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Re: Programmiererethik, geistiges Eigentum und Swpat



On 23 Jul 2002, at 17:36, Martin Uecker wrote:

> Nach der Logik könnte man auch Musikstücke patentieren. Die
> Technizität folgt nämlich ganz einfach:
> 
> Es sind nämlich ganz eindeutig musikinstrument-implementierte
> Erfindungen[1].
> 
> Technischer Effekt ist die Schallerzeugung[2]. Es gibt zwar Leute, die
> behaupte, daß dies noch nicht für "Technizität" ausreichen würde, weil
> altes Liedgut nicht einfach durch eine instrumentelle Begleitung
> patentierbar werden dürfe. Das ist im Ergebnis auch richtig, aber man
> sollte hier lieber mit dem Begriff der Erfindungshöhe arbeiten.

Also gut, wie sollte denn in dem Beispiel ein CII-analoger 
Patentanspruch aussehen?  

Es gibt _keine_ erteilten Patentansprueche wie:

"Computerprogramm, gekennzeichnet durch folgende Folge von Befehlen:

{Begin} ... {End}"


Also sprechen wir auch _nicht_ von Patentanspruechen wie 

"Musikstueck, gekennzeichnet durch folgende Folge von Noten:

(Note), (Note), ..., (Note)"


Wir sprechen demgegenueber hier von CII-Anspruechen wie:

"Vorrichtung zum Steuern einer Rolltreppe, umfassend

a) eine Steuerungseinheit,

[...]

f) wobei die Steuerungseinheit eine CPU aufweist,

g) wobei die Steuerungseinheit folgendes macht: (es folgt eine 
funktionale Angabe von weiteren Merkmalen)"


Ein Analogon waere _versuchsweise_

"Musikerzeugungsvorrichtung, umfassend

a) einen Resonanzkoerper,

b) mindestens 8 Saiten folgender Tonlagen ..."

Hmmm. Und nun weiss ich nicht weiter: Wie soll ich die Noten eines 
bestimmten Musikstueckes in diesen Anspruch aufnehmen, wenn die 
"Hardware" z.B. eine Violine ist? Es geht einfach nicht. Die Noten 
werden vom Menschen verarbeitet, die Violine ist kein "Prozessor".

Was natuerlich geht, ist ein Anspruch auf eine Erfindung, die sich 
manifestiert als Vorrichtung zur automatischen Erzeugung harmonischer 
Toene, bei dem eine Tonwalze eingebaut ist.

Aber damit patentiert man noch kein "Musikstueck".
 
Der v. Neumannsche Universalrechner als endliche Verkoerperung der 
(abstrakten) Turing-Maschine ist schon was Besonderes. Scheinbare 
Analogien aus der Alltagswelt (z.B. Musikinstrumente) verfangen da 
nicht.

Interessanter wird die Angelegenheit, wenn ich einen 
computergesteuerten Synthesizer betrachte und versuche, den CII-
Anspruch so "aufzubohren", dass er ein Musikstueck umfasst:  

"Musikerzeugungssystem, umfassend 

a) eine Synthesizer-Einrichtung, 

b) eine Steuerungseinrichtung,

[...]

f) wobei die Steuerungseinrichtung die Synthesizer-Einrichtung so 
steuert, dass folgende Töne nacheinander ausgegeben werden:

(Ton1), (Ton2), ..., (Ton n)."

Nehmen wir mal an, "(Ton1), (Ton2), ..., (Ton n)" waere im konkreten 
Beispiel die Noten des Requiems von Mozart.

Also, wenn die Synthesizer-Einrichtung neu und erfinderisch ist, 
schoesse sich der Anmelder mit einem derartigen Anspruch nur ins 
eigene Bein, weil der Anspruch viel zu eng waere - er koennte besser 
gleich den neuen Synthesizer beanspruchen.

Und, was ist, wenn der Synthesitzer + Steuerung + uebrige Hardware 
alles uralt bekannt ist?

Wenn ich Patentpruefer waere, wuerde ich die Anmeldung wegen 
fehlender Erfindungshoehe zurueckweisen. Denn der Fachmann weiss 
natuerlich, dass ein Synthesizer ein elektronisches Musikinstrument 
ist, welches dafuer gemacht ist, innerhalb eines bestimmten 
Harmoniesystems _alle denkbaren_ Musikstuecke aufzufuehren. Jedes 
beliebige Musikstueck innerhalb dieses Harmoniesystems ist 
trivialerweise darauf spielbar, und deshalb ist es auch naheliegend, 
das Mozart-Requiem von einer solchen Vorrichtung vorspielen zu 
lassen. Deshalb fehlt es an der Erfindungshoehe bzw. an dem 
"erfinderischen Schritt".

Wieder nichts mit der Musikpatentierung.

Aber ich gehe noch einen Schritt weiter: Nehmen wir an, jemand habe 
eine akustische Tonfolge herausgefunden, die, wenn in einem Kuhstall 
abgespielt, _gleichzeitig_ dafuer sorgt, dass in Kuhstaellen die 
Kuehe 100% mehr Milch geben _und_ alle Muecken und Fliegen entweder 
tot von der Decke fallen oder aber instantan die Flucht ergreifen.

Das waere m.E. ein "ueberraschender Effekt" einer Tonfolge, und wenn 
dieser Effekt auch noch neu ist, koennte ich mir z.B. auch einen 
gewaehrbaren Anspruch vorstellen, der auf sowas wie eine 
"Kuhstallbeschallungsvorrichtung" gerichtet ist und der einen 
Synthesizer und eine damit generierte bestimmte Tonfolge 
festschreibt. (Man muesste hinsichtlich der Kuehe nur aufpassen, dass 
man nicht in den Bereich des Art. 52 (4) EPC kommt, aber das ist eine 
andere Schose.)    

Mittelbare Patentverletzung durch Datenspeicher mit Angabe der 
spezifischen Tonfolge kaeme aber _nur_ allenfalls dann in Betracht, 
wenn klar ist, dass die Tonfolge zur Beschallung eines Kuhstalls 
nicht nur geeignet, sondern auch bestimmt ist - und nicht etwa als 
Partygag oder sonstwozu.

Man sieht, wie flexibel das Konzept des "erfinderischen Schrittes" 
ist, wenn man es nur richtig anwendet.

--AHH


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