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Re: Telepolis über Lutterbeck-Gutachten und FFII



On 22 Dec 2000, at 22:41, PILCH Hartmut wrote:

> Unter
>
> http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4539/1.html
>
> findet sich eine kurze Analyse des vom BMWi in Auftrag gegebenen
> Gutachtens von Prof. Lutterbeck, PA Horns und Robert Gehring.

[...]

> Einer der Telepolis-Leser bringt es auf den Punkt:
>
> >> Privatanwender dürften ihren Vorstellungen nach die "verschonte"
> Software für nichtgewerbliche Zwecke ohne patentrechtliche
> Einschränkungen nutzen. Wer derartige Programme gewerblich anwende,
> müsse sich für den Gebrauch der Software allerdings der Zustimmung
> des Inhabers eines betroffenen Patentes versichern.
>
> steht im Widerspruch zu
>
> >> Konkret wollen sie vor allem die Potenziale von
> Open-Source-Entwicklungen [...] nicht durch einen zu engen
> Patentschutzrahmen geknebelt wissen. Besonders, weil [...] gerade
> Startups im Bereich der New Economy ihre Rechenanlagen auf
> Open-Source-Software aufbauen würden.
>
>
> Ein weiterer Leser sieht darin gar eine Falle für Freie Software:
>
> Agree: Verschiebung der Patentrecherche...
> Offtopic 22.12.2000
>
> vom Entwickler zum (gewerblichen) Anwender, heißt das im Klartext.
> Wozu soll ich als Open Source Entwickler irgendwelche Patente
> recherchieren, wenn ich diese durch die Veröffentlichung meines
> Codes sowieso nicht verletze? Vor allem, wenn ich nichts mit der
> Software verdiene, sondern sie als freie Software auf die
> Menschheit loslasse.
>
> Nur welcher Anwender wird das mit sich machen lassen, selbst wenn
> diese Recherche vom Entwickler bereits geleistet wurde? Als
> Anwender wähle ich dann lieber proprietäre Software, auch wenn sie
> teuer und unsicher ist, bei der ich mit solchen kostspieligen
> Fragen aber nicht belästigt werde, und bei der ich keine 20
> Lizenzen für die betroffenen Patente einholen muß.
>
> Eine solche Regelung würde freie Software erst recht ersticken,
> anstatt ihr zu helfen, wie sie vorgibt (oder heuchelt). Schließlich
> und endlich heißt das nämlich, das der Patentinhaber die
> gewerbliche Nutzung dieser Software willkürlich unterbinden kann,
> falls sie z.B. in Konkurrenz zu seinen eigenen Produkten steht. Ich
> sage dazu nur: Microsoft, Linux und das Halloween-Papier.
>

Das angesprochene BMWi-Gutachten sieht die Frage der Rechtewahrnehmungesgesellschaften in engem Zusammenhang mit der Quelltextprivilegierung. Es ist in der Tat so, dass das Quelltextprivileg sich nicht darauf erstrecken wuerde, wenn jemand eine Software mit dem dazugehoerigen Prozessor zusammenfuehrt und beides gewerblich nutzt. Konsequenterweise spricht das Gutachten die Tatsache an, dass auch Lizensierungskosten Transaktionskosten sind. Die darauf gegebene Antwort ist die, dass empfohlen wird, einen gesetzgeberischen Rahmen zu scheffen, in welchem eine kollektive Lizensierung ermoeglicht wird, d.h. Patentinhaber koennen auf freiwilliger Basis die Lizenzgebuehren durch eine Art von "Wahrnehmungsgesellschaften" einziehen lassen. Der gewerbliche Software-Nutzer braucht dann im Idealfall nicht mehr mit einem Dutzend lizenzwilliger Patentinhaber zu verhandeln, sondern kann Gebrauch machen von einem "one-stop shop".

Interessant wird es bei denjenigen Patentinhabern, die _nicht_ zu einer Lizenz bereit sind. Das Gutachten spricht die Frage einer Zwangslizensierung in den Faellen an, in denen durch ein Patent die Interoperabilitaet nur durch eine Lizensierzung ermoeglicht werden kann.

> Mit der Einführung von Software-Patenten gerät freie Software so
> oder so in die Mühlen der Rechtsverdreher. Über das "wie" braucht
> nicht verhandelt zu werden. Es kann nur eine Lösung geben: Keine
> Softwarepatente in Europa!

Zum Themenbereich "Rechtsverdreher" bis "Parasiten" (so in einem verwandten Zusammenhang auf einer anderen ML) waere noch gesondert etwas zu sagen. Aber nicht heute.

