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Re: Otto Schily - ein wuerdiger Kanther-Nachfolger.



On 14 Jul 98 at 15:45, PILCH Hartmut wrote:

> Diese Lehre war 1949 noch im Gedaechtnis.  Damals wurde das Wort von
> der "wehrhaften Demokratie" gepraegt.  Erst in den fetten 60-70er
> Jahren wurde die zahnlose Demokratie wieder zum Idealbild erhoben.

Heute war Otto Schily um 11:00 Uhr im DLF-"Interview der Woche" zu 
hoeren. Am Ende des Gespraeches bekannte sich Schily ausdruecklich zu 
der Verfassungsauslegung à la Rupert Scholz und Josef Isensee, wonach 
die Grundrechte heute nicht mehr (nur?) ein Abwehrrecht des Einzelnen 
gegen den Staat, sondern (auch?) einen Anspruch des Einzelnen an den 
Staat auf aktiven und nicht zuletzt praeventiven Schutz vor den 
Boesartigkeiten der Mitbuergerinnen und Mitbuerger beinhalte.

Diese neue Verfassungslesart war hier vor einiger Zeit aus Anlass 
eines kritischen Artikels von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in 
der ZRP zu diesem Thema eroertert worden.

Zu Hartmut Pilch ist zu sagen, dass von ihm hier etwas 
durcheinandergebracht wird, was man tunlichst auseinanderhalten 
sollte:

a) Grundrechtseinschraenkung als "Notwehr" des Staates gegen solche 
Kraefte, die die Staatsordnung unterminieren wollen - Hitler-Syndrom, 
und

b) Grundrechtseinschraenkung aufgrund eines Staatsverstaendnisses, 
das sich immer mehr vom Schutz der Staatsbuerger durch repressive 
Verfolgung bereits geschehener Verbrechen loest und immer mehr dazu 
tendiert, praeventiv noch gar nicht geschehene Verbrechen verhindern 
zu wollen.

Die "Wehrhafte Demokratie" unter Punkt a) ist in der juengeren 
Geschichte mit allen Pros und Cons heftig debattiert worden. Darum 
geht es hier nicht.

Der Ansatz zu b) hat den ungeheuren Charme, dass er mit wohlfeilen
Stammtischspruechen wie "Wir muessen etwas tun, bevor das Kind in den 
Brunnen gefallen ist" usw. usf. voll kompatibel ist. "Vorbeugen ist 
besser als heilen" usw. usf. leuchtet jedem DAU sofort ein. Der 
schon fast wieder in der Vergessenheit versunkene Horst Herold und 
seine Adepten und Epigonen verschweigen jedoch ein paar begriffliche 
Probleme, die stets dann auftreten, wenn man dieses bei der 
Zahnpflege vielleicht ja noch nuetzliche Praeventionskonzept auf die 
Verbrechensbekaempfung ausweitet. Solche Errungenschaften wie die 
Unschuldsvermutung sind naemlich damit inkompatibel. Die 
Unschuldsvermutung beruht begrifflich auf der Voraussetzung, dass 
eine Tat bereits _unverrueckbar_ geschehen ist und deshalb die 
Unschuldsvermutung ex post aufgrund von Beweisen aufgehoben und im 
Einzelfall in einen Schuldspruch transformiert werden kann. Bei 
praeventiver Verbrechensbekaempfung ist dies natuerlich nicht 
moeglich, denn man kann ja mit dem Leben nicht experimentieren, um 
nachzuweisen: "Wenn wir damals nicht _vor Begehung eines 
Verbrechens_ Deine Wohnung abgehoert, Dein Telefon angezapft und 
Deine TCP/IP-Datenpakete gespeichert und dich festgenommen haetten, 
dann waere hoechstwahrscheinlich ein Verbrechen von Dir begangen 
worden". Die praeventive Verbrechensbekaempfung verwandelt die 
Unschuldsvermutung (mit der Option eines Schuldspruches fuer den 
Einzelfall) in eine generelle Schuldvermutung (mit der Option eines 
Freispruches zweiter Klasse, weil man trotz aller Bemuehungen nichts 
Belastendes hat feststellen koennen).

Auch wenn man den Praeventivgedanken nicht auf das Tun jedes 
Einzelbuergers abstellt sondern fordert, der Staat muesse im Rahmen 
der _repressiven_ Verbrechensbekaempfung weitreichende Vollmachten 
beispielsweise fuer verdachtsunabhaengige Kontrollen an Bahngleisen, 
auf Auto- und Datenbahnen aller Art und schliesslich ueberall haben, 
um die Mitbuerger und Mitbuergerinnen in die Zukunft hinein wirksam 
schuetzen zu koennen, wird die Gesamtlage nicht besser. Wer mein 
Gepaeck im Zug verdachtsunabhaengig filzt oder meinen TCP/IP 
Datenstrom verdachtsunabhaengig einem Screening unterzieht, 
unterstellt mich einer generellen Schuldmutmaßung, die ich politisch 
nicht zu akteptieren bereit bin.

Diese Verfassungstheoretiker à la Scholz und Isensee sind zusammen 
mit ihren epigonalen Exekutoren wie Kanther & Schily drauf und dran, 
den Geist des Grundgesetzes derart zu versauen, dass einem unfeine 
Vergleiche mit Carl Schmitt in den Sinn kommen.

Otto Schily hat diese Ideologie - soweit man das weiss - nicht immer 
so vertreten. Er ist ein Renegat, der wie viele Renegaten sich als 
110%iger Vertreter der nunmehr neu fuer gut und richtig erkannten 
Lehre profilieren will. Dass er womoeglich intelligenter als Kanther 
ist, macht die Aussichten fuer den Liberalismus in Deutschland (ich 
meine mit diesem Begriff ausdruecklich _nicht_ die FDP) nicht besser.

Axel H. Horns

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Axel H. Horns
horns@gmx.net