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Re: spiegel.de goes rotten.com
Peter Ross wrote:
On Tue, 5 Aug 2003, Dietz Proepper wrote:
Inwiefern wer wie zu Widerstand moralisch verpflichtet oder
in der Lage gewesen wäre ist natürlich nochmal eine ganz
andere Fragestellung. Nur, das "wir haben alle nix gewußt
und sind aus allen Wolken gefallen" ist nach meiner Quelle
nicht glaubwürdig.
Ich habe gestern geschrieben, dass ich Verwandte hatte, die
einen Wehrmachtsdeserteur versteckt haben.
Hier war von Goldhagen die Rede. Ich muss gestehen, dass Buch
nicht gelesen zu haben, sondern lediglich Rezensionen und
Bezuege darauf.
Dabei ist (auch bei der Bemerkung hier auf der Liste) der
Eindruck entstanden, Goldhagen schlaegt noch einmal tief in
die Kerbe der Kollektivschuld "der Deutschen".
Goldhagen hat gezeigt, daß es Leute gab, die sich selbst in den
deutschen Mordkommandos den Befehlen widersetzten und straffrei
ausgingen. Das spricht für die Schuld der anderen, die sich bis
heute auf Befehlsnotstand herausreden.
Dabei wird u.a. unterschlagen, dass Widerstand nicht gerade
ungefaehrlich war.
Er war für das Regime gefährlich. Bei der sogenannten
"Fabrikaktion" (1943?) wurden in Berlin und bei 2 oder 3 anderen
Gelegenheiten in Hamburg und Würzburg die bis dato verschonten
jüdischen Ehemänner von deutschen Frauen von ihren Arbeitsplätzen
weg verhaftet, um sie der Vernichtung zuzuführen. Bei
Bekanntwerden der Verhaftungen haben sich die betroffenen etwa
300 Frauen vor einem mit der Abwicklung befaßten Büro versammelt,
und darauf bestanden, daß ihre Ehemänner wieder freigelassen
werden. Damit kein Aufsehen entstand, haben die Behörden sang-
und klanglos nachgegeben. Wenn in Deutschland auch nur 10 Prozent
der Bevölkerung so gedacht und gehandelt hätten, wäre mit der
deutschen Bevölkerung und Beamtenschaft dieses Morden nicht
möglich gewesen.
Was meinst Du, wieviele Menschen von dem versteckten
Wehrmachtsdeserteur wissen? Ich glaube, weniger als ein
Dutzend.
Das Fehlen von Spuren solcher Geschehnisse duerfte auch zu
einem Zerrbild beitragen.
Parallel laeuft auf einer technischen Mailingliste gerade eine
Diskussion ueber das Verwenden von Realnames in Mails an die
Liste.
Was da an Bemerkungen kommt, dass man sich nicht traue, eine
Mail an eine technische Mailingliste oeffentlich zu schreiben,
weil man Angst hat, der Arbeitgeber koenne sie per Google
finden...
.. nun ja, laesst bei mir auch Zweifel aufkommen, dass wir es
heute mit mutigeren Menschen zu tun haben.
Der Deutsche ist inzwischen etwas bunter, aber die Courage, sich,
wenn man überzeugt ist, alleine hinzustellen und für sein Denken
einzustehen, ist vernachlässigbar gegenüber jener Zeit angewachsen.
Gruss Peter
Mit freundlichen Grüßen
R. Lemke
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