Der Verfasser der Schlussfolgerung "Es kann nur eine Lösung geben: Keine Softwarepatente in Europa!" hat sicher das Gutachten entweder nicht gelesen oder aber gelesen und nicht verstanden. Durch die Existenz des "Ambivalenzbereiches" ist es unmöglich, mittels geeigneter Formulierungen in den Patentierungsvoraussetzungen gezielt Patente auf computer-implementierbare Erfindungen zu verhindern. Es sei denn, man hoehlt das ganze Patentsystem so weit aus, dass alle auch nur theoretisch per Mikroprozessor ausfuehrbaren Erfindungen aus dem Patentsystem herausgenommen werden. Dazu wird es aber ganz bestimmt _nicht_ kommen, denn dazu ist die Verankerung des gewerblichen Rechtsschutzes in den uebrigen Bereichen der Wirtschaft zu stark.

Ein Patentanwaltskollege brachte in diesem Zusammenhang ein Beispiel, das ich hier modifiziert wiedergeben moechte. Nehmen wir in einer Art von Gedankenexperiment mal fiktiv an, der Gesetzgeber haette Vorbehalte gegen den Patentschutz von "Kunststoffen" gehabt und ins Patentgesetz geschrieben: "Konststoffe als solche sind nicht patentierbar". Dann waere der Chemiker aussen vor, solange er Kunststoffe nur als ungeformte Klumpen synthetisiert. Sobald aber jemand etwas herstellt, was mehr ist als "Kunststoff als solcher", beispielsweise ein aus Kunststoff gefertigtes Getriebe, muesste er sich mit allen Patenten herumschlagen, die auf "Getriebe" ohne naehere Spezifikation des Werkstoffes erteilt worden sind, denn man kann ja nie wissen, ob diese Patentgegenstaende nicht vielleicht auch aus Kunststoff herstellbar sind. Alle Beispiele hinken, und nicht alles was hinkt, ist ein Beispiel (KK), aber das Dilemma duerfte anschaulich sein:

Aus dem Gutachten:

"Durch die Arbeit des Programmierers entsteht somit nicht nur das eigentliche Datenverarbeitungsprogramm als urheberrechtlich zu betrachtendes linguistisches Konstrukt. Da das Datenverarbeitungsprogramm stets auch dazu bestimmt ist, letztlich auf einer körperlichen Computerhardware abzulaufen, formt der Programmierer implizit mit jedem von ihm geschöpften Programm auch eine patentrechtlich bedeutsame Vorrichtung, nämlich einen Computer, der durch die im Programm ausgedrückte Funktionalität gesteuert wird und nach außen ein bestimmtes Verhalten zeigt. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Verarbeitungsschritte, die der Computer unter der Kontrolle des Programmes ausführt, stellt ein Verfahren dar, das ebenfalls patentrechtlich von Bedeutung sein kann. Beide Aspekte, sowohl die Eigenschaften der aus Hardware und Software entstehenden Vorrichtung als auch die Charakteristika der in dem Gesamtsystem aus Hardware und Software ablaufenden Aufeinanderfolge von Verarbeitungsschritten, erhalten ihre Ausprägung durch das Datenverarbeitungsprogramm, ohne daß dieses isoliert und für sich genommen bei der patentrechtlichen Beurteilung eine Rolle spielt. Das vom Computer gedanklich völlig losgelöste Datenverarbeitungsprogramm ist als reines linguistische Konstrukt patentrechtlich stets bedeutungslos, denn seine Funktionalität erschließt sich erst aus der Wechselwirkung mit dem ihm zugedachten Prozessor."

D.h., bei Computersoftware waere allenfalls der vom Prozessor getrennte Code als nicht patentfaehiges "linguistisches Konstrukt" im Sinne eines "Datenverarbeitungsprogrammes als solchem" auffassbar. Allerspaetestens in dem Augenblick, in dem man einen Prozessor ins Spiel bringt, hat man sozusagen schon ein Getriebe geschaffen und ist mitten im Haifischbecken der jeweils einschlaegigen Patentanprueche.

Ausserdem uebersehen die "Weg mit den Softwarepatenten"-Leute geflissentlich den Unterschied zwischen den materiellen Patentierbarkeitsvoraussetzungen einerseits ("Recht AUF das Patent") und dem materiellen Recht der Patentverletzung ("Recht AUS dem Patent"). Eine Klausel "Kunststoffe als solche sind nicht patentfaehig" sagt naemlich nur etwas ueber das Recht AUF das Patent, nicht ueber das Recht AUS einem Getriebepatent. Diese allegemeine rechtliche Entscheidung ist fundamental und hat zunaechst nocht nichts mit der SWPAT-Debatte zu tun. Wenn dann aber ein gewisser RMS dem Vernehmen nach einen Patentmenschen vom PMI auf einer Konferenz oeffentlich anpflaumt, er solle von seiner juristischen Fachterminologie ablassen, dann kommen bei mir alleaehlich Ekelgefuehle hoch (vgl. oben "Rechtsverdreher" uswf.).

