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Re: NETSCAPE: Der Kampf um das Bookmark-Patent



> Ich muss persoenlich sagen, dass ich einen Grossteil der Patente
> (speziell im Bereich GUI/Ergonomie/Netzwerkprotokolle) fuer
> ausgemachten Schwachsinn halte. Diese Dinge sollten genausowenig
> patentierbar sein wie Genmanipulationen. Auch Dinge wie das
> Unisys-Patent auf den beim GIF-Grafikformat verwendeten
> Kompressionsalgorithmus und das RSA-Quasimonopol sind ein Unding.

Tja, die Hauptanwenderin des Patetsystems, die Industrie, sieht das 
eher etwas anders. Ueberhaupt geht es m.E. beim Patentrecht heute 
nicht (mehr) um den Schutz der Rechte des Erfinders, sondern um den 
Schutz von Investitionen in F&E. 

Ein Beispiel: Patentiert werden darf nur, was "neu" und 
"erfinderisch" ist. Das Erfordernis der "Neuheit" duerfte klar sein. 
Aber was heisst "erfinderisch"? In der Fruehzeit der Patente (Ende 
19. Jahrhunders bis in in die siebziger Jahre dieses Jahrhunders) 
bestand die Vorstellung, dass nicht jeder, der irgendetwas neues 
hervorgebracht hat, dafuer ein Patent bekommen sollte. Nur die ganz 
aussergewoehnlichen "entwicklungsraffenden" Erfindungsleistungn sollte 
die Belohnung durch ein Patentmonopol offenstehen.

Seit Jahrzehnten merkt die Industrie nun aber, dass bei den meisten 
technischen Produkten auch kleine Verbesserungen ganz schoen ins Geld 
gehen. Beispielsweise koennen die Fotokopiergeraete, die dieses Jahr 
auf der Messe gezeigt werden, nur ein bisschen mehr als die Geraete 
des Vorjahres. Aber die Entwicklung der neuen Geraetegeneration hat 
das Herstellerunternehmen Millionenbetraege gekostet. Wenn es Patente 
nur fuer die ganz grossen "entwicklungsraffenden" Leistungen gibt, 
heist das, dass z.B. die vielen kleinen millionenteuren 
Verbesserungen an der neuen Fotokopiergerneration mangels 
Patentschutz einfach von der Konkurrenz abgekupfert werden duerfen. 
Dies stoesst begreiflicherweise nicht auf Begeisterung.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Industrie ueberwiegend den 
Verfall des Beurteilungskriteriums "Erfindungshoehe" in der Praxis 
der Aemter schweigend oder billigend hingenommen hat. Jeder aeltere 
Patentanwaltskollege, der die 70er Jahre aktiv beruflich mitgemacht 
hat, bestaetigt mir, dass man in jenen Tagen bei fast jeder 
Patentanmeldung mit dem Patenpruefer mittels langer Schriftsaetze um 
die Anerkennung der "Erfindungshoehe" kaempfen musste. Besonders das 
EPA hat bei der Destruktion der Erfindungshoehe Masstaebe gesetzt. 
Heute ist die Abhandlung der Erfindungshoehe leichter geworden und in 
vielen Faellen sozusagen eine reine Formsache.

Das heisst nun nicht, dass die Patentaemter von der Industrie 
irgendwie bestochen oder unter Druck gesetzt worden waeren. Das 
Patentrecht wird schon seit langem als ein kooperativ mit den 
beteiligten Wirtschaftskreisen gehandhabtes Foerderinstrument 
gesehen. 

Was hat das nun mit der Software-Patentierung zu tun?

Ganz einfach: Das Erstellen von Software erfordert in der Regel 
erhebliche Investitionen. Wenn die in einer Software verwirklichten 
neuen Ideen prinzipiell nicht als patentfaehig angesehen werden, dann 
kann der Wettbewerber das Funktionsprinzip mittels Reverse 
Engineering analysieren und mit der daraus gewonnenen Einsicht ein 
neues Programm schreiben lassen, dass urheberrechtlich ein 
eigenstaendiges Werk darstellt und urheberrechtlich deshalb auch 
"clean" ist. Dieser Ideentransfer gefaellt denen nicht, die viel Geld 
in das Hervorbringen neuer Algorithmen hineingesteckt haben. Deshalb 
gibt es im Zusammenhang mit der Diskussion um das Gruenbuch der
EU-Kommission zum Thema Patentpolitik in der EU auch zunehmend Stimmen,
die eine Streichung des Patentverbotes fuer Datenverarbeitungsprogramme
fordern.

> Zum einen verhindern solche Patente die Weiterentwicklung des
> "Stands der Technik" (also Innovationen), zum anderen wird das
> Schreiben von "freien" Nachbauten solcher Software durch
> Softwarepatente behindert.

Das erste stimmt nicht, denn Patentanmeldungen werden (ausser in den 
USA) nach 18 Monaten offengelegt. In den USA erfolgt die 
Veroeffentlichung erst mit der Patenterteilung. Im Gegenteil, durch die
Veroeffentlichung wird der Patentinhaber gezwungen, manches zu 
offenbaren, was er ohne Aussicht, ein Patentmonopol zu bekommen, 
moeglicherweise als Know-How lieber faktisch geheimgehalten haette. 
Ein Sinn dieser Zwangsveroeffentlichung besteht darin, den 
Wettbewerbern Gelegenheit zu Weiterentwicklungen und kreativen 
Umgehungsloesungen zu geben ...

Der zweite Punkt stimmt natuerlich. Patente behindern z.B. das 
Erarbeiten von offenen Standards. Beispiele konnte man z.B. kuerzlich 
in der IETF-OPENPGP-Gruppe sehen (IDEA ist patentiert usw.).

> IMHO sind Weiterentwicklungen im Softwarebereich gesellschaftlich
> durchaus so wichtig, dass man mit gutem Recht dafuer eintreten kann,
> dass solche Dinge nur in ganz speziellen Einzelfaellen patentiert
> werden koennen, z.B. bei fach-/branchenspezifischen ingenieurartigen
> Erfindungen und Algorithmen.

Der letztgenannte Zustand ist de facto heute gegeben. Einen 
Algorithmus ohne Bezug auf eine technische Umgebung kann man (in 
Europa) nicht patentieren, wohl aber ein technisches Geraet oder 
technisches Verfahren, bei dem die Kontrolle von Naturkraeften eine 
Rolle spielt und bei denen die Erfindung wesentlich mit einem neuen 
Algorithmus zusammenhaengt.

Ein anderes Problem liegt allerdings darin, dass softwarebezogene 
Patente oft mieserabel geprueft sind. Dies liegt u.a. daran, dass der 
Stand der Technik im Softwarebereich vielfach nur als "graue 
Literatur" (z.B. Manuals fuer Betriebssysteme usw.) vorliegt, die im 
Patentamt dem Patentpruefer nicht zur Verfuegung steht. Die Hoffnung 
von Netscape bei dem von mir zitierten Fall ist denn auch wohl, dass 
sich irgendwo ein entlegenes Papier oder Softwarecodestueck auftreiben
laesst, das aelter als die Bookmark-Patentanmeldung ist und den 
Grundgedanken des Bookmarking enthaelt.

Ach ja: PS: Die Diskussion, ob das Patentwesen ueberhaupt etwas taugt
oder nur die technische Entwicklung behindert, ist selbst weder neu noch 
erfinderisch ... Im 19. Jahrhundert hat es schon mal eine grosse 
Debatte darueber gegeben, und am Ende haben sich die Befuerworter 
eines Patentsystems durchgesetzt ...

Axel H. Horns