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Re: Wildwuchs vs Normierung in Kommunikationssystemen



> Letzterer Effekt ist genau
> das Problem der formalen Verifikation von Systemen, welches ich unlaengst
> erwaehnt habe: Wunderschoen, aber niemand beschreibt Systeme als puren
> mathematischen Formelverhau. Also braucht man Abbildungen von existierenden
> Beschreibungsformen auf den Formelkram, und mit solchen Profanitaeten gibt
> sich kein ernsthafter Wissenschaftler ab.

Wenn man eine Patentschrift in Lojban+SGML+DML verfassen und dadurch die
Ambiguitaeten loswerden und eine akzeptable Uebersetzung in alle
natuerlichen Sprachen erreichen koennte, liesse sich schon was damit
anfangen.

> Aber gerade! S.o. Esperanto und Lojban sind nur! ein! Werkstoff. Weder *der
> einzige* Werkstoff, noch *der beste* Werkstoff, noch ein *Universal*-Werkstoff.
> Wenn Du nicht, wie bereits auch in anderen Diskussionen (etwa Linux vs. MS), 
> direkt den fanatischen Absolutheitsanspruch vom Stapel gelassen haettest,
> haette niemand was gesagt. Aber nein: Lojban erschlaegt gleich alles, als
> XML/SGML-Ersatz, zur Abbildung von Wildwuchssprachen (und dann gleich auch
> fuer Hardcore-Experimentalliteratur - jedenfalls bis zum Beweis des Gegenteils).

LB eignet sich nicht fuer Abbildung von Wildwuchssprachen sondern fuer die
Abbildung von Gedanken und sonstigen Inhalten, die wir normalerweise mit
Wildwuchssprachen abbilden.  LB baut soweit moeglich auf universalen
Logik-Regeln auf und macht insoweit Texte maschinell verwertbar.  Es
schiesst zusammen mit SGML, DML u.a. die Kluft zwischen Text und
Datenbank.

Den darauf immer sofort folgenden Einwand, es sei deshalb zwangslaeufig
eine ausdrucksarme, unpoetische Sprache, habe ich zu entkraeften versucht.
Ich halte es fuer ebensowenig unpoetisch wie die Sprachen Vergils und
Homers.  Letztere leben noch immer, sobald jemand sie lernt.

Eine Logiksprache wie Lojban koennte sogar helfen, ewige Literatur zu
schaffen.  Erstmals Literatur in einem offenen, jeder Zeit zugaenglichen,
statt einem proprietaeren, einer bestimmten Kultur zugehoerigen und nur
mit grosser Muehe lernbaren Medium. 
 
> > Lassen sich Morgenstern oder Carroll denn ueberhaupt gut in andere
> > Sprachen (z.B. Chinesisch) uebersetzen?  Manche Dichtung ist eben eng an
> > die Gegebenheiten ihres Sprachmediums gebunden.  
> 
> Das ist der Punkt. Wenn ein solches Werk eng an die Ursprungssprache gebunden
> ist und als unuebersetzbar gilt, oder eine Uebersetzung wiederrum fuer sich
> ein neues Literaturwerk ergibt (vgl. Joyce, Finnegan's Wake in deutscher
> Uebersetzung), dann ist es ebenso unwahrscheinlich, dass es in eine kuenst-
> liche Sprache verlustfrei abbildbar ist. Etwas mathematisch ausgedrueckt:
> Der "Wort-Raum" oder der Wertebereich solcher Werke ist quasi die 
> Vereinigungsmenge aller existierenden natuerlichen Sprachen. Wenn Du sowas
> in Lojban abbilden willst, muss Lojban genau die gleiche Maechtigkeit besitzen.

Das ist m.E. nicht moeglich.  Carrolls Sprachspiele lassen sich z.B. nicht
nach Lojban uebersetzen.  Darauf sind die Lojban-Entwerfer stolz. 

> Abgesehen davon, dass ich es schon dadurch in Zweifel ziehe, dass Lojban 
> vorgibt, Vorteile bezueglich Ambiguitaet zu besitzen, so dass keine
> bijektive Abbildung mehr moeglich ist (Sackgasseneffekt: Du koenntest 

bijektive Abbildung ist nicht Sinn der Sache.  Es geht wiegesagt um
Abbildung des Gedachten, nicht um Abbildung der unvollkommenen Art anderer
Sprachen, dies abzubilden.

> vielleicht alles in Lojban ausdruecken, aber bekommst nicht mehr die
> urspruengliche Bedeutung zurueck), ist mein zweiter Zweifel, dass ich Lojban
> ueberhaupt nicht die Expressivitaet natuerlicher Sprachen abnehme.

Vermutlich hat auch Lojban nicht fuer alle denkbaren Ausdrucksbeduerfnisse
vorgesorgt.  Eine ideale Lojban-Sprechergemeinschaft wuerde vermutlich 
ueber das wohldefinierte Lojban hinaus noch ein paar wildwuechsige
Ad-hoc-Konventionen herausbilden, die erst allmaehlich wieder analysiert
und in neue Regeln gefasst werden koennten.  Eine weniger ideale
Sprechergemeinschaft wuerde noch nicht einmal die bisher definierten
Regeln anwenden und alles zu proprietaeren ausdrucksschwachen
Adhoc-Konventionen verwildern lassen.

--
Hartmut Pilch
http://www.a2e.de/phm/