> Steht dem Verzicht auf Freiheit ein mehr an Wohlstand gegenüber?
>
> Erst wenn diese Frage von Informatikern und Ökonomen mit einem sehr
> entschiedenen JA beantwortet werden kann, fängt die juristische
> Debatte an, interessant zu werden.


> Die nächste BMWi-Studie wird von einem Institut der
> Fraunhofer-Gesellschaft geleitet. Die langjährigen Erfahrungen der
>
> Fraunhofer Patentstelle
> http://www.pst.fhg.de
>
> stehen dem interdisziplinären Team zur Verfügung.

Dieses weitere vom BMWi vergebene Gutachten wird sich sehr auf die oekonomischen Aspekte konzentrieren. Es wuerde mich schon sehr wundern, wenn die FHG zu dem Ergebnis kaeme, dass das Patentwesen als Ganzes insgesamt einen Negativsaldo produziert.

Man darf auch nicht uebersehen, dass es da unterschiedliche Gruppierungen gibt:

a) Hersteller von Software, wobei die Software als eigenstaendiges Wirtschaftsgut am Markt in Erscheinung tritt einerseits, und

b) Hersteller von Software fuer "Embedded Systems" andererseits

sowie

c) Stark gegliederte Softwareunternehmen (z.B. mit eigener Rechtsabteilung) einerseits, und

d) Softwareunternehmen mit geringer innerer Funktionsdifferenzierzung anderseits (insbesondere keine eigene Rechtsabteilung).

Unternehmen wie NOKIA oder SIEMENS gehoeren zu den Kategorien b) und c) und haben daher keine Probleme mit SWPAT. Z.B. duerften die meisten im Bereich Handy- Telefone erzielten Patente per Software implementiert werden. Die Programmierer werden dort aber hinsichtlich der von ihnen per Code verwirklichten Funktionalitaeten von der Unternehmensleitung eher an der kurzen Leine gefuehrt, d.h. sie koennen nicht nach eigenem Gutduenken in die Handys das hineinprogrammieren, was ihnen gerade einfaellt. Ob den Programmierern das im Einzelnen gefaellt oder nicht, ist gesamtwirtschaftlich auch belanglos, denn die unternehmrische Verantwortung und Entscheidung darueber, was an Funktionalitaet in die Handys hineinkommt und wie diese Handys sich dann im Markt plazieren, liegt beim Management und nirgendwo sonst. Und das Management ist sich in diesen Grossorganisationen durchaus des Patentwesens (negativ wie positiv) bewusst.

Unternehmen wie ORACLE gehoeren zu den Kategorien a) und c). Wenn sie wollen, haetten sie die Mittel, am Patentwesen teilzunehmen. Wegen a) fragen sie sich, wieviel ihnen das oekonomisch bringt.

Ob es auch die Kombination b) und c) in nennenswertem Umfang gibt, ist mir nicht klar; vermutlich sind es sowas wie Ingenieurbueros in Nischenmarkten, die darunter fallen.

Andere Unternehmen wie dasjenige, dessen Patentnoete z.B. Daniel Roedding uns in zahlreichen Postings vorgestellt hat, gehoeren in die Kategorien a) und d). Im extremer Weise gehoeren auch OSS-Programmierer in diese Kategorien.

Wenn man die ganze Schose rein oekonomisch betrachtet, duerfte es auf einen Interessenskampf zwischen der "Embedded Systems"-Industrie mit ausdifferenzierten Rechtsabteilungen auf der einen Seite und kleinen und kleinsten oekonomischen Einheiten ohne ausreichende Rechtsberatung und mit als eigenstaendiges Produkt am Markt erscheindender Software anderseits.

Die unter ac) und bc) fallenden Unternehmen haengen mittendrin und werden sich fallweise mal auf die eine Seite, mal auf die andere schlagen.

Das, was sich ueber den FFII e.V. lautstark vernehmlich macht, ist im wesentlichen Kategorie ad).

Die im Gutachten aufgestellten Empfehlungen versuchen, diesen Playern zu helfen, ohne die uebrigen Mitspieler voellig zu vergraetzen. Forderungen des FFII, die _de facto_ eine weitgehende Abschaffung
des Patentwesens durch ultraenge Umformulierung der Patentierbarkeitskriterien zur Folge haetten, sind angesichts der realen Kraefteverhaeltnisse in der globalen Wirtschaft nichts weiter als Seifenblasentraeume.

--AHH