[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [FYI] UNESCO: Provider sollen zensurieren



On Thu, 21 Jan 1999, Boris Groendahl wrote:

> Aber jetzt sag Du doch mal ein paar legitime Sichtweisen. Die
> Demokratieauffassung der Regierung in Singapur, dem "Disneyland mit
> Todesstrafe" (William Gibson)? Wie waere es mit der Theorie der Khmer
> Rouge? Der Taliban? 

Meistens legitimiert sich ein Gesellschaftssystem durch seinen
organisatorischen Erfolg.  Die Taliban haben den Widerstand gegen die
Sowjetunion organisiert, wie niemand anders das konnte.  Ob sie nach deren
Abzug noch etwas sinnvolles leisten koennen, ist zu bezweifeln.  Den Roten
Khmer kann ich am wenigsten abgewinnen.  Ihre Mentoren, die chinesischen
Kommunisten, haben immerhin, aehnlich wie die Taliban und die Vietkong,
die Leistung vollbracht, ein rueckstaendiges Land von unten
durchzuorganisieren und damit erstmals nach aussen stark zu machen. Von
1955 bis 1979 leisteten sie dann kaum noch etwas sinnvolles.  An die
heutige Regierung werden aber vom Westen her falsche Massstaebe angelegt. 
Alles was zu kritisieren ist, wurde kritisiert, und dazu noch vieles was
eigentlich nicht zu kritisieren ist, so z.B. harsche Mittel bei der
Kriminalitaetsbekaempfung.  Auch die "Dissidenten" von denen gross
berichtet wird, verdienen diesen Namen kaum: es sind, anders als noch vor
ein paar Jahren, nicht prominente Intellektuelle, sondern Unbekannte, die
offensichtlich auf Maertyrer-Inszenierung durch die westliche Presse
hoffen, wohl wissend, dass der dafuer zu zahlende Preis sich in Grenzen
haelt (obwohl die sensationsgeile westliche Presse so tut, als drohe 
ihnen die Todesstrafe).   

Singapur ist ja gerade deshalb ein Reizwort, weil es organisatorische
Erfolge aufzuweisen hat: schnelle Entwicklung von Wirtschaft, Technik und
Wissenschaft, eine Lebensweise die Einwanderung anzieht und nicht etwa
Auswanderungsdruck erzeugt, und, anders als China, sehr wenig Korruption.
Die Abstimmung mit den Fuessen findet statt.

Es gibt nebenbei auch eine Wanderungsbewegung von Russland nach China.
Und eine Bewegung von Chinesen zurueck von Deutschland und Amerika nach
China.  Viele Deutsche haengen derzeit in Shanghai und Beijing herum und
erzaehlen jedem, der es hoeren will, sie taeten das, weil Deutschland
vergleichsweise provinziell sei.

"Die Praxis ist das einzige Kriterium zur Erprobung von Wahrheiten",
diesen Spruch sollten sich Demokraten merken.  Auch die Demokratie muss
sich messen lassen.  Nichts ist durch Dogmen zu rechtfertigen.  Je
erfolgreicher Singapur und China sind, desto mehr schreien die Dogmatiker
auf.  Ich will nicht behaupten, dass Singapur und China bessere
Gesellschaftssysteme haben.  Im Gegenteil sind vermutlich einige Krisen
vorprogrammiert.  Aber ich mag es nicht, Dogmatiker dadurch zu troesten,
dass (wie es unter Mao oder heute noch in Kuba heisst) "der Gegner nur
zum Schein floriert und jeden Moment zusammenbrechen wird".  Wer weiss
das schon?
  
> Ich nenne jetzt diese Beispiele, weil solche bei Dir immer vorkommen.
> Zitierst Du sie, weil Du damit sagen willst, das seien "andere
> Sichtweisen", die so "legitim" sind wie der Liberalismus? 
 
Jede Sichtweise muss sich an der Praxis, am Erfolg ihrer Umsetzung,
messen lassen, nicht an ihren eigenen Praemissen.

-- 
Hartmut Pilch
http://www.a2e.de/phm/