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Re: Kontrollverlust
- To: debate@lists.fitug.de
- Subject: Re: Kontrollverlust
- From: M.DUECK@3LANDBOX.comlink.apc.org (Mario Dueck)
- Date: Sat, 17 Nov 2001 23:00:00 +0000
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Patrick meinte am 18.11.01 im Brett /ML/FITUG
zum Thema "Re: Kontrollverlust":
[öffentlich/privat]
> Nein, eben nicht. Es handelt sich bei P2P, wie bei vielen
> anderen Internet-Diensten, um eine grundlegend neue Form der
> Kommunikation, die Du mit diesem Raster nicht erfasst.
Das ist es ja gerade, was ich bestreite. Man kann die "alten" Kategorien
durchaus anwenden, man muss nur genau hinsehen.
Andererseits könnte man ja mal genauer benennen, was denn das "grundlegend
Neue" an dieser Form der Kommunikation sein soll, und weshalb die
Antinomie von öffentlich und privat nicht mehr sinnvoll sein soll. Dabei
könnte man insbesondere die sozialen Praxen, die sich in der Nutzung von
P2P-Technologie herausbilden, genauer in den Blick nehmen.
Wer kommuniziert/"tauscht" was warum mit wem?
Mal zwei Thesen dazu: Bei der getauschten Musik geht es einzig und allein
drum, die Kohle zu sparen, bei den Pornos unterschiedlicher Perversitäts-
Kategorie darum, sozial gefahrlos - und das heißt insbesondere
unbeobachtet - an diese zu gelangen. Mit Politik hat das nichts zu tun.
Mag sein, dass sich da was geändert hat, es ist schon mindestens ein Jahr
her, dass ich mal einen Gnutella-Client angeworfen hatte.
> Nur weil viele Leute einen Dienst benutzen, entsteht keine
> Öffentlichkeit.
Richtig. In der massenhaften Nutzung des Telefons stellt sich keine
Öffentlichkeit her. Auch bei einer massenhaften Nutzung des WWW durch
Abruf von einzelnen, unterschiedlichen WWW-Seiten ist dies nicht der Fall
- weshalb man auch "das WWW" nicht als Massenmedium bezeichnen kann.
Öffentlichkeit entsteht aber dort, wo massenhaft gleiche Inhalte rezipiert
(aktiv abgefragt oder passiv empfangen) werden. Das ist z.B. evident beim
Fernsehen, aber auch bei besonders gut besuchten Webseiten der Fall. Aus
meiner Sicht ist es sinnvoll, nicht die massenhafte Nutzung des Dienstes,
sondern die massenhafte Nutzung von gleichen Inhalten als notwendiges
Kriterium für Öffentlichkeit anzusehen. Übertragen auf den Dienst Email
bedeutet dies: Kommunizieren zehn Leute untereinander jeweils verschiedene
Inhalte, dann ist das klassische Individualkommunikation. Kommunizieren
sie jedoch gleiche Inhalte, wie das etwa bei Mailinglisten der Fall ist,
so entsteht Öffentlichkeit. Aus dem Kollektiv der von einander nicht
wissenden Email-Nutzer wird eine Gruppe von Mailinglisten-Teilnehmern, die
etwas gemeinsam haben: Öffentlichkeit ist unter ihnen und durch sie
entstanden, die verteilten Aufmerksamkeiten werden gebündelt, Autoren
bekommen ein Publikum. Nebenbei gesagt ist das emanzipatorische
Versprechen der Mailingliste, jeder könne mitmachen, nicht wirklich
einzulösen. Wenn wirklich jeder was schreibt, dann wird das jedem zuviel -
es bedarf also einer ausgewogenen Aufmerksamkeitsbündelung.
> Wenn ich meinem Privatvergnügen nachgehe und
Mit dieser Einordnung als Privatvergnügen nimmst Du das, was Du begründen
wolltest bereits vorweg. Heraus kommt dabei die Tautologie - "privat ist
privat!"
> 60er Jahre Garagenpunk übers Netz suche,
Da wird es nun interessant: getauscht wird offenbar Musik, und zwar
"alte", bereits veröffentlichte Musik, nicht etwa Neues,
Selbstkomponiertes, Gesampeltes. Kann dieses System überhaupt beim Tausch
von neuer, d.h. gerade solcher Musik, die bisher nicht veröffentlicht war,
funktionieren? Kann Veröffentlichung mit kurzer Publishing-Pipeline
überhaupt funktionieren, oder ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Ich würde P2P-Filesharing-Systeme eher als parasitäres Phänomen
bezeichnen, weil sie nicht selber eine Öffentlichkeit herstellen können,
in dem Sinne, dass sie Musiker bekannt machen. Sie müssen stattdessen auf
eine zuvor existierende Öffentlichkeit in Form einer allgemeinen
Bekanntheit von bestimmten Musikgruppen / Genres zurückgreifen.
> merken das
> allenfalls jene Leute, von denen ich das beziehe. Das wäre
> öffentlich? Nein. Das ist eine Ausdehnung des Privaten.
Ich sehe es in der Tat auch als einen Versuch der Ausdehnung des Privaten.
Das ist aber nicht ein emergentes Phänomen, das sich halt - à la
unsichtbare Hand - einfach so ereignet, und dem man sich gefälligst
anzupassen hat. Im Gegenteil, hinter der Ausdehnung des Privaten stecken
Interessen, private Kontrollwünsche. Insofern ist das durchaus ein
emanzipatorisches Anliegen: Wir wollen selber entscheiden, es soll kein
störender Dritter (Händler) mehr bestimmen, was wir hören und was nicht.
Überhaupt stören die anderen - insbesondere die Gesellschaft, die
Öffentlichkeit, die immer alles reguliert haben will. Dabei wird
übersehen, dass sich das Private nur durch das Öffentliche konstituiert -
und umgekehrt. Wenn das Private total ist, wenn wir uns nicht mehr mit
Gesellschaft rumschlagen müssen, dann befinden wir uns eigentlich schon im
Paradies.
Gruß,
Mario
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