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Re: Artikel: Gefangen im Internet



In schulung.lists.fitug-debate you write:
>Immerhin gibt es offenbar einen Bereich, in dem der Provider Einfluss
>hat, naemlich den eigenen Server.

In Grenzen: Ja.

Nimm zum Beispiel den typischen Webfarmer: Ein solcher Webfarmer
stellt massenhaft (Deutsche Telekom: 8500 mal in der ersten
Ausbaustufe, geplanter Wachstumsspielraum: Faktor 10 - andere
Anbieter ganz aehnlich) ein genormtes Environment zur
Verfuegung.

In diesem Environment hat der Kunde FTP Zugang und kann ueber
ein virtuelles Kundencenter seine Praesentation selbst pflegen.
Das Angebot, das zu einem absoluten Niedrigpreis ans Netz geht,
stellt unter Umstaenden auch noch ein CGI-Environment mit
einigen Standardscripts, einen kleinen Interpreter in einem
chroot()-Environment mit Speicher- und CPU-Zeit-Begrenzung zur
Verfuegung.

Die gesamte Webfarm wird von einem kleinen Leutestab (ca. 10
Personen im Endausbau) gemanaged. Inhalte macht von denen keiner
- es handelt sich um reines Operating.

>Der Provider hat sicherlich nicht furchtbar viele Funktionen zu
>uebernehmen.   Aber vielleicht auch nicht die des Vorreiters einer
>anarchistischen Internet-Verfassung gegen die Ansprueche von immerhin
>einigermassen demokratisch legitimierten Staatsverfassungen?

Ich kann diese Entlastung des eigentlichen Urhebers eines
Gedankens, des Autors naemlich, nicht verstehen. Mit dem
Internet haben wir endlich die ultimative Verkuerzung des
Publishing Pipeline: Aus dem Kopf in das Netz auf die
Bildschirme der Leser. Damit haben wir auch endlich die
ultimative Verantwortlichkeit des Ideenerzeugers fuer seine
Ideen.

Und jetzt reden unsere Juristen (und Du) einer
Verantwortlichkeit des ISP, des Webspace Providers, des Content
Providers oder des Image Providers das Wort. Warum? Weil es Euch
zu viele Autoren sind und Ihr die nicht alle kontrollieren
koennt? Weil Ihr deswegen die Anzahl der Kontrollstellen
reduzieren wollt, damit das Problem fuer Euch leichter
beherrschbar wird? Oder weil Ihr nicht verstanden habt, wie das
Medium funktioniert.


Verantwortlich fuer meine Webseiten bin ich. Nur ich. Niemand
sonst. 

Verantwortlich fuer die Webseiten, die auf Deinem Bildschirm
auftauchen bist Du. Nur Du. Niemand sonst. Wenn Du bestimmte
Webseiten nicht sehen moechtest, rufe sie nicht auf.


Alle anderen (rechtlichen, wirtschaftlichen,
informationstechnischen) Modelle muessen ueber einen laengeren
Zeitraum gegen dieses Modell konvergieren oder scheitern. Denke
drueber nach. 

>> Um es klar zu sagen, man kann sich durch Kooperation an der falschen
>> Stelle um Kopf und Kragen bringen.

>Ich kann nachvollziehen, dass unter den Providern und FITUG-Leuten bereits
>ein fester Konsens besteht, und dass man seinen politischen Zielen
>schadet, wenn man an diesem Konsens herumruettelt.  Meinst du das?

Ich kann nicht fuer andere Provider oder fuer Fitug sprechen.
Aber ich habe die verschiedenen anderen Modelle bereits
durchgerechnet und zu einem Teil in der Praxis erproben koennen.

Sie skalieren sich nicht.

Sie skalieren sich nicht mit der Menge der Kunden, die man zu
betreuen hat. Letztendlich hat ein grosser Provider so viele
Kunden, dass er sich nur auf die Haltung "Solange sie mir nicht
die Kisten crashen, sollen sie gerne tun, was sie wollen.
Schliesslich zahlen sie die Party" zurueckziehen kann.

Sie skalieren sich nicht mit der Menge der Netzwerkmodelle und
Dienste, die man zu betreuen hat. Letztendlich hat ein grosser
Provider so viele Dienste zu betreuen, dass er sich nur auf die
Haltung "Push oder Pull, TCP oder UDP, statische oder dynamische
Seiten, Datenbank oder Dateibaum, Firewall mit NAT oder
Eigentuemer eines B-Netzes, solange sie mir nicht die
Kisten crashen, sollen sie gerne tun, was sie wollen.
Schliesslich zahlen sie die Party" zurueckziehen kann.

Sie skalieren sich nicht mit der Menge der Parteien, die an den
Inhalten zu ueberwachen und zu kritisieren haben. Letztendlich
hat ein grosser Provider so viele Leute, die an seinen Kunden
was auszusetzen haben, dass er sich nur auf die Haltung
"Fundamentalisten oder Liberale, Staat oder Kirche, Inland oder
Ausland, Linke oder Rechte, solange sie mir nicht die Kisten
crashen, sollen sie doch noergeln. Letztendlich kostet mich das
nur Geld und allen Recht machen kann ich es sowieso nicht"
zurueckziehen kann.

Sie skalieren sich auch juristisch nicht. Letztendlich ist
naemlich jede TCP/IP-Verbindung eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung
und damit private, individuelle Kommunikation, der man von
aussen nicht ansehen kann, ob sie Mail, Webseiten oder eine
Webseite mit Mail enthaelt. Oder eine sonstwie individualisierte
Webseite, die unter derselben URL residiert wie tausende andere
Webseiten auch. 

Noch ist das vielleicht nicht die Regel, aber gemessen an der
Arbeit, die ich tue und die ich andere tun sehe, nimmt der
Anteil dieser Seiten stark zu: Keine der Praesentationen, die
ich in den letzten drei Monaten gebaut habe, ist noch mit einem
HTML-Editor zu warten. Stattdessen braucht man fuer alle diese
Projekte eine Programmierumgebung. Keine dieser Praesentationen
enthaelt noch HTML - sie bestehen aus Code, der auf dem Server
laeuft und der auf dem Browser laeuft. Keine dieser
Praesentationen sieht bei zwei verschiedenen Abrufern wirklich
gleich aus, denn jede von diesen Seiten enthaelt bewegliche
Teile und variable Inhalte. Inhalte uebrigens, die von den
Kunden und nicht von uns gepflegt werden.


Darum ist meine Meinung fest zementiert: Wenn Du Probleme gleich
welcher Art mit Inhalten auf einem unserer Server hast, ist Dein
Ansprechpartner der Praesentierte. Niemand sonst.

Kristian