.
 
Sie können leicht hinzugefügt werden, aber mit welchem Effekt!

Zuviel unverständliches, das umständlich über Versuch und Irrtum
erlernt werden muß, tötet die Wissenschaft. Bitte beobachten Sie
sich doch einmal, wenn Sie sich in eine wissenschaftliche Disziplin
wirklich einarbeiten. Nur wenige Begriffe werden Sie bewußt lernen, die
übergroße Menge nehmen Sie intuitiv auf. Noch weit schlimmer
ist es, wenn Sie einen Fachvortrag hören. Hier würden Sie ohne
Kontextbindungsfähigkeit überhaupt nichts verstehen. Und die
Kontextbindungsfähigkeit ist das, was den Menschen zum Erfassen,
zum Aufbau seines Relationalen Netzes der Begriffe befähigt. Die
ist fast ausschließlich muttersprachlich organisiert. Die Mutter
hat das nun mal so angelegt.

> Ist es nicht so, dass man die Bedeutung, also das was repräsentiert
> wird,
> lernen muss. Ich denke, das die Kritiker von Anglizismen etc., den 
> Eindruck haben, dass ein neuer Begriff mit deutschen Worten ausgedrückt,
> leichter verständlich wäre. 

Sie haben nicht nur den Eindruck, sie wissen es sogar. 
Wir erfassen den Begriff am Anfang ja nur intuitiv, formal verarbeiten,
wie Sie das behaupten, können wir ihn erst, wenn wir ihn völlig
verstanden haben. Das Lernen von Begriffen kann manchmal Jahre dauern.

Wissenschaft ist ein genauso begriffliches wie kommunikatives Phänomen.
Es gibt vom sprachlichen Standpunkt keine Wissenschaft per se, 
sondern nur Spezialfächer mit Spezialsprachen.

Im allgemeinen verbringt der gute Wissenschaftler etwa 80% seines
Arbeitslebens mit Lernen, etwa 20% mit Schöpfen, wenn überhaupt. 
Um schöpfen zu können, muß man an die Grenzen des Spezialgebietes 
stoßen, d.h. all das wissen, was bisher geschöpft wurde, sonst wird
man nichts Neues bringen. Auch die Spezialgebiete sind heute so
umfangreich, daß es eine Frage der Lebens- und Denkperformanz ist,
ob man ein guter Wissenschaftler wird, d.h. jemals etwas Neues
schöpfen wird. Man wird i.a. nur wiederkäuen, was andere sowieso
schon gemacht haben. (Ein Großteil aller wissenschaftlichen Arbeiten
läuft so ab, deshalb ist auch die Behauptung vom exponentiellen 
Wissenswachstum Quatsch).

D.h. der größte Teil einer Wissenschaft ist Kommunikation auf 
einem sehr komplexen Gebiet. Das ist Wissensvermittlung über
Vorlesungen, Vorträge, Seminare, Konferenzen, Diskussionen, und über
Lehrbücher, Fachartikel, Internetzkommunikation.

Somit ist Wissenschaft ohne die assoziative muttersprachliche
Hilfe suggestiver Zeichen (ich meine Wörter) VERLOREN. 
Rein aus einer Fremdsprache  konsumiert, quält sie sich
mit vielen Irrtümern dahin, bis sie muttersprachliche
Qualität erreicht hat.

Und gerade diese versuchen die deutschen Kultusbürokraten im Moment
der deutschen Wissenschaft wegzunehmen!  Ein Vergehen an
der deutschen Wissenschaft!

> Was z.B. ein "eingebettet System" oder "embedded system" ist, bleibt dem
> Laien unabhängig von der Sprache zunächst verschlossen. 

"embedded system" ist ein schlechtes Beispiel, weil hier der
Muttersprachler sofort vom Klang her eingebettetes System versteht.
Und wenn er eingebettetes System hört, dann denkt er sofort an
System und an (in etwas anderes) eingebettet. D.h. er legt dieses
neue Begriffsfragment sofort in die richtige mentale Schublade.
Bei Wörtern, die er nicht kennt, oder die ihn in die Irre führen,
kann er das nicht. Seine Informationsverarbeitung wird dadurch falsch
und unperformant, und das schlägt sofort um in seine geistige
Leistungsfähigkeit. Etwa die unserer Öffentlichkeit, wenn sie 
WEBSITE hört. "Lesen Sie unsere Website". Eine Site, d.h. eine
Instanz, oder in diesem Falle, einen Internetzknoten kann
man nicht lesen, aber 80% glauben das und sind damit schlicht
auf dem Holzwege.

Ich behaupte, daß unsere Wissenschaftsbürokraten, die glauben, uns
Englisch aufzwingen zu müssen, weil das die "Sprache der Ei Tiee und
der Globalen Wissenschaft" sei, schlicht dumm sind. Mittlerweile glaube
ich sogar, daß "Politiker" in der Mediengesellschaft ein Negativ-
Auswahlkriterium ist.

> Erst
> weiterführende
> Erklärungen machen den Begriff verständlich, da es sich um eine neue
> Vokabel handelt.
> Eine mögliche Sicht wäre auch folgende:
> Liest man eine neue Bezeichnung bestehend aus wohl bekannten Worten,
(meinten Sie aus wohlbekannten Worten, oder aus möglicherweise bekannten?)
> ist
> es eher so, dass man sofort eine Bedeutung assoziert, die evtl. falsch
> ist. Der Begriff wird nicht hinterfragt, die intendierte Bedeutung
> bleibt
> verschlossen.

Das ist ja lächerlich. 
Erstens sind z.B. deutsche Informatikbegriffe
i.A. sehr viel präziser als anglo-amerikanische. 
Zweitens würde Ihre Behauptung ja bedeuten, daß man am besten 
für alles unbekannte Wörter wählt und die dann umständlich erklärt :
- Wrldbrmpf mkslatistmu klapotzigk schweck mors mumi -.
(Das war der zweite Hauptsatz der Elektrodynamik, damit Sie
unter Feldstärke oder Flußdichte ja nichts falsches assoziieren!!)

> Weiterer Vorteil: Wird der Begriff international benutzt, hat man ihn 
> direkt für viele Sprache gelernt. Das ist effzient ... ;-)

Das ist effizient, um dummes Zeug zu schwatzen, aber nicht, um mit
diesen Begriffen etwas anfangen zu können. Wieviel werden Sie wohl
mit aller Welt über etwas reden, und wieviel mit Ihren Kollegen auf
der Arbeit und im Institut? Ich verstehe nicht, wie sich die
Leute heute wissenschaftliche Arbeit vorstellen.

> Die Sprache nicht mit Fremdwörtern zu bereichern, halte ich eher für
> einen Nachteil.

Ja, einige wenige Fremdwörter kann sie schon vertragen.
K. Däßler