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Re: NETSCAPE: Der Kampf um das Bookmark-Patent
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: NETSCAPE: Der Kampf um das Bookmark-Patent
- From: Horns@t-online.de (Axel H. Horns)
- Date: Mon, 27 Apr 1998 19:10:42 +0100
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> Ich muss persoenlich sagen, dass ich einen Grossteil der Patente
> (speziell im Bereich GUI/Ergonomie/Netzwerkprotokolle) fuer
> ausgemachten Schwachsinn halte. Diese Dinge sollten genausowenig
> patentierbar sein wie Genmanipulationen. Auch Dinge wie das
> Unisys-Patent auf den beim GIF-Grafikformat verwendeten
> Kompressionsalgorithmus und das RSA-Quasimonopol sind ein Unding.
Tja, die Hauptanwenderin des Patetsystems, die Industrie, sieht das
eher etwas anders. Ueberhaupt geht es m.E. beim Patentrecht heute
nicht (mehr) um den Schutz der Rechte des Erfinders, sondern um den
Schutz von Investitionen in F&E.
Ein Beispiel: Patentiert werden darf nur, was "neu" und
"erfinderisch" ist. Das Erfordernis der "Neuheit" duerfte klar sein.
Aber was heisst "erfinderisch"? In der Fruehzeit der Patente (Ende
19. Jahrhunders bis in in die siebziger Jahre dieses Jahrhunders)
bestand die Vorstellung, dass nicht jeder, der irgendetwas neues
hervorgebracht hat, dafuer ein Patent bekommen sollte. Nur die ganz
aussergewoehnlichen "entwicklungsraffenden" Erfindungsleistungn sollte
die Belohnung durch ein Patentmonopol offenstehen.
Seit Jahrzehnten merkt die Industrie nun aber, dass bei den meisten
technischen Produkten auch kleine Verbesserungen ganz schoen ins Geld
gehen. Beispielsweise koennen die Fotokopiergeraete, die dieses Jahr
auf der Messe gezeigt werden, nur ein bisschen mehr als die Geraete
des Vorjahres. Aber die Entwicklung der neuen Geraetegeneration hat
das Herstellerunternehmen Millionenbetraege gekostet. Wenn es Patente
nur fuer die ganz grossen "entwicklungsraffenden" Leistungen gibt,
heist das, dass z.B. die vielen kleinen millionenteuren
Verbesserungen an der neuen Fotokopiergerneration mangels
Patentschutz einfach von der Konkurrenz abgekupfert werden duerfen.
Dies stoesst begreiflicherweise nicht auf Begeisterung.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Industrie ueberwiegend den
Verfall des Beurteilungskriteriums "Erfindungshoehe" in der Praxis
der Aemter schweigend oder billigend hingenommen hat. Jeder aeltere
Patentanwaltskollege, der die 70er Jahre aktiv beruflich mitgemacht
hat, bestaetigt mir, dass man in jenen Tagen bei fast jeder
Patentanmeldung mit dem Patenpruefer mittels langer Schriftsaetze um
die Anerkennung der "Erfindungshoehe" kaempfen musste. Besonders das
EPA hat bei der Destruktion der Erfindungshoehe Masstaebe gesetzt.
Heute ist die Abhandlung der Erfindungshoehe leichter geworden und in
vielen Faellen sozusagen eine reine Formsache.
Das heisst nun nicht, dass die Patentaemter von der Industrie
irgendwie bestochen oder unter Druck gesetzt worden waeren. Das
Patentrecht wird schon seit langem als ein kooperativ mit den
beteiligten Wirtschaftskreisen gehandhabtes Foerderinstrument
gesehen.
Was hat das nun mit der Software-Patentierung zu tun?
Ganz einfach: Das Erstellen von Software erfordert in der Regel
erhebliche Investitionen. Wenn die in einer Software verwirklichten
neuen Ideen prinzipiell nicht als patentfaehig angesehen werden, dann
kann der Wettbewerber das Funktionsprinzip mittels Reverse
Engineering analysieren und mit der daraus gewonnenen Einsicht ein
neues Programm schreiben lassen, dass urheberrechtlich ein
eigenstaendiges Werk darstellt und urheberrechtlich deshalb auch
"clean" ist. Dieser Ideentransfer gefaellt denen nicht, die viel Geld
in das Hervorbringen neuer Algorithmen hineingesteckt haben. Deshalb
gibt es im Zusammenhang mit der Diskussion um das Gruenbuch der
EU-Kommission zum Thema Patentpolitik in der EU auch zunehmend Stimmen,
die eine Streichung des Patentverbotes fuer Datenverarbeitungsprogramme
fordern.
> Zum einen verhindern solche Patente die Weiterentwicklung des
> "Stands der Technik" (also Innovationen), zum anderen wird das
> Schreiben von "freien" Nachbauten solcher Software durch
> Softwarepatente behindert.
Das erste stimmt nicht, denn Patentanmeldungen werden (ausser in den
USA) nach 18 Monaten offengelegt. In den USA erfolgt die
Veroeffentlichung erst mit der Patenterteilung. Im Gegenteil, durch die
Veroeffentlichung wird der Patentinhaber gezwungen, manches zu
offenbaren, was er ohne Aussicht, ein Patentmonopol zu bekommen,
moeglicherweise als Know-How lieber faktisch geheimgehalten haette.
Ein Sinn dieser Zwangsveroeffentlichung besteht darin, den
Wettbewerbern Gelegenheit zu Weiterentwicklungen und kreativen
Umgehungsloesungen zu geben ...
Der zweite Punkt stimmt natuerlich. Patente behindern z.B. das
Erarbeiten von offenen Standards. Beispiele konnte man z.B. kuerzlich
in der IETF-OPENPGP-Gruppe sehen (IDEA ist patentiert usw.).
> IMHO sind Weiterentwicklungen im Softwarebereich gesellschaftlich
> durchaus so wichtig, dass man mit gutem Recht dafuer eintreten kann,
> dass solche Dinge nur in ganz speziellen Einzelfaellen patentiert
> werden koennen, z.B. bei fach-/branchenspezifischen ingenieurartigen
> Erfindungen und Algorithmen.
Der letztgenannte Zustand ist de facto heute gegeben. Einen
Algorithmus ohne Bezug auf eine technische Umgebung kann man (in
Europa) nicht patentieren, wohl aber ein technisches Geraet oder
technisches Verfahren, bei dem die Kontrolle von Naturkraeften eine
Rolle spielt und bei denen die Erfindung wesentlich mit einem neuen
Algorithmus zusammenhaengt.
Ein anderes Problem liegt allerdings darin, dass softwarebezogene
Patente oft mieserabel geprueft sind. Dies liegt u.a. daran, dass der
Stand der Technik im Softwarebereich vielfach nur als "graue
Literatur" (z.B. Manuals fuer Betriebssysteme usw.) vorliegt, die im
Patentamt dem Patentpruefer nicht zur Verfuegung steht. Die Hoffnung
von Netscape bei dem von mir zitierten Fall ist denn auch wohl, dass
sich irgendwo ein entlegenes Papier oder Softwarecodestueck auftreiben
laesst, das aelter als die Bookmark-Patentanmeldung ist und den
Grundgedanken des Bookmarking enthaelt.
Ach ja: PS: Die Diskussion, ob das Patentwesen ueberhaupt etwas taugt
oder nur die technische Entwicklung behindert, ist selbst weder neu noch
erfinderisch ... Im 19. Jahrhundert hat es schon mal eine grosse
Debatte darueber gegeben, und am Ende haben sich die Befuerworter
eines Patentsystems durchgesetzt ...
Axel H. Horns