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Re: Stand der Dinge in Sachen Softwarepatente



On 22 Jul 2002, at 21:31, PILCH Hartmut wrote:

> > Aber warum hat sich denn der Gesetzgeber die Muehe gemacht, extra
> > einen neuen Absatz (3) im Gesetz (§ 1 PatG) dafuer zu spendieren,
> > wenn es "keine in sich geschlossene semantische Einheit ist und die
> > spitzfindigen Definitionsdebatten daher gegenstandslos sind"?
> 
> Er wollte der (in München 1973 durch Gezeter von FICPI und
> UK-Delegation hochgespielten) Befürchtung vorbeugen, dass durch
> formalistische Auslegung Gegenstände als Nicht-Erfindungen angesehen
> werden, die eigentlich gar keine bloßen mathematischen Methoden,
> Programme etc sind.
> 
> S. dazu die Konferenzakte
> 
>  http://swpat.ffii.org/papiere/muckonf73/
> 
> Es handelte sich hier um den erlösenden Kompromissvorschlag der
> deutschen Delegation, der alle glücklich machen sollte.

Ein Formelkompromiss eben, dessen Bedeutung oder Nicht-Bedeutung 
keiner der Akteure richtig verstanden hatte. Die Bewaehrungsprobe 
fuer diese Formulierung kam ja auch erst Jahrzehnte spaeter, und 
jetzt merken wir, dass der Formelkompromiss nicht wirklich traegt.

Das bedeutet aber nicht, dass wir heute einfach Art. 52 (3) EPÜ 
einfach ohme weiteres weglassen duerfen. Man muss die Frage auf der 
politischen Ebene noch einmal aufrollen, und das war mit dem Versuch 
der Revision des Art. 52 EPC auf der ersten Diplomatischen Konferenz 
beabsichtigt.

---

Die Gemengelage ist inzwischen ziemlich unuebersichtlich geworden:

1. ffii und EUROLINUX wollen im Grunde genommen nur in Ruhe gelassen 
werden: Niemand soll mit dem Patentrecht irgendwie auf den 
Softwaremarkt und ueberhaupt auf die Modalitaeten der 
Softwareerstellung und -distribution einwirken koennen. Das ist der 
Kern des Protestes von EUROLINUX.

2. Merkwuerdigerweise versteift sich EUROLINUX nun aber darauf, 
dieses Ziel nicht nur in seiner Allgemeinheit politisch zu vertreten, 
sondern gibt auch Instrumente vor, mit denen das durchgesetzt werden 
soll: Eine Modifikation der materiellen Erfordernisse der 
Patentierbarkeit.

3. Nachdem EUROLINUX einige einfachere Kochrezepte vorgeschlagen hat, 
musste man dort bemerken, dass man sich damit in die "Niederungen" 
des Patentrechtes begeben hat: Wer konkrete gesetzestechnische 
Vorstellungen hat, darf sich nicht wundern, dass er sich im Detail zu 
der Funktionsweise eben dieser Vorschlaege befragen lassen muss. Aber 
im Kern interessiert sich EUROLINUX ja gar nicht fuer Details wie 
"Technizitaet" etc. pp; das einzige, was diese Gruppe zusammenhaelt, 
ist die unter 1 angegebene Wirkungs-Forderung.  

4. Im konkreten Fall haben zahlreiche Stellungnahmen, darunter auch 
das Lutterbeck-Gutachten, klargestellt, dass es kein einfaches Mittel 
gibt, um auf der Seite der materiellen Patentierungsvoraussetzungen 
einen "sauberen Schnitt" machen zu koennen, der das oben unter 1 
genannte Ziel erreicht, ohne das Patentsystem als Ganzes in Frage zu 
stellen (abgesehen von der im ganzen natuerlich sowieso umstrittenen 
Frage, ob die Forderung 1 unterstuetzenswert ist; die Mittel- und 
Grossunternehmen in der Branche haben da ja eine deutlich andere 
Optik als EUROLINUX). Eine ernstzunehmende fachliche Eroertrung 
dieser Beitraege findet bei EUROLINUX allenfalls in Ansaetzen statt, 
da man sich ja ueberwiegend nicht zu Patentexperten weiterbilden 
will, sondern eigentlich nur seine Ruhe beim Programmieren (siehe 1 
oben) einzufordern gedenkt. Entsprechend unproduktiv sind dann 
"bottom line" die daraus resultierenden Debatten.  

5. Die primitivste Loesung fuer dieses Problem, auf das die EUROLINUX-
Koalition wohl zurueckzugreifen gedenkt, besteht darin, im Zweifel 
einfach das gesamte Patentsystem zur Diposition zu stellen oder 
jedenfalls grosse Teile desselben, und z.B. de facto alle 
Erfindungen, die in irgeneiner Art und Weise mit 
informationstragenden Signalen in Zusammenhang stehen, vom 
Patentschutz auszunehmen, funktionale Merkmale in Patentanspruechen 
zu verbieten usw. usf.  Eine derartige Haltung stellt jedenfalls 
sicher, dass die Forderung unter 1 erfuellbar erscheint.

6. Auf diese Art und Weise entsteht zielgerichtet ein argumentatives 
Tohuwabohu auf mindestens drei Ebenen:  

(a) auf der Ebene des begrifflichen Verstaendnisses der politischen 
EUROLINUX-Forderungen (was konkret heisst "keine SWPAT", was steckt 
hinter dem Begriffspaar "SWPAT"./."CII" usw. usf.);

(b) auf der Ebene der konkreten EUROLINUX- Gesetzesvorschlaege 
(Diskussion von deren Bedeutung, beabsichtigte / hingenommene 
Nebenwirkungen usw.); und  

(c) auf der Ebene der Bewertung der "Kollateralschaeden" der diversen 
EUROLINUX-Vorschlaege (Das Patentrecht wird beschaedigt -na und? Wozu 
brauchen wir ueberhaupt ein Patentsystem? Markooekonomische Theorien 
usw. usf.).

Die Fragen auf jeder dieser Ebenen sind fuer sich genommen 
diskutabel, aber die extrem geringen juristischen Fachkenntnisse der 
breiten "Basis" der Proponenten der EUROLINUX-Forderungen ueber die 
Funktionsweise des Patentrechtes machen eine geordnete Diskussion 
sehr schwierig. Haeufig schmeckt eine Art von Stolz durch, eben von 
der verhassten Patentmaterie keine Ahnung zu haben.

Fuer EUROLINUX ist das aber noch kein Problem; auch sich im Kreise 
drehende Nonsense-Diskussionen machen noch genuegend Publicity.

Die Politik (Abgeordnete, Ministerialbeamte, CEC etc. pp.) stehen 
ratlos vor dieser geschaeftigen Nicht-Kommunikation und holen 
kopfschuettelnd heimlich ihren Wuerfelbecher heraus, um mangels 
tiefergehender Einsichten dann eben einfach auszuwuerfeln, ob sie den 
Argumenten der EUROLINUX-Lobby oder lieber denen der Mittel- und 
Grossbetriebe folgen sollen.  

Verstanden hat keiner nichts.

Die Wahrscheinlichkeit, dass da was Vernuenftiges 'rauskommt, ist 
eher gering. Wahrscheinlich wieder ein politischer 
"Formelkompromiss", der an der Realitaet scheitern muss.  

--AHH